von: Flori
Re: Rieseln stocken fließen - 03.07.25 05:59
Aquarell mit Torhalle
Vom Himmel fällt verdünnte Tinte,
Verdigris von Rohrer & Klingner,
über Heidelberg verteilt
mit einer Kalligraphie-Feder
Zumindest nach Lorsch,
zumindest einmal durch die Torhalle schieben
Der Matsch auf den Wegen
blockiert die Mechanik
meiner 2-Gang-Schaltung
reduziert sie
zur 1-Gang-Schaltung
Am Bahnhof Lorsch warten
wir keine fünf Minuten
Umstieg in Worms
Zähe Masse
Durch leere Mainzer Gassen
geht es sich entspannt, aber wehe,
du betrittst abends eine Weinstube,
oder das Gutenberg-Museum am Morgen
Die französischen Lehrer
lassen ihre Klasse laufen,
auch in einen laufenden
Vortrag in fremder Sprache
Druckerschwärze ist zäh
du kannst den Topf
fünf Minuten kopfüber halten
Sie fließt nicht heraus
Aus dem verdunkelten Raum
mit den Gutenberg-Bibeln
rempelt mich eine
amerikanische Gruppe
Meine schwarzen Blicke
an diesem Morgen tragen
bestimmt nicht bei
zur Völkerverständigung
Nächstes Mal später kommen,
empfiehlt der Aufseher am Selfie-Drucker
Wir streiten uns alle
um die Nachmittagsdienste
Wiesen statt Weinberge
Der Lieblingswinzer war bisher
ein Name auf einem Etikett
eine Marke aus dem Internet
Hier steht er im Lager und schimpft
auf die Radfahrer
auf den Klimawandel
auf die Bürokratie
Die Bürokratie?
Das ist die Arbeit nach der Arbeit
Kein Wunder, wenn keiner mehr Weinbauer sein will
Meine Tochter sagt, ich hab 30 Urlaubstage
und verdiene jetzt schon mehr als du
und kann ins Krankenhaus gehen, wenn ich krank bin
Der Klimawandel? Wir brauchen das Wasser
Er hat den Politikern schon
vor 20 Jahren gesagt, das Wasser
müssen wir einfangen,
da hieß es, ja klar, machen wir
Wieso die Radfahrer? Obacht, sage ich,
wir sind Radfahrer,
fühle mich mitgemeint
Ich bin auch Radfahrer, sagt er
Aber wenn er mit dem Trecker durch den Weinberg fährt,
wird er beschimpft als Giftspritzer
Das können Sie trinken, sage ich denen,
das ist nur Backpulver
Dann sagen die, das glaub ich Ihnen nicht
Er hat keine Nachfolgerin
Die Leute trinken keinen Wein mehr
In der Zeitung stand zuletzt Wiesen
statt Weinberge, das zitiert er
zweimal
Wir bekommen für unseren Gutschein
zwei Flaschen vom Besten
(er ist kein hochpreisiger,
preisgekrönter Winzer,
eher ein bodenständiger)
Ich fotografiere die Übergabe
Er lässt es sich nicht nehmen,
das Lager aufzuräumen fürs Bild
Ich kann auch lachen
nicht nur schimpfen
Name geändert, d. Red.
Was ich aufschreibe,
hab ich gefunden
dann neu erfunden
Es gibt diese Band,
auch das kleine Geschäft,
die Not in der Notaufnahme,
und wirklich noch Winzer
Ich habe sie auf Papier rekonstruiert
nach bestem Gewissen, oder vielmehr
mit schlechtem Gewissen:
wie kann ich es wissen
Eigentlich erfinde ich
lieber vergangene Zeiten,
ein persönliches Mittelalter,
obwohl das auch fast vorbei ist
Nichts stimmt,
alles schwimmt
oder sinkt
Die Dame nebenan
Sie kennt Fortuna Ehrenfeld nicht
Sie geht oft ins Unterhaus,
sieht unbekannte Künstler
Und dann nuschelt der
so seltsame Texte
Eine Mischung, sagt sie,
aus Herbert Grönemeyer
und Konstantin Wecker
Und dann alle:
Hurensohn
Wein und Wasser
Fortuna Ehrenfeld
solo am Klavier
Martin Bechler tritt auf
mit Iro und Rotwein
Das schlechtestbesuchte
Konzert der Tour
Vor dem ersten Ton
der erste Schluck
Wenn der Winzer sagt,
niemand trinkt mehr Wein,
kann Martin Bechler
nicht gemeint sein
Er verspricht, so zu spielen,
dass die es bereuen
die nicht hier sitzen
auf den leeren Stühlen
Bechler verspielt
sich immer öfter
Nach der Pause
trinkt er Wasser
Bechler berichtet
von Konzerten in Orten
wo 60 Prozent
Faschisten wählen
Nicht die 800
im Publikum,
aber die am Einlass
und an der Garderobe
Dann erzählt Bechler
eine Parabel
über eine Alice
und über Verführung
Ich geb die Geschichte
hier nicht wieder,
es ist schließlich seine
Ich sag nur das eine
Das Ende bleibt offen
Bechler schweigt
Gedanken strömen
oder tropfen
Ein wenig zu lange
für manche im Saal
Eine Stimme hallt:
Und dann?
Aufbruch
Und nun?, frage ich,
als am nächsten Morgen
der Regen Synkopen
aufs barocke Dach klopft
wie ein defekter Drum-Computer
Wo fließt er hin,
versickert oder heilt,
steht ab und stinkt
oder fließt und reißt mit?
Macht er auch mal kehrt?
Wo und wann?
Was dann?
Interner Vermerk
In diesem Notizbuch von Leuchtturm verbleiben
128 leere Seiten
Vom Himmel fällt verdünnte Tinte,
Verdigris von Rohrer & Klingner,
über Heidelberg verteilt
mit einer Kalligraphie-Feder
Zumindest nach Lorsch,
zumindest einmal durch die Torhalle schieben
Der Matsch auf den Wegen
blockiert die Mechanik
meiner 2-Gang-Schaltung
reduziert sie
zur 1-Gang-Schaltung
Am Bahnhof Lorsch warten
wir keine fünf Minuten
Umstieg in Worms
Zähe Masse
Durch leere Mainzer Gassen
geht es sich entspannt, aber wehe,
du betrittst abends eine Weinstube,
oder das Gutenberg-Museum am Morgen
Die französischen Lehrer
lassen ihre Klasse laufen,
auch in einen laufenden
Vortrag in fremder Sprache
Druckerschwärze ist zäh
du kannst den Topf
fünf Minuten kopfüber halten
Sie fließt nicht heraus
Aus dem verdunkelten Raum
mit den Gutenberg-Bibeln
rempelt mich eine
amerikanische Gruppe
Meine schwarzen Blicke
an diesem Morgen tragen
bestimmt nicht bei
zur Völkerverständigung
Nächstes Mal später kommen,
empfiehlt der Aufseher am Selfie-Drucker
Wir streiten uns alle
um die Nachmittagsdienste
Wiesen statt Weinberge
Der Lieblingswinzer war bisher
ein Name auf einem Etikett
eine Marke aus dem Internet
Hier steht er im Lager und schimpft
auf die Radfahrer
auf den Klimawandel
auf die Bürokratie
Die Bürokratie?
Das ist die Arbeit nach der Arbeit
Kein Wunder, wenn keiner mehr Weinbauer sein will
Meine Tochter sagt, ich hab 30 Urlaubstage
und verdiene jetzt schon mehr als du
und kann ins Krankenhaus gehen, wenn ich krank bin
Der Klimawandel? Wir brauchen das Wasser
Er hat den Politikern schon
vor 20 Jahren gesagt, das Wasser
müssen wir einfangen,
da hieß es, ja klar, machen wir
Wieso die Radfahrer? Obacht, sage ich,
wir sind Radfahrer,
fühle mich mitgemeint
Ich bin auch Radfahrer, sagt er
Aber wenn er mit dem Trecker durch den Weinberg fährt,
wird er beschimpft als Giftspritzer
Das können Sie trinken, sage ich denen,
das ist nur Backpulver
Dann sagen die, das glaub ich Ihnen nicht
Er hat keine Nachfolgerin
Die Leute trinken keinen Wein mehr
In der Zeitung stand zuletzt Wiesen
statt Weinberge, das zitiert er
zweimal
Wir bekommen für unseren Gutschein
zwei Flaschen vom Besten
(er ist kein hochpreisiger,
preisgekrönter Winzer,
eher ein bodenständiger)
Ich fotografiere die Übergabe
Er lässt es sich nicht nehmen,
das Lager aufzuräumen fürs Bild
Ich kann auch lachen
nicht nur schimpfen
Name geändert, d. Red.
Was ich aufschreibe,
hab ich gefunden
dann neu erfunden
Es gibt diese Band,
auch das kleine Geschäft,
die Not in der Notaufnahme,
und wirklich noch Winzer
Ich habe sie auf Papier rekonstruiert
nach bestem Gewissen, oder vielmehr
mit schlechtem Gewissen:
wie kann ich es wissen
Eigentlich erfinde ich
lieber vergangene Zeiten,
ein persönliches Mittelalter,
obwohl das auch fast vorbei ist
Nichts stimmt,
alles schwimmt
oder sinkt
Die Dame nebenan
Sie kennt Fortuna Ehrenfeld nicht
Sie geht oft ins Unterhaus,
sieht unbekannte Künstler
Und dann nuschelt der
so seltsame Texte
Eine Mischung, sagt sie,
aus Herbert Grönemeyer
und Konstantin Wecker
Und dann alle:


Wein und Wasser
Fortuna Ehrenfeld
solo am Klavier
Martin Bechler tritt auf
mit Iro und Rotwein
Das schlechtestbesuchte
Konzert der Tour
Vor dem ersten Ton
der erste Schluck
Wenn der Winzer sagt,
niemand trinkt mehr Wein,
kann Martin Bechler
nicht gemeint sein
Er verspricht, so zu spielen,
dass die es bereuen
die nicht hier sitzen
auf den leeren Stühlen
Bechler verspielt
sich immer öfter
Nach der Pause
trinkt er Wasser
Bechler berichtet
von Konzerten in Orten
wo 60 Prozent
Faschisten wählen
Nicht die 800
im Publikum,
aber die am Einlass
und an der Garderobe
Dann erzählt Bechler
eine Parabel
über eine Alice
und über Verführung
Ich geb die Geschichte
hier nicht wieder,
es ist schließlich seine
Ich sag nur das eine
Das Ende bleibt offen
Bechler schweigt
Gedanken strömen
oder tropfen
Ein wenig zu lange
für manche im Saal
Eine Stimme hallt:
Und dann?
Aufbruch
Und nun?, frage ich,
als am nächsten Morgen
der Regen Synkopen
aufs barocke Dach klopft
wie ein defekter Drum-Computer
Wo fließt er hin,
versickert oder heilt,
steht ab und stinkt
oder fließt und reißt mit?
Macht er auch mal kehrt?
Wo und wann?
Was dann?
Interner Vermerk
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