Re: Mehr Europa, weniger Leute: Kroatien, Venedig

von: irg

Re: Mehr Europa, weniger Leute: Kroatien, Venedig - 26.12.22 18:08

Naja, Venedig ist weitgehend ein -wenn auch nur noch- lebendes Freilichtmuseum und Entertainment-Location.

Ich habe einen sehr persönlichen Zugang zu solchen Auswüchsen. Ich bin in Salzburg Stadt auf gewachsen, und im Graben hinter Hinterglemm hatten meine Eltern ihre Schihütte. Daraus haben sich folgende Erfahrungen ergeben:

Tourismus macht etwas mit den Menschen, die dort leben was. Gut, sie dürfen die Klos der Touristen putzen, ihre eigene Welt wird durch so massiven Tourismus zerstört, nichts anderes. Die Gesellschaft zerbricht daran, denn alles wird der heiligen Kuh untergeordnet. Sogar die Einheimischen werden dem Tourismus, auf dass er ungestört laufe, untergeordnet.

Ein Beispiel: In Salzburg hat sich, bevor ich es verlassen hatte, eine Zeit lang ergeben, dass ein Platz in der Altstadt ein sozialer Treffpunkt für junge Leute wurde. Das war sehr angenehm. Wenn ich Lust hatte, konnte ich hin radeln und schauen, wen ich treffe. Um die Touristen nicht durch diese jungen Leute (igitt!) zu stören, gab es eine Aktion scharf, und als diese nichts nützte, lange Druck auf uns. Dann war der Treffpunkt ersatzlos weg. Im Glemmtal (Schihütte) braucht es nicht einmal das. Wer von den Jungen nicht von den Eltern vorsorglich gehorteten Baugrund bekommt, muss fort ziehen, aber ziemlich weit. Das sind Beispiele, sehr verkürzt, auf den Punkt gebracht, was intensiver Tourismus mit den Menschen, die dort leben anrichten kann.

Ich bin mir sicher, in Venedig wird es nicht viel anders sein, als es in Salzburg war, als ich ging, nur viel schlimmer: Als Einheimischer warst du kein Faktor in deiner Stadt, allenfalls ein Störfaktor. Dazu eine Anekdote, die für mich auf den Punkt gebracht hat: Ich bin müde und erschöpft, nach vielleicht 12 Stunden Außendienst mit Messlatte, Machete, Spaten und anderem, mit dem Rad durch die Altstadt heim gefahren. Holt mich ein Polizist unsanft vom Radl: Niemand darf passieren, weil eine Festspieleröffnung statt gefunden hat. Ich dachte: Ich lebe hier, ich arbeite hier, ich zahle Steuern. Ich leiste meinen Beitrag hier, und wenn die Touristen kommen, muss ich mich unsichtbar machen. Mir rechts.

Das war natürlich nur ein persönliches Erlebnis, aber ein prägnantes. Andere in den Bergen könnte ich auch betragen, die machen es nicht besser.

Ich gestehe, wenn wir durch Venedig gestreift sind, habe ich mich manchmal ziemlich mies gefühlt. denn ich kenne die andere Seite, die Touristen normaler weise nicht sehen.

Ich fürchte, wenn wir Venedig nicht vollends verkitschen und verplastiken wollen, werden wir noch viel härtere Maßnahmen ergreifen müssen. Eine Stadt ohne Bewohner ist keine Stadt, auch wenn das Besucher nicht wahrhaben. Eine Stadt, deren Bewohner nicht wert geschätzt werden, zerstört sich selbst.

lg!
georg