Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien

von: veloträumer

Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien - 06.12.15 22:14

E.3 Alpen-Adria – auch ein Radl-Etikett mit Trendfaktor?

Alpen-Adria – da kommen wir zum Kern des hier propagierten Reisestils – ist auch ein Radweg – ein ziemlich junger dazu. Ein bisschen ist der Ciclovia Alpe Adria Radweg (man beachte die zweisprachige Namensgebung!) – kurz auch, aber bisher selten CAAR – ein Etikettenschwindel, denn er führt mit Kärnten und Friaul mal gerade durch zwei der Alpen-Adria-Regionen oder simpler: Er ist schlicht nur die einfachste Radwegverbindung zwischen dem nördlichen Alpenrand von Salzburg zur Adria in Grado. Dabei schummelt er noch mit einem Bahntransfer durch die Tauernschleuse von Böckstein (Gasteiner Tal) nach Mallnitz. Kulturell erfindet sich der im Internet gut beworbene Radweg neu, so recht fehlt der Anschluss an die Alpen-Adria-Idee. Soweit ich Infotafeln entdecken konnte, widmeten sie sich nicht der spezifischen Geschichte und Kultur des Alpen-Adria-Raumes. Man könnte, so gesehen, auch jede andere Alpen-Querung so nennen – die Wege führen auch über Reschen- oder Brennerpass zur Adria, wenn man mal die einfachsten Routen nennt. Eigentlich müsste der Alpen-Adria-Radweg ja Wien mit Triest verbinden – etwa entlang der alten Südbahn zum Beispiel.

So ganz fern liegt eine weitere historische Route nicht. Die Via Julia Augusta (Augsburg – Aquileia), die im südlichen Teil etwa ab Venzone mit dem CAAR zusammenfällt, sonst aber via Salzburg, Magdalenenhöhe bei Klagenfurt, Millstätter See, Lienz, Oberdrauburg und Plöckenpass einen andere Alpenroute einschlägt (vollständigerweise sei erwähnt, dass es mehrere Verzweigungen auch in Ost-West-Richtung bis in die Provence und zur Donau gibt, ebenso wie eine Variante über Villach und Tarvis). Tatsächlich besteht bereits ein solcher Radweg schon, aber nur auf der Nordseite der Alpen zwischen Augsburg und Salzburg. Eine Projektgruppe arbeitet seit Jahren schon daran, die historische Via Julia Augusta bis zur Adria auszubauen, wobei es offenbar Überlegungen gibt, eine Abkürzung über/durch? die Hohen Tauern zu legen – also nur zwei Namen für dieselbe Strecke?


Drehkreuz zahlreicher Radwege und Radrouten einschließlich des Alpe-Adria-Radweges (Logo vergrößert): Lurnfeld an der Drau

Nicht genug der Häme, ist der Alpe-Adria-Radweg zu weiten Teilen nicht neu, sondern verläuft in Österreich fast zur Gänze auf alten Radwegen, die schon bekannt sind, wie Tauern-, Glockner- oder Drau-Radweg. Generell ist es beliebt Radwege mit Namen zu schmücken und nicht selten ballen sich gleich mehrere, auch „schöngeistige“ Titel auf ein und demselben Wegeabschnitt. Das nährt den Verdacht, dass hier mehr Radwelt verkauft werden soll als tatsächlich vorhanden ist. Diese Radwege haben auch Nummern – etwa R8 für Glockner-Radweg. Der CAAR ist auf diesen Schildern (grün, Schrift weiß) als zusätzliches Symbol aufgebracht – und wirkt da eher unauffällig (man muss schon die Nase dranschieben).

In Italien wird vielfach alte Bahntrasse zum CAAR ausgebaut – einige Teile sind aber noch nicht fertig. Verbaut hat man sehr viel Holz, wobei ich etwas erschrocken bin ob des teils sehr aufwändigen und fast mannshohen Leitplankenkanals (Holz + Metallgitter), der eher einem Laufstallkäfig zu Alcatraz gleichkommt (teils auf Gemona – Venzone, man kann den Weg dort auch zu Fuß nicht verlassen). Sicherlich bietet er eine autoverkehrsarme/-freie Alternative vornehmlich im westlichen Kanaltal, und im anschließenden Canal del Ferro (Eisen-/Fella-Tal) – dort auch eher weniger martialisch verbaut. Bergige wie verkehrsarme Alternativen finden sich jederzeit wie etwa ab Tarvisio, Resiutta oder Pontebba, ab Venzone in südlicher Richtung eröffnen sich aber auch lohnenswerte Alternativen mit leichten Hügeln oder auch ganz flach.


Italien hat doch Geld: Aufwändige Investitionen in den CAAR im aufblühenden Radreise-Hotspot Pontebba mit Routeninfos auf leuchtender Litfasssäule

Wer mit diesem Alpen-Adria-Bericht eine Beschreibung des CAAR erwartet, sei hiermit enttäuscht und auf andere Forumsbeiträge verwiesen. Trotzdem habe ich den Weg mehrfach gekreuzt und zu einem guten Teil die Region drumrum inspiziert. Es ist daher nicht ganz verfehlt sich auch als CAAR-Fahrer das eine oder andere anzulesen, da es neben offensichtlichen Steilrampen auch Empfehlungen zu einfachen Radwegen oder Radrouten geben wird. Auf jeden Fall biete ich erweiterte Alpen-Adria-Perspektiven über einen CAAR-Bericht hinaus, was meinen Alien-Forschungsmitteln geschuldet ist und natürlich der karantanischen Gesamtsichtweise.

Der Verwirrung noch nicht genüge, bezeichnet auch Slowenien eine Radroute als „adria bike“ und führt von Tarvisio über Kranjska Gora und Bled (dort ebenfalls bis Jesenice Bahntrasse und eigenständiger Radweg), Bohinj, Most na Soci, Nova Gorica, Lipica wahlweise nach Koper bzw. Portoroz oder nach Trieste, ergänzt durch eine Nebenlinie von Bovec nach Most na Soci. Dabei kann man die Strecke ähnlich wie beim CAAR mit einem Bahntransfer zwischen Bohinj und Podbrdo recht deutlich vereinfachen, hat aber gleichwohl die Möglichkeit über den Berg zu fahren. Mit Bahn ist die slowenische Variante kaum schwieriger als die friulanische, von den recht leichten Hügeln im südlichen Teil mal abgesehen. Selbst diese Hügel kann man sich ersparen, wenn man bei Kobarid nahezu eben ins italienische Natisone-Tal überwechselt und über Cividale in Friuli den CAAR-Anschluss nach Grado sucht.


adria bike bezeichnet die slowenische Alternative zum friulanischen Teil des Ciclovia Alpe Adria Radweg

Auch in Slowenien existieren neben den schönen Namen wie „adria bike“ auch parallel Radwegnummern, wobei man „adria bike“ wie andere Radwegbeschilderung (Symbole, Ortsnamen) auch ohne eine zusätzliche Nummerierung findet. Und ebenso entstehen ganz neue Radwegabschnitte abseits der Straßen, etwa zwischen Plave und Nova Gorica entlang der Soca (dort mit G-1 bezeichnet). Während die Österreicher R-Wege mit Nummern haben (national), setzen die Slowenen auf i.d.R. ein D mit einer Zahl (für Mountainbikerouten gibt es eine andere Nummerierung), fand aber auch G-2 für den adria-bike-Abschnitt bei Gorica. Weitere lokale Radwegauszeichnungen, die keiner Systematik unterliegen, ergänzen das System. Die Italiener nennen ihren CAAR auch FVG 1, wobei FVG das Regionalkürzel für Friaul/Julisch Venetien ist. Die italienisch-slowenische Achse des Kanaltals (Pontebba – Jesenice) erhält von West nach Ost sodann die Kürzel FVG 1 (bis Tarvisio), FVG 1/a (bis zur slow. Grenze, als CAAR-Seitenzweig) und D-2 (in Slowenien).

Hier ist das Radwegprojekt auch Teil einer binationalen Initiative für grenzüberschreitende Zukunftsinvestitionen in Italien und Slowenien, als solches mit „interbike“ bezeichnet. Der CAAR ist wiederum ein kombiniertes Projekt von EU als Finanzierungspartner und gleichwohl der binationalen (A/I) Förderinitiative Interreg IV, innerhalb derer die Tourismusvertreter von Salzburg, Kärnten und Friaul/Julisch Venetien die gemeinsame Arbeit für den CAAR übernahmen – angestoßen übrigens von der italienischen Seite, was gemäß der bestehenden italienischen Radwegekultur doch eher überraschend ist. Viele Köche also um einen kleinen Topf herum. Eine Alpen-Adria-Harmonisierung steht da noch aus – wäre mal eine Projektidee für die neue Alpen-Adria-Allianz.


Aufblühender Radweg-Tourismus am CAAR: Gastbetrieb mit velophiler Willkommenskultur in Venzone (Friaul)

Noch mehr, fällt auch neu(e) (belebte) Infrastruktur am CAAR auf, Übernachtungsbetriebe von privat bis Hotel richten sich gezielt an Radler, eine neue Radlerherberge (allerdings mit ungewisser Zukunft) entstand aus kommunalen Mitteln bei Fusine am grenzüberschreitenden Bahntrassenradweg zwischen Tarvisio und Jesenice und in guter Reichweite zu den Weißenfelser Seen (Laghi di Fusine). Pontebba, in manchen Reiseführern bereits mit einem Abgesang wegen der fallenden Bedeutung als Transitort bedacht, scheint wieder als Radler-Knotenpunkt neue wirtschaftliche Dynamik zu entfalten. Und auch zur slowenischen Seite umwerben zum Teil neue Campings, Gastbetriebe und Radlertankstellen den Pedaleur. Über die Nachhaltigkeit als Wirtschaftsfaktor vermag diese Entwicklung allerdings noch nichts zu sagen – zu oft konnte ich mich auch im Einzugsbereich der bekannten Radrouten recht einsam niederlassen.

Der vollständig halber sei erwähnt, dass es Alpen-Adria auch als Bike-Festival in Villach gibt, einer binationalen Veranstaltung ins angrenzende Slowenien – letztlich eher für Mountainbiker interessant. Was noch Alpen-Adria sein kann, sei nicht erschöpfend aufgezählt, aber der Alpe-Adria-Trail muss noch als „genussorientierter“ Wanderweg erwähnt werden. Nicht zuletzt habe ich das Symbol des Alpe-Adria-Trails häufiger gesehen als das des Radweges, denn der Alpe-Adria-Trail führt über die Höhen, nicht nur auf Wandertrails, sondern auch über Straßen, die eben höher oder verschlungener gelegen sind als der CAAR. Anderseits fallen auch einige Passagen des Alpe-Adria-Trails mit CAAR oder adria bike zusammen, sodass man beide Symbole zusammen vorfindet.


Nicht nur Wanderweg, auch vielfach alternative Radroute zum CAAR, manchmal auch übereinstimmend zu CAAR oder adria bike verlaufend: Der Alpe-Adria-Trail, hier auch Bahntrassenradweg im Val Rosandra durch den Triester Karst

Der Startpunkt liegt direkt am Fuße des Großglockners bei der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe (womit er in Kärnten beginnt) und entspricht auch sonst in Idee und Landschaftsspektrum weit mehr meiner Routenführung als der CAAR. Zufällig machte ich zweimal im selben Hotel Station wie ein Alpe-Adria-Wanderer, mit dem ich mich in Arriach unterhielt (nebst war er zuvor auch in Mallnitz, wenngleich sich die Wege dazwischen doch deutlich unterschieden). Der Alpe-Adria-Trail ist insofern authentischer an die historische Alpen-Adria-Region gebunden, da er immerhin auch durch Slowenien führt – er endet schließlich in Muggia – also im Golf von Trieste. Wenn man so will, ist er durchaus kompatibel mit dem Kern-Karantanien, soweit man ihm gestattet, sich auf die alpinste Umgebung auf einer Nord-Süd-Achse zu konzentrieren. Man kann den Alpe-Adria-Trail auch gut als Anschluss der Via Dinarica bemühen, wobei das Konzept der Via Dinarica natürlich freier ausgelegt ist, wie erfahrene Forumsleser wissen mögen.

Fortsetzung folgt