Re: Der Mount Helmos und der 5.8.2022

von: iassu

Re: Der Mount Helmos und der 5.8.2022 - 01.10.22 20:17

Hallo Matthias,

nein, im Kommeno bin ich nicht gewesen. Diese pure Lust am Zerstören und Quälen und Töten als Selbstzweck ist ja das, was einem an den meisten dieser Orte den Atem nimmt. Wehe, wenn sie losgelassen: ein Eindruck, der sich heute erneut einstellt beim Blick in den garnicht fernen Osten. Lügen, Zwänge und Alkohol sind dann probate Mittel, Menschen, in diesem Fall Soldaten, sich selbst zu entfremden und zu Werkzeugen anderer, keiner menschlichen Mächte zu machen. Grundmerkmale des Menschseins werden ausgeschaltet. So böse kann ein Mensch aus sich selbst heraus nicht sein. Wikipedia und andere Quellen liefern Einzelheiten.

Mein Besuch von Kalavryta 2016 hat mich erschüttert. Im Museum und am Ort des Massakers wird einem schwindelig bei der Kenntnisnahme der Ereignisse und der Details. Es geht das Kopfkino los: damals waren diese Orte zwar im Krieg, Partisanenkampf, Angst, Schrecken, Wut und Verzweiflung, aber bis zum Tag X war doch irgendwie alles äußerlich wie immer.

Kalavryta wird beschrieben als eine besonders hochstehende Kleinstadt mit kulturellen und sozialen Ansprüchen, die bis dahin Seltenheitswert hatten, auch und gerade in der griechischen Provinz. Das Kopfkino spielt mit der Idee des jetzt und heute. Gewiss, die Kriegs-Alltag-Voraussetzungen fehlen gänzlich. Aber einige 100e km weiter östlich sind sie Realität.

Die Umschaltung von gerade noch Normalität und jetzt einem sich verwirklichenden Bösen als Selbstzweck: wo und wie geschieht das? Gibt es Merkmale, die solche Entwicklungen vorbereiten? Was passiert gerade jetzt um mich herum, dort, wo ich gewohnt bin, Normalität um mich zu haben?

Man läuft durch diese Orte und fragt sich: das war 1943. Gemessen an geschichtlichen Zeitdimensionen ein Fliegenschiß. Wie vorgestern. Und irgendwie bleibt da was. Kann sich ein solcher Ort von derart Unbeschreiblichem erholen? Kalavryta sieht man, besser spürt man erstmal nichts derartiges an. Was aber, wenn man die Stadt vorher gekannt hätte? Ist da heute, zumal wenn die Touristen weg sind, eine Grundlähmung spürbar?

Vielleicht wollen viele oder die meisten Jetzigen von "damals" nichts mehr hören, wollen ihr heutiges Leben nicht immer und immer in Verbindung mit dem 13.12.1943 gebracht sehen oder sich gar als eine Art begaffenswerte Nachkommenschaft der Opfer reduziert wissen. Vor dem Museum und oben am Massakerort konnte ich auch später jetzt keine Besucheranstürme erleben. Ist das gut so? Ich kann es nicht bewerten.

Und dann gibt es da noch den Schatten dessen, daß Nationalitäten heute nurmehr Wahnideen sein können und sollten, aber daß die Realität dem nicht überall entspricht. Ich habe in den 41 Jahren Griechenland zwar nie Resentiments erlebt, die mir als Deutschem gegenüber gebracht worden wären. Ob es aber auch keine gab, oder ob das eben nicht gezeigt wurde, keine Ahnung. (Was ich in den Achtzigern erlebt habe, war eine Glorifizierung des Partisanenkampfs in Nordgriechenland. Der Feind schien dabei austauschbar: Türken, Deutsche, Bürgerkriegsfeinde.) Dennoch beschleicht mich ein Schamgefühl, als Deutscher weniger als drei Generationen später an solche Orte zu kommen.

Ich habe glaube ich insgesamt 4 solcher Orte besucht und bin nicht mehr derselbe geblieben wie davor.