die 13. Tür - die verflixte verspätet

von: veloträumer

die 13. Tür - die verflixte verspätet - 14.12.13 15:57

KAPITEL VII
Dalmatien neu entdeckt: Teuflische Himmelsleiter im steinernen Meer, Adriaträume unter Palmen, weiße Insel-Schönheiten und vergessene Flecken im Minenland

Musik: Der in Kroatien gebürtige und in den Niederlanden lebende Gitarrist Ratko Zjaca verbindet moderne, innovative Jazztexturen zuweilen mit dezenten, dekonstruierten folkloren Elementen, wobei in der Zusammenarbeit mit dem italienischen Akkordeonisten Simone Zancchini, dem amerikanischen Drummer Adam Nussbaum und dem mazedonisch-gebürtigen, in Deutschland lebenden Bassisten Martin Gjakonovski ein vielschichtiges Kaleidoskop an Klängen unterschiedlicher musikalischer Herkunft in neu gedachter Universalität entsteht: ZZ Quartet „Twilight time again“ (6:43 min.)..

Di 9.7. Grude – Imotski – Grubine – Mikote (636 m) – Zagvozd – Turija (715 m) – Kosica – Dragljane
73 km | 13,2 km/h | 5:29 h | 1015 Hm
W: schwül, sonnig, nachmittags Wolken, Gewitter, max. ca. 35 °C
E: SV
Ü: C wild 0 €

Die auffällige Wohlhabenheit in der kroatischen Herzegowina lässt vor allem an zwei Dingen ablesen: Strohbesen und Gartenzwergen. lach Der Drang zur gefegten Sauberkeit findet immer dann statt, wenn die wesentlichen Dinge des Lebens bereits im Griff sind. Der Gartenzwerg schließlich symbolisiert die kleinbürgerliche Wohlstandgrenze. Entsprechend gut ist das Angebot aus Bau- und Gartenmärkten, alle Häuser sind auch äußerlich im Topzustand, die Gärten gepflegt und gestreichelt und auch die Autos erfreuen sich an zahlreichen Heilanstalten, wo auch Neuwagen in ausreichender Menge feilgeboten werden. Auch die Postgebäude sind in der Herzegowina proper rausgeputzt, später in Kroatien ebenso. In dieser Umgebung sind Geschenke schon fast wieder unerwartet großherzige Gesten. So wurde ich hier mit Feigen und Pflaumen von einem alten Einheimischen aus dem Auto beglückt.

Auf der Strecke bis zur Grenze finde ich gar zwei Radgeschäfte vor. Der direkt in Grude ist eher ein Schrauberladen – es scheint, dass er ausschließlich gebrauchtes Material verwertet – Neuräder sah ich nicht durch das Schaufenster. Den zweiten Laden habe ich besucht, konnte aber leider kein Gespräch mit dem Ladeninhaber führen, da er über keinerlei Englischkenntnisse verfügte. Hier gab es aber ausschließlich Neuware und zumindest schien mir das Ersatzteillager gut gefüllt (z. B. Laufräder). Ich hätte natürlich gerne etwas über den Radmarkt in der Provinz erfahren. Aber wo es Strohbesen und Gartenzwerge gibt, wird wohl auch Radgefahren. Radfahren als Zeichen des Wohlstands soll ja ein moderner Trend sein. Es gibt sogar Gerüchte, dass Markenräder Ausdruck aristokratischer Lebensweise sein sollen. zwinker

Wie schon in der Einführung erwähnt, kündigt sich Kroatien weit vor der Grenze durch allfällige nationale Symbole an. Die Grenze selbst ist dann ein Klassiker – viele Shops mit Massenware (Bekleidung), offenbar auch von Kroaten genutzt in der günstigeren Herzegowina einzukaufen. Jetzt also die dritte Währung der Reise, obwohl die Konvertible Mark in BiH eigentlich verkappte Euros sind, weil es einen fixen Wechselkurs gibt. Selbst die Kuna ist nicht so richtig frei konvertibel, der Kurs ist schon seit Jahren weitgehend stabil bis fixiert. Da sieht man auch, dass diese ganze Währungsspekulation ein exklusives Theater für Finanzjongleure ist, in dem die Zuschauer ab und zu ihre Arbeitsplätze abgeben müssen und in Armut verfallen dürfen, um am Ende der Vorstellung von den Monetenmagieren zu erfahren: „Ätsch, war nur ein Spiel. Unsere Taschen sind jetzt voll mit Dukaten, jetzt bekommt ihr euer Geld unverändert wieder.“ böse

Die Höhenzüge des Biokovo sind in der Ferne schon auf der Strecke nach Imotski zu erkennen. Zuvor aber Imotski, geschäftiges Städtchen und mit ein paar Besonderheiten. Unmittelbar am Stadtrand liegt ein großer Karsttrichter mit einem See darin – dem Blauen See. Besonders intensiv dunkel ist des Blau, in einer Parkanlage kann man den See oberhalb umrunden, aber auch nach unten gelangen und baden. Die Parkanlage geht auf einen Besuch von Kaiser Franz Joseph zurück. Der Rundgang informiert aber auch über die wehmütigen Liebesballaden, die hier im Angesicht der sagenhaften Karstphänomene gedichtet wurden. Der Blaue See kann im Sommer auch ganz austrocknen, sodann findet dort ein Fußspiel statt. Neben dem Blauen See gibt es noch ein Stück weiter den Roten See, den ich aber nicht besucht habe. Dieser Trichter ist noch extremer, zwar schmaler, insgesamt ca. 500 m tief und mit einer Wassertiefe von ca. 270 m reicht der Seeboden unter den Meeresspiegel. Verworrene Zuflüsse in großer Tiefe speisen den See mit Wasser.

Die schier unerträgliche Schwüle des Tages wird nachmittags ein wenig durch ein Gewitter weggespült. Das Donnerwetter meldet sich ausgerechnet, nachdem ich das Pfarrhaus in Zagvozd verlassen hatte, indem ich eingangs erwähntes Gespräch mit dem Zuffenhausen-erfahrenen Pfarrer führte. Man mag da wieder himmlische Kräfte vermuten, die mir irgendetwas sagen wollten. grins Zagvozd, nunmehr mit dem Straßentunnel durch den Biokovo bedeutender geworden, verfügt über eine recht eindrückliche Doppelturmkirche, ansonsten ist der Ort aber schlicht. Der Weg dorthin von Imotski führt durch recht offenes Karstland über mehrere Hügel.

Durch die Autobahn ist die Nebenstrecke über den Turija-Pass (kleiner Tunnel) ziemlich verwaist und als Radroute ausgeschrieben. Im Schatten des Sveti Jure (auch kurz im Blickfeld) radelt man ganz hübsch durch bereits typische Biokovo-Vegetation. Die Südostseite fällt steiler ab, das Tal weit geschnitten, die Autobahn thront weit oben, bis man irgendwann bei Kozica sich auf gleicher Höhe befindet. Der Versuch, diese Route und auch Nebenwege als Rad- und Wanderregion zu etablieren, ist zwar gemäß den Schildern erkennbar, aber es fehlt noch am ernsten Willen, dass auch umzusetzen. Denn viele Gastbetriebe, die demnach angeblich in Betrieb sein sollen, sind verwaist. So ist denn auch die ganze Strecke ohne jede Verpflegungsmöglichkeit – man müsste schon bis Vrgorac durchradeln. Ich begnüge mich mit meinen Vorräten an einem Brunnen und schlage in der Nähe ein wildes Nachtlager auf.

Mi 10.7. Dragljane – Vlaka – Dragljane – Ravca – Brikva – Hrastovac/Vrata Kapela (601 m) – Saranac (730 m) – Vrata Biokova (897 m) – Sveti Jurje (1762 m) – Vrata Biokova – Podgora
87 km | 10,6 km/h | 8:16 h | 1925 Hm
W: sonnig, mittags Gewitter, danach teils bewölkt, auf dem Sveti Jure windig und kühl
E (Vrata Biokova): Froschschenkel m. Kart., Polenta, Wurst, Schinken, 2 x Salbeisaft 23,30 € (+ Kräuterschnaps gratis)
E (Taverna Berak): Rumpsteak m. Trüffeln/Olivensauce, Bratkart., Bier, Eis Bananasplit 23,50 €
Ü: C Sutikla 13,10 €

Den Versuch, eine Abkürzung zwischen Vlaka und Brikva zu fahren, musste ich aufgeben. Ein Einheimischer warnte mich eindringlich den Weg einzuschlagen, da dieser bestialisch steil wäre. Wohl auch ist er nicht durchgehend asphaltiert, denn bei Brikva konnte ich später keine wirkliche Straßeneinmündung erkennen. Immerhin fand ich so über Ravca beim Aufstieg in Kljenak ein Restaurant, um ein kleines Frühstück einzunehmen, da doch mittlerweile meine Vorräte aufgebraucht waren. Meine Route hier über ein paar Zwischenhöhen ist etwas verwegen, da ich statt der offiziellen Sveti-Jure-Route die Variante über den Saranac-Pass suche. Dort zweigt eine Schotterpiste zu Vrata Biokova ab, einer Kapelle nebst dem eingangs schon vorgestellten Landgasthof an der Mautstraße zum Sveti Jure. Die Schotterpiste ist auch nicht ganz einfach, aber machbar, enthält ebenfalls eine Zwischenmulde. Man fährt durch ein grelles Steinmeer, mit einer kargen, aber doch eigenen Vegetation. Nach der Mittagsrast bei Vrata Biokova stand die große Himmels- oder auch Teufelsleiter vor meinen Augen. Nicht zuletzt auch der Inspiration des Vortages geschuldet, wirkte das Erlebnis der Auffahrt zum Sveti Jure so nach, dass ich sie am besten in einem (eigenen) Gedicht fassen kann:

Biokovo Diavolo

Der Himmel ist Stein,
Stein ist Fels,
fällt güldener Glanz,
ganz im Spiegel,
Bibel im Meer,
mehr schweigt als spricht,
nicht hört die Glocke,
locke Gottes Kapelle,
Schwelle zum Teufel,
Läufer auf Reifen,
gleich auf dem Gipfel,
der Wichtel! –
Unerhört!

Der Stille gelauscht,
berauscht die Sinne,
gewinne das Herz,
schmerzhaft spricht,
Licht im Farbenfächer,
schwächer die Sonne,
Wonne mild gelächelt,
gefällt den Lippen,
nippen am Licht,
bricht im Fels,
Fels aus Stein.
Allein! –
Dir Gehört!

Am Ende des Tages mit der rasanten Abfahrt stehen Sonnuntergangsimpressionen und der Trubelort Podgora direkt am Meer. Der übervolle Camping ist natürlich keine wirkliche Oase, Richtung Makarska aber der nächst gelegene. Auf der Uferpromenade tummelt auch noch spät das unbeschwerte Vergnügungsvolk. Die teuren Cocktailkneipen laufen aber schlechter als ihre Betreiber wünschen. Es müsste sich eigentlich mal rumsprechen, dass die Klasse der Geldschleuderer immer kleiner wird. Die auseinander schnappende soziale Schere spürt man mittlerweile an allen Urlaubsorten – von der Costa Brava bis zur Makarska-Riviera. Podgora ist letztlich mehr Jedermann-Neckermann- als Edelmann-Pullman-Tourismus.

Do 11.7. Podgora – Makarska 11:00 || Fähre 9,25 € || 12:00 Sumartin – Gornji Humac – Praznica – Pucisca – Postira – Supetar
79 km | 12,3 km/h | 6:24 h | 1250 Hm
W: sonnig, heiß, nachmittags gewittrig, abends wieder sonnig
E (Konaba Lukin): Tintenfischrisotto, Miesmuscheln im Sud, Rw, Wasser, Cafe 26 €
Ü: C Supetar 7,30 €

Podgora schläft noch, aber die Handtücher liegen schon am Strand. Teutonische Platzkarten – wohl nicht nur von Teutonen ausgelegt. Die Strandpromenaden lassen sich am Morgen gut abradeln – noch ist wenig Volk unterwegs – Joggerinnen, eine Seilspringerin, vor den Bäckereien stehen Einheimische und Touristen einträchtig in der Schlange. Die Morgenstimmungen sind wunderbar, schon ein Hauch erotischer Strandschönheiten dort, und hier auf dem Tisch der Capuccino mit Croissant. Ich lebe heute das Urlaubsklischee aus. Makarska ist schön. Die Strände, die kleinen Orte, die Promenaden, die Menschen und die Stadt selbst. Lange muss ich auf die Fähre warten, genug um Eindrücke zu sammeln – Markt, Kunst, Sommermode, Fischkutter, frischer Tintenfisch, Palmen, Tauben im Brunnen – und das Meer.

Ankunft Brac. Der Paradestrand in Bol ist mir zu weit durch die Mittagshitze entfernt, ich ziehe in Sumartin eine Strandnische vor. Ein alter, angerosteter Fischkutter liefert die Kulisse – kein Sand, kein Goldenes Horn – und doch ein Traum am Meer. Die überziehende Wetterfront ist das endgültige Aus für den Abstecher nach Bol. Doch Brac bietet mehr. Ich bin verblüfft in der Inselmitte – Praznica ist ein wunderbares Kleinod, heimelig, mediterran, bäuerlich, ursprünglich. Auch abwärts schöne Kulturlandschaft: Steinmauern, regelmäßige Olivenbaumterrassen, liebliche Weingärten. Wieder am Meer: Kalk ist Karst – ist schön: In Pucisca sind die meisten Gebäude aus dem eigenen, edlen Kalk, der an der Spitze der Bucht abgebaut wird. Pucisca ist lebenswert, auch Urlaubsort, aber nicht überlaufen. Überall gibt es Kalk als Kunsthandwerk – Vasen, Uhren, schöne Sachen – auch für die Handtasche. Der Ausflug zum Leuchtturm an die Spitze der Bucht (gegenüber der Abbauhalde) lohnt: Gestreng grüne Kiefern treffen tiefes Adriablau. Am Leuchtturm ist schon Sonnenuntergangsstimmung – einfach schön, der Inselkarst.

Die Strecke nach Supetar ist reizvoll – Postira, Splitska sind schön gelegene Orte – dazu gibt es viel unbefleckte Meerblicke, auch weit hinüber zum Biokovo drüben oder in die Zwischentäler mit noch mehr Weinbergen hier. Der Camping in Supetar ist ein angenehmer (schattiger) Kiefernplatz, offenbar gibt es sogar Radreisekollegen, bekomme sie aber nicht zu Gesicht. Ich bin spät, schon dunkel – in der Stadt tobt noch das Nachtleben. Eine Techno-Parade, DJs auf Karnevalswagen, kaum ein Durchkommen, orgiastischer Lärm, die Jugend jubelt – wo bleibt meine Jugend? – Ist Sehnsucht nach Ruhe ein Alterszeichen?

Fr 12.7. Supetar 6:30 || Fähre 9,25 € || 7:45 Split – (Klis) – Prugovo – ? (618 m) – Gornji Muc – Gornje Postinje – Gradac – Otavice – Parcic – Lemes (854 m) – Vrlika
94 km | 12,7 km/h | 7:22 h | 1520 Hm
W: sonnig, mittags Gewitter, lange regnerisch, abends sonnig, max. 30 °C
E (Konoba): Haxe, PF, Bier, Desert 11,50 €
Ü: C wild 0 €

Ich hätte zwar abends noch die Spätfähre nehmen können, doch hätte ich in oder um Split Unterkunft suchen müssen. Das ist weniger ratsam, Campingplätze sind fern der Stadt. Bereits gefrühstückt an Bord, habe ich auch so gute Startkarten. Split, 2003 bereits als Etappenort gewürdigt, versuche ich auf schnellstem Weg zu verlassen. Ich glaube über die Hauptstraßen schneller zu sein als über die Parkroute am Meer. Das ist ein Irrtum. Die Ausschilderung ist mäßig bis schlecht – zu Auto-orientiert. Statt nach Klis gelange ich auf die Kraftfahrtstraße gegenüber (noch nicht ganz fertig gebaut). Zwar ist Radfahren verboten, aber es gibt schnell kein zurück mehr. Den Berg hoch ist der Verkehr brachial, auch laute Tunnels, einige drücken noch zusätzlich auf die Hupe. böse Erst oberhalb der Klis-Höhe kommt die nächste Ausfahrt. Statt der geografisch logischen Ausschilderung Sinj hätte ich unten Richtung Trogir folgen müssen, in Solin befindet sich dann der eigentliche Abzweig nach Klis.

Wieder ist der Tag schwül, der Regen kommt diesmal recht früh. Diese Wetterlagen machen müde. Nach einer weiteren Höhe öffnet sich eine Ebene mit einem neuen Asphaltband, Windmühlen auf den Bergen. Seltsame Hochebene, ich denke an spanische Meseta. Doch die Landschaft wird wieder kleinteiliger. In Progovo gibt es einen schönen Pfarrgarten mit Lavendel – Schwalbenschwänze flattern umher. Die rechte Oase für ein kleines Nickerchen.

Nach Gornji Muc bildet die Vrba ein erstaunlich fruchtbares Tal – Gemüse, Obst, auch Weinreben werden angebaut. Keine reiche Gegend, dennoch weniger einsam als gedacht. Zagora gehört zu den weitgehend unbekannten, tourismusfernen Regionen Kroatiens. Nach einem Hochpunkt breitet sich eine Polje bei Otavice aus. Kleine Dörfer, Felderwirtschaft, liebliche Landschaftsbilder. Außerhalb von Otavice zweigt eine schnurgerade Allee von der Straße ab. Sie führt auf einen Hügel zu, auf der ein markanter, geometrisch geradliniger Kuppelbau steht. Es handelt sich um die Kirche des Heiligen Erlösers, zugleich aber auch Mausoleum und Familiengruft seines Erbauers Ivan Mestrovic, der seinerseits zu den bedeutendsten Künstlern Kroatiens zählt. Das Bauwerk kombiniert klassische antike Bauweisen und mit modernen, funktionalen geometrischen Linien. Die dekorative Besonderheit des Bauwerks, eine Tür mit Bronzereliefs mit Porträts der Mestrovic-Familie, wurde im Verlauf des Kroatienkrieges wie auch alle anderen beweglichen Teile entwendet und bis heute nicht wiedergefunden. Mestrovic war vornehmlich Bildhauer und Architekt, verfasste aber auch literarische und politische Schriften. Neben wichtigen Werken in Cavtat, Split und Zagreb wurde er international auch durch das Indianer-Denkmal in Chicago bekannt. Das Mausoleum war bereits Thema von Bilderrätsel 828.

An der Verzweigung nach Drinis und Knin ist die dritte Richtung nach Vrlika nicht ausgeschildert. Erkennbar ist die Straße daran, dass es gleich steil nach oben geht. Nach der ersten Hürde folgt endlose Weite, große Einsamkeit – eine Gerade fast ohne Horizont als wäre man in einer fernen asiatischen Steppe. Auf der Passhöhe, zuvor steil über eine große Kehre zu erklimmen, steht der Stern des Abends gerötet am Horizont, menschenleer, atemstill, mildes Licht über Minenfeldern. Ein Schild kündigt Vrlika an, mit einer Burgruine weit über der Stadt. Man trifft sich abends in Bars, Cafes – das Treiben täuscht, es gibt nicht viel Ablenkung. Das einzige Restaurant im Ort liegt unterhalb an der Transitachse Sinj – Knin. Besucher sind jedoch selten, der Verkehr ist tagsüber gering, nachts schweigt er.

Keine Unterkunft, in der Nacht erkenne ich keine freien Wiesen. So hole ich mir Beistand bei den Toten. Hinter der Friedhofskapelle gibt es sogar geeigneten Zeltgrund. Die Überraschung folgt dann am Morgen. Obwohl ich ja zu nächtlicher Stunde durch das Tor bin, war am nächsten Morgen selbiges abgeschlossen. Die Mauern hätten eine kaum überwindbare Hürde bedeutet. Dass ich nicht lange auf Türöffnung warten musste, verdanke ich einer wohl frühmorgendlichen Totenveranstaltung, die im Anmarsch war. Der Friedhofswärter machte einen Eindruck zwischen unbeteiligter Neugier und Desinteresse, als ich wie von den Toten auferstanden das nächtliche Geistertreffen mit aufgesatteltem Velo verließ. Wer hat auch schon mal einen Auferstandenen mit Fahrrad gesehen? Nicht mal von Jesus ist solches überliefert. – Das erzählt man lieber keinem, dem glaubt man eh nicht. grins

Sa 13.7. Vrlika – Vrelo Cetine – Kijevo – Krsko vrelo – Kovacic/Topolski slap – Knin – Raducic – Ervenik – Kastel Zegarski – Bilisane – Obrovac
111 km | 13,8 km/h | 8:04 h | 875 Hm
W: sonnig, heiß, später Wolken in Knin, Gewitter südlich
E: SV
Ü: C wild 0 €

Über meine neu gewonnene Freiheit darf ich mich gleich bei nebelgehauchter Morgenromantik über den Feuchtwiesen am Purucko jezero freuen. Der See ist von Vrlika und der nördlichen Umfahrung aus nicht sichtbar. Hinweis: Zum nördlichen Ufer gibt es eine Straße, auf der man zu dem Ruderzentrum Garjak gelangt. Dort bestehen verschiedene Wassersportmöglichkeiten und auch eine Festunterkunft ist vorhanden. Speise- und Campingsymbol standen nicht auf der Hinweistafel. Garantiert mit Essensmöglichkeit gibt es ein Motel an der Transitstrecke etwa mittig zwischen Vrlika und Kijevo.

Ich folge dem Oberlauf der Cetina, die zu ebenso unterschiedlichen wie stimmungsvollen Flusslandschaften im dalmatinischen Hinterland beiträgt. Während der Unterlauf bei Omis für einen Canyon mit Rafting-Möglichkeiten bekannt ist, finden sich hier im entlegenen Quellgebiet viele stille idyllische Flecken. Genau genommen verfügt die Cetina über acht Karstquellen, als die Hauptquelle gilt aber der kleine Rundsee Glavasevo, unmittel nahe auch noch eine hübsche Kirche. Das besondere Blau des Quellsees zeugt wiederum von der großen Tiefe, die etwa bei 130 m liegen soll. Bei meinem Besuch hatten Taucher dort ein Camp aufgeschlagen, die den Karstgeheimnissen auf den Grund gehen wollten. Auch oberhalb der Quellaue findet man berauschende Farbspiele vor allem in Gelb durch blumenreiche, honigduftende Hügel. Entgegen einem Karteneintrag gibt es die abkürzende Route direkt nach Kijevo nur als Schotterpiste (hier bin ich lieber den Asphaltumweg gefahren).

Diese Region der Idylle ist gleichzeitig eine Gegend des Grauens. Die Serben unter Ratko Mladic machten den Ort Kijevo dem Erdboden gleich, weil eine kroatische Insel inmitten von durch Serben bewohnten Ortschaften. Ethnische Säuberung heißt das, wie Waschmittel und Schrubber gegen Bakterien, Faulgeruch und Wollmäuse auf Bodenparkett. Der Mensch wischt den anderen Menschen weg wie Dreck und spült ihn in die Abgründe der Ewigkeit. Zurück bleibt der Saubermann, der merkt, dass er nach Putzmittel stinkt. Die Nase sagt: Der Mensch bleibt schmutzig und schuldig, solange er die Messer und Kanonen nicht vergräbt – in die Erdschichten der Ewigkeit. Und das wird wohl noch dauern. Die weithin sichtbare Kirche mit Doppeltürmen auf dem Hügel wurde mittlerweile wieder aufgebaut, jedoch zeigt sich auch das Problem der der Kriegsregionen im ländlichen Kroatien: Heute wohnt nur noch ein Drittel der Einwohner in Kijevo als noch vor dem Krieg 1991.

Ruinen von Bauern- und Mühlenhäusern finden sich sodann an der Strecke entlang der Krcic. Diese recht gut fahrbare Piste ist exklusiv als Radstrecke ausgeschildert und ein Genießertipp. Schwärme von pastellfarbenen Bläulingen bedecken den Boden. Bläulinge sind blau – so denkt man. Hier sind sie grün, orange, gelb. Farben sind nie echt. Farben sind Stimmungen, Reflektionen, Spektren verschiedener Perspektiven. Die Ruinen sind heute schon teils überwuchert und liefern ein romantisches Bild in der sich zunehmend zu einer Schlucht verengenden Route. Die wohl auch früher zur Bewässerung genutzten Staustufen kann man heute zum Teil gut erreichbar zum Baden nutzen. Weiter unten zum Schluchtende trifft die Krcic ihrerseits auf den Quellwasserfall der Krka (Topoljski buk, Topolski slap), dessen Pracht von der je nach Jahreszeit schwankenden Wassermenge abhängt. Hier wurden sogar die Häusersockel der Kriegesruinen explizit auf einheitliche Höhe abgetragen und als Badebecken hergerichtet, in denen sich die halbstarke Jugend austobt. Der Krieg geht baden!

Durch die dunklen Gewitterwolken, die vom Dinara auf Knin vorzurücken drohen, drückt eine besonders beklemmende Stimmung auf die Stadt, so als würde die Last des Krieges immer noch als Menetekel über ihr schweben – angesichts etlicher noch unbereinigter Kriegsschäden eine nahe liegende Empfindung. Die große Festung über Knin lasse ich zugunsten eines Eisbechers ungesehen zurück. Da die Strecke nach Gracac kaum interessanter scheint als die Route über Ervenik, wähle ich letztere – auch um schneller an den Rand des Velebits zu gelangen. Anfangs noch Asphalt, bleibt letztlich nur Schotterpiste bis Ervenik und auch die die Piste nach Kastel Zegarski befand sich ungeteert quasi im unveränderten Zustand gegenüber einer Dekade zuvor. Die Schule in Ervenik gibt es wohl immer noch, Entwicklung sieht aber anders aus. Neben den zerschossenen Häusern verkündet die Kneipe „Das neue Ervenik“. Optimismus oder Galgenhumor? – Eine Kneipe gab es damals da auch schon, jetzt hat der Wirt offenbar auch Grillgerichte im Angebot.

Nicht hätte ich geahnt, dass ich hier eher einen Bissen erhalten hätte als im fast edlen Obrovac. Dort nämlich hat das Hotel – einst mal in einem Radreisebericht ob seines Tresors hervorgehoben, in dem der Hotelier das Rad des Gastes sicher verschlossen hatte – seinen Betrieb eingestellt. Außer ein paar Bars, in denen nur Drinks, aber nicht mal Erdnüsse erhältlich sind, kann dieser Ort am Tor zum Rafting-Eldorado und Winnetou-Land Zrmanja nichts bieten. Supermarkt und Tankstelle haben zu meiner späten Ankunft auch schon geschlossen. Es sei erwähnt, dass die Straße von Kastel-Zegarski lange Zeit zäh nach oben führt, erst die letzten Kilometer nach Obrovac weisen nach unten. Es gibt noch einen Abzweig (Schotter), der zum Fluss führt, was landschaftlich reizvoll wäre, ich aber in der Dämmerung nicht mehr austesten wollte. Ebenso liegt am Fluss ein Camp (Stichstraße), nicht weit von Obrovac entfernt. Nach der Infotafel an der Straße zu urteilen hätte ich dort aber auch kein Abendmahl erhalten.

Bildergalerie zu Kapitel VII (145 Fotos):



Fortsetzung folgt