Re: Addis Abbeba-Nairobi

von: zaher ahmad

Re: Addis Abbeba-Nairobi - 22.01.17 11:52

In Antwort auf: Odenthaler
das können natürlich nur echte Reiseradler nachvollziehen.

Was immer Du mit "echt" meinst - aber genau in dieser Tatsache liegt m.E. ein großer Teil des Missverständnisses dieser Diskussion.

Wie so vieles stellt sich die Realität des Radfahrens in Äthiopien aus der deutschen Wonhzimmerperspektive entscheidend anders dar als sie in der wirklichen Realität wohl ist.
Dass deutsche Bewertungsmaßstäbe unter Umständen gar nicht geeignet sein könnten, die Situationen von Peter angemessen zu beurteilen, kommt den wenigsten hier überhaupt in den Sinn. Vieleicht auch, weil ihr Weltbild so eng mit den in Mitteleuropa verbreiteten Verhältnissen verknüft ist, dass da nicht mal der Hauch eines Gedankens Platz hat, es könne auch alles ganz anders sein oder sich ganz anderes anfühlen, als dass man es mit den zur Verfügung stehenden Worten und Konzepten angemessen ausdrücken und vermitteln könnte. Peter versucht sich dennoch daran, obwohl er mit seiner Erfahrung eigentlich wissen müsste, dass dieser Versuch zum Scheitern verurteilt ist. So ähnlich, wie wenn man einem 22-jährigen gesunden Menschen die Vorzüge eines Treppenlifts erklären wollte. Auf abstrakter Ebene meint der junge Mensch das Problem wohl zu verstehen. Auch der über seine Neuanschaffung begeisterte Rentner wird überzeugt sein, etwas von seiner Lebenserfahrung erfolgreich weitergegeben zu haben. Wie es sich aber wirklich anfühlt, wenn man Treppen unüberwindbare Hindernisse sind, wird der junge Mensch hoffentlich so schnell nicht erfahren müssen.

Erfahrungen sind entscheidend. Sie prägen unser ganzes Leben. Und der Erfahrungsschatz des Durchschnittsdeutschen ist eben nur bedingt geeignet, mit solchen Situationen umzugehen, wie von Peter geschildert.
Somit ist man mit dieser unserer kulturellen Grundausstattung eben gerade nicht ausreichend befähigt, andere Kulturen wahrhaftig zu würdigen und einen angemessenen Umgang mit ihren Eigenheiten zu finden. Man lernt dort täglich neu dazu, auf einem unbekannten Spielfeld mit unbekannten Regeln. Häufig unter ungünstigen Bedingungen (schlechte Versorgung, kaputte Straßen, belastendes Klima, körperlich und/oder mental ausgelaugt). Das dies insbesondere in Stresssituationen zu Ergebnissen führt, über die man ansonsten nur den Kopf schütteln kann, ist dann auch nicht wirklich verwunderlich.

Viel mehr wundert mich aber, wie wenig sich die Mitdiskutanten hier im Faden selbst reflektieren und sich (teilweise) ohne jegliche Selbsterfahrungen einen moralisch überlegenen Heiligenschein aufsetzen. Ich will hier keinem die eigene Meinung verbieten, und äußern soll man sie auch dürfen. Was mich sehr stört, ist die überheblich wirkende Überzeugung, genau zu wissen, dass man auf der richtigen Seite steht.

Was für mich übrig bleibt, ist die Kritik an Peters scheinbarer oder tatsächlich mangelhafter Selbstkritik im Rückblick auf die Ereignisse. Das erklärt sich mir am ehesten noch durch die nicht verheilten Wunden, weil die beschriebenen Ereignisse erst vor Kurzem passiert sind. Und Peter ist nach wie vor nicht zu Hause auf der warmen Kaminbank, sondern immer noch unterwegs in einer fremden Kultur. Auch die tägliche Auseinandersetzung mit Menschen, die sich völlig anders verhalten als man das in Deutschland erwarten könnte, ist anstrengend. Sie greift, wenn dies über einen längeren Zeitraum anhält, die eigenen Ressourcen und die Widerstandsfähigkeit an. Auch wenn es nur freundliche Nubier sind, gegen die man gewiss nichts haben kann.

Reiseradeln in solchen Regionen ist immer eine persönliche Grenzerfahrung, physisch und psychisch. Dass Grenzen ungewollt überschritten werden können und davor nicht mal alte Hasen gefeit sind, wird hier sehr deutlich.

Wie man aber bei derartigen Dammbrüchen reagiert, kann keiner im voraus mit Gewissheit von sich selbst sagen. Oft ist das Ergebnis deprimierend, und eine Veröffentlichung dieser persönlichen Niederlage im Internet ist alles andere als selbstverständlich. Schon allein für diese Ehrlichkeit und Offenheit gebührt Peter großer Respekt.

Grüße

zaher