die 14. Tür

von: veloträumer

die 14. Tür - 14.12.13 19:55

KAPITEL VIII
Irisierende Bergwelten im Velebit: Weiß – Blau – Gelb – Rot – Grün – Gülden – Bunt schillerndes Blendwerk über der Adria roll over war sores

Musik: Der aus Zagreb stammende Darko Rundek ist so etwas wie ein Rockpoet, der nicht vor schrägen Tönen zurückschreckt und sowohl Anleihen in Klassik und Weltmusiken sucht. Seine oft sphärisch-bildhaften Klänge mit sprunghaften Soundwechseln prädestinieren ihn auch zum Filmmusiker. Lou Reed, Gil Scott-Heron oder Tom Waits könnten stilistisch ebenso Pate stehen wie man sich auch eine Begegnung mit Don Cherry im Paradies vorstellen könnte. Mit dem Cargo Orkestar hat er sich in eben solch mannigfache Gefilde begeben und nutzt dabei ein großes Arsenal an Instrumenten aus verschiedenen Teilen der Welt: Darko Rundek & Cargo Orkestar „Ista slika“ (4:39 min.).

So 14.7. Obrovac – Mali Alan (1044 m) – Sveti Rok – Raduc – Licki Ribnik – Gospic
80 km | 10,7 km/h | 7:29 h | 1235 Hm
W: morgens stürmisch (Bora!), bewölkt, später teils heiter, 21-23 °C
E (H): Gnocchi, Kalbsmedaillons, PF, Gem., Rw 20,70 €
Ü: H Ana 30 € (verhandelt, nach Liste 43 €)

Die geschützte Lage von Obrovac ließ mich morgens nicht ahnen, dass ich wenige Kilometer außerhalb gegen die Bora ankämpfen musste. Immerhin konnte ich mich durchkämpfen, bis endlich oberhalb der Autobahn auf der Schotterpassage zum Mali Alan der Wind einbrach. Der Mali-Alan-Pass ist Velebit pur mit seinem Felsenmeer – wie Biokovo oder Lovcen, aber die Berge zapfiger, den Dolomiten nicht unähnlich. Große Kulisse! Weniger Pistenpflege wäre schön, es liegt zu viel loser neuer Schotter. Da aber hier die Strecke weniger steil als unten auf Asphalt ist, lässt es sich doch recht gut fahren. Zwar bewegt man sich auf dieser Piste stets außerhalb des Nationalparks Paklenica, der regulär nur von der Küste zugänglich ist, erlebt jedoch den typischen Felsen-Velebit in seiner grandiosen Entfaltung hier ungeteilt nahezu einsam (einige Autos fahren schon). Wie mir die Nationalparkverwalterin des Nördlichen Velebit in Gospic zu verstehen gab, sei viel mehr auch nicht im Paklenica-Park für den Radler zu erleben – eher weniger. Paklenica ist recht massentouristisch orientiert – weil ein Kern der Karl-May-Kulisse; weil Freeclimber-Eldorado; weil kurze Wanderwege für gestresste Autofahrer; weil strandnahe Abwechslung für den Liegestuhltouristen. Paklenica ist gewissermaßen Velebit für Anfänger – Velebit piccolo.

Während es bis zur Passhöhe offen fast nur durch Stein und ein paar Bergweiden geht, ändert sich zur anderen Passseite die Landschaft deutlich, führt zunächst an den Velebit-Hängen durch dichten Laubwald. Bei Sveti Rok öffnen sich nach und nach verschiedene andere Landschaftsformen wie Heidewiesen, Sumpfgebiet um den See von Sveti Rok, das verborgen-mystische Flusssystem der Lika, weite Feld- und Wiesenebenen oder der majestätische Blickfang des Zir, ein Dolomiten-ähnlicher Berg, der fast wie eine Haiflosse unwirklich mitten aus der flachen Polje herausragt. So ist denn diese Route weit abwechslungsreicher als vermutet. Mitten in den Wiesen steht dann das schon eingangs gezeigte Panzergrab – ein besonders eindrückliches Mahnmal nicht nur für den Kroatienkrieg. Gospic, gleichwohl auch hart vom Krieg getroffen, hat sich anders als Knin schon wieder ein liebliches Gesicht gegeben, wenngleich auch hier die Ruinen immer wieder neben Neubauten verweilen und mahnen. Sogar ein bisschen Noblesse verströmen die beiden Hotels und eine beliebte Pizzeria mit gepflegtem Garten.

Mo 15.7. Gospic – Podostra – Brusane – Baske Ostarije (955m, Pass) – Baske Ostarije (Ort/Hotel/Camp) – Ostarijska vrata (928 m) – Karlobag – Prizna – Donji Bileni – Jablanac-Tankstelle – Planinarska Alan Kuca (1340 m)
87 km | 11,6 km/h | 7:29 h | 1895 Hm
W: sonnig, abends auch bewölkt, 23-29 °C
E: Gulaschsuppe, Bier, SV
Ü: Z (Kuca Alan) 22,40 € inkl. Essen
B: NP Nördl. Velebit 3,30 €

Die halboffene, nicht unbedingt so schwierige Passauffahrt (genau genommen ein Doppelpass, aber nur der erste ist eine Hürde) ist in facettenreiche Morgenstimmungen getaucht. Noch nebelrauchende Wasserläufe, alte Obstbaumwiesen, liebevolle Haustüren unter Rosenstöcken, kreative Vogelscheuchen mit Putzeimerkopf, ein Überschwall an Kornblumenblau – sogar die seltener werdenden Ruinen sinken in scheinbar schwingender Wellenpappenstruktur in kleine Dolinenlöcher in die Erde ein bis sie vielleicht ganz von der befriedeten Erde verschluckt werden. Die Blüten hier locken Schwärme von Schmetterlingen – unweigerlich typisch vor allem für die meerabgewandte Seite des Velebits, wie mir auch noch von 2003er Reise am Vratnik-Pass (von Senj nach Ototac) in Erinnerung ist. Karst goes butterflies! – unzweifelhaft verzückend.

Es sei erwähnt, dass im unteren Teil auch noch einige Privatvermieter zu finden sind und ein schöner Gasthof (Podostra?) nicht weit von Gospic. Das hätte man zuvor wissen müssen – schöner und sicherlich preiswerter als das Hotel in Gospic. Einen traumhaften Bergblick genießt man vom Camping bereits jenseits der Passhöhe, allerdings ohne Versorgungsmöglichkeit unmittelbar dort. Etwa zwei Kilometer sind es zu einem überdimensionierten Giebeldachhotel, das den Eindruck einer exsozialistischen Investitionsruine macht. Irgendwie scheint doch ein Gästepaar dort zu weilen, wenngleich die Räumlichkeiten fast verlassen wirken. Hotel mit Fragezeichen.

Die karstige Bergwelt hier fasziniert, aber es ist trocken. Ein alter Brunnen mit markanter Säule spendet kein Wasser mehr. Nicht weit ist es zum Ende der trockenen Hochweide zu einer Abbruchkante hin. Dann ist er da – ein Blick – nein, tausend Blicke! – auf eine surreale Inselwelt, wie ins blaue Meer gemalte weiß-rötliche, marmorierte Konturen von liebkosend wellig gestreichelter Tonmodellmasse, das Auge tief geblendet vom grellen Kalklicht – ein visuelles Strahlengedicht des Adriakarstes – die opiumgetränkte Betäubung der Iris des Betrachters. Hier vom Aussichtsplateau (mit Kiosk) schweifen die Blicke auch über die weiten Kehren nach unten, durch den Karst gezogen eine Panoramastrecke, die jede Neil-Armstrong’sche Apollo-Mission in den Mondschatten stellt. Wohl scheint mir dieser Blick vom Ostarijska-Pass auf Pag und seine Meeresbuchten der außerirdischste aller Adriablicke von den Höhen des Velebits – die vollendete Mars-Mission auf dem Raumschiff Erde. „Via Dinarica – oh, du Schöne!“ zirpen die Zikaden.

Weder in Karlobag noch sonst wo hier gibt es Küstenrummel. Man findet auch keine großen Strände, dafür viele kleine Buchten oder Badestellen mit Felsen. Die Siedlungen sind kleine Dörfer mit fast ausschließlich Ferienwohnungen – Hotels keine oder selten. Entsprechend wenige Möglichkeiten bestehen zum Einkaufen und ich versäumte sowohl in Karlobag als auch in Cesarica, die einzigen Supermärkte über einen kleinen Umweg anzusteuern. Ich hoffte auf einen Shop an der mir bekannten Tankstelle oberhalb von Jablanac an der Magistrale. Doch gibt es dort wenig Essbares – Snacktüten, Eis und sonst nur Getränke oder eben Benzin. Nach Jablanac sind es ca. 5 km runter und dann über 300 Hm zurück. Das wollte ich nun doch nicht, da mir ja immerhin auf der Alan-Hütte ein einfaches Mahl versprochen wurde. Zwischen Cesarica und der Tankstelle mit Abzweig zum Veliki Alan und dem Nationalpark verläuft zäh fast durchgehend aufwärts – zäh auch deshalb, weil sich ein biestiger Gegenwind trocken zwischen die Zähne schob.

Nicht weniger anstrengend ist natürlich die Auffahrt, wenngleich durch die weite Schleife die Steigung gemäßigt bleibt. Dafür dehnt sich Strecke länger, die unten ausgewiesene Entfernung ist auch nicht ganz richtig (2-3- km mehr). Dafür bekomme ich die Adria-Abendstimmung gratis. Wieder leuchtet und glitzert das Meer in goldenen Tönen, entstehen im Versteckspiel der milden Spätsonne mit den Wolken einzigartige Spiegel- und Strahlenbilder mit rötlichem Schimmer. Ein paar figürliche Felsformen wachen über meinen Aufstieg, weiter oben wächst Eichenwald an die Straße ran. Das Panorama verschwindet mehr und mehr, nach oben weist eine Almweidenlandschaft den letzten Abschnitt zur Hütte.

Unmittelbar bei der Hütte Alan endet der Asphalt wie mein Tag auch. Ein paar Wanderer sind da, die Mehrbettschlafräume reichen aber an diesem Abend für eine Zimmeraufteilung nach Gruppen aus, so bin ich alleine im Zimmer. Tatsächlich erhalte ich eine Suppe zum Essen, die Nationalparkverwalterin in Gospic hatte meine Ankunft telefonisch angekündigt und diesbezüglich nachgefragt. Eine Zugabe mit meinem Käseproviant konnte aber nicht schaden. Wer das Openair-Badezimmer in der Einführung gesehen hat, mag sich die Schwierigkeiten einer Gesamtkörperwäsche bei recht frischen Abendtemperaturen vorstellen können, was aber dringlich gemäß Schweißproduktion auf 1340 Hm am Stück unumgänglich war.

Di 16.7. Planinarska kuca Alan – Veliki Alan (1406 m) – Pl. Kuca Mrkviste – Veliki Koziak/Pl. Kuca Careva (1142 m) – Zavizan (1676 m) – Oltare – Oltare vrata (1108 m) – Krasno – Veliki Devcici? (811 m) – Svica – Kompolje – Rapain Klanac (491 m) – Prokike – Brinje
104 km | 13,2 km/h | 7:46 h | 1400 Hm
W: nachts Regen, sonnig, windig, sehr kühl, max. 22 °C
E (Pizzeria Victoria): Zagreb-Schnitzel, PF, Gem., Rw, Palatschinken 11,10 €
Ü: C wild 0 €

Einige fahrtechnische Anmerkungen für künftige Velebit-Beradler: Die Alan-Hütte ist nicht nur Unterkunft, sondern gleichzeitig auch Kassenhaus für den Eintritt zum Nationalpark, obwohl man genau genommen sich schon auf der Auffahrt innerhalb der Nationalparkgrenzen bewegt. Die anderen Eintrittsportale befinden sich in Stirovaca (keine Versorgung, asphaltiert Zufahrt von Südost/Gospic), in Krasno (Informationszentrum, komplette touristische Infrastruktur) sowie in Babic sica (Nordanfahrt von Oltari, nur Kassenhäuschen mit Basisinfos). Von der Alan-Hütte geht es via gut fahrbare Piste bis zur Mrkviste-Hütte (war geschlossen), wobei der Alan-Pass erst nach der Alan-Hütte überquert wird.

Noch vor dem Alan-Pass besteht eine Abkürzungsmöglichkeit zur Careva-Hütte (ebenfalls geschlossen). Diese Route ist aber schwieriger, da länger auf Schotter und wohl auch schlechterer Wegezustand. Der auch international bekannte Wanderweg Premuziceva staza, der unmittelbar bei der Alan-Hütte streng nach Norden zur Zavizan-Hütte führt, kann bzw. darf nicht beradelt werden (Naturschutz!) – wäre ohnehin nur als Hardcore-Trail für MTBer geeignet. Zwischen Stirovaca bzw. der Mrkviste-Hütte und Krasno besteht eine Asphaltstraße, die aber streng genommen nicht durch den Nationalpark führt, weil dessen Grenze westlich davon verläuft. Die Grenze verläuft ziemlich genau entlang der Hüttenlinie Alan, Careva, Zavizan und Babic sica, wobei nur Zavizan innerhalb der Grenze liegt. Mitten durch den Nationalpark führen nur die Wanderrouten, nicht die Fahrwege.

Kurz nördlich der Hütte Careva zweigt von der Asphaltstraße nach Krasno eine nur für Radfahrer zugelassene Piste zur Zavizan-Hütte ab (Schranke, es werden aber Ausnahmen zugelassen z. B. für Hüttenmieter oder Zelter, nur mit Anmeldung möglich – sonst verboten). Unterhalb Zavizan gibt es einen Parkplatz, da Zavizan über die Nordanfahrt per Auto angesteuert werden darf. Die Strecke ist aber oberhalb Babic sica auch nur Piste. Alle Pistenanteile sind recht gut fahrbar, die meisten Streckenteile sind nicht wirklich steil, auch wenn es mehrfach auf und ab geht. Ausnahme ist ein recht steiler, aber kurzer Schlussanstieg zur Hütte Zavizan – man muss aber nicht hoch, weil eine Stichstraße, Abzweig ist unten.

Landschaftlich wird einiges geboten, wobei es auch etliche schattige Waldpassagen gibt, wie man sie auch in einem deutschen Mittelgebirge antreffen könnte. Auch konventionelle Holzwirtschaft wird praktiziert. Besonders schön sind die Lichtspiele in der Buchenwaldpassage nördlich der Mrkviste-Hütte. Einige der eindrucksvollen Velebit-Berge, wiederum Dolomiten-ähnlich, erhascht man oft nur mit kurzem Blick zwischen Nadelbäumen. Eine der abwechslungsreichsten wie schönsten Passagen befährt man bereits kurz nach der Alan-Hütte. Hier findet man Weidemauern, dann üppige Blumenteppiche – Gelb und Blau sind die dominanten Farben, unzählbare Schmetterlinge dirigieren die Farbsinfonie. Eine andere Passage zeigt archaische, von Kerbtieren durchlöcherte Baumstammveteranen, die sich vor einem grünen Almwiesenteppich präsentieren.

So ließen sich noch andere Nuancen beschreiben. Besonders eindrucksvolle, teils endemische Blumenwelten findet man besonders nahe Zavizan, dort wo der Premuziceva-Wanderpfad auf die Piste mündet. Für noch mehr Blumenwelt muss man wandern. Den expliziten Botanischen Garten, ein Pflanzenlehrpfad unmittelbar unterhalb Zavizan, habe ich nicht besucht. An der Zavizan-Hütte gehört der Himmel dir, dem Aufsteigenden und die Aussicht reicht weit zur Insel Rab, das Adria-Blau diesmal stark gedämpft in der diesigen Sommerluft. Infotafeln informieren rundum Geologie und Bora. Enttäuschend empfinde ich dann, dass es an der Hütte Zavizan keinerlei bäuerliche Eigenprodukte gibt, genauer: überhaupt nichts außer ein paar Marken-Drinks. Schade, hier wäre doch Potenzial (Übernachtung ist aber möglich).

Die Nordroute bewerte ich als weniger attraktiv, zumindest der obere Pistenanteil – fast ausschließlich durchschnittlicher Wald. Erst zur Oltari-Passstraße hin entwickelt sich wieder eine artenreiche Blumenaura mit den allfälligen Schmetterlingskolonien. Krasno liegt dann in einer Senke, ein kleiner, gepflegter Ort, der zum stillen Verweilen einlädt. Man folgt nun einer Mischung aus Poljen, Hügellandschaft und einem geheimnisvollen Mooswald, der Feen und Kobolde vermuten lässt. Wegweiser zeugen von einer großen Ferienanlage mit vielen Sportmöglichkeiten am Krusicko-See. Ein kleiner See liegt noch auf meiner Strecke bei Svica. Hier in der Nähe von Ototac deutet sich ein gewisse Geschäftigkeit, Lebenslust und etwas Wohlhabenheit an – nicht zuletzt liegt man an einer wesentlichen Transitachse zu den Plitvicer Seen. Direkt an der Strecke findet man auch Tankstelle mit Bistro und weitere Trucker-Restaurants sowie Privatverkäufer an der Straße mit Honig, Schnäpsen und Käse. Ja, Käse muss her! Eine alte Frau freut sich.

Was einst 2003 hier noch Baustelle war, ist mittlerweile eine durchgehende, moderne Autobahn von Zagreb nach Zadar und Split, auf deren Strecke mit den Sveti Rok/Velebit (5,7 km) und Mala Kapela (5,8 km) zwei imposante Tunnels liegen, die dem Radler ungestörte Naturerlebnisse außerhalb sichern. Da ich hier meine geplanten Etappenrhythmus ändere, habe ich in den Folgetagen mit etwas unsicheren Verpflegungs- und Unterkunftsmöglichkeiten zu kämpfen. Brinje ist trotz Burgruine ein eher schmuckloser Ort, noch mit erheblichen Kriegsschäden wie auch mit einem zerfallen Sozialistenhotelkasten. Am südlichen Ortseingang gibt es zwar einen Privatvermieter mit schön hergerichtetem Haus, allerdings liegt das einzige Restaurant weit außerhalb nördlich (ca. 3 km weiter). So schlage ich meine Dackelhütte lieber irgendwo auf einer Feldwiese auf als nochmal zurückzuradeln.

Bildergalerie zu Kapitel VIII (105 Fotos):



Fortsetzung folgt