macht hoch die Tür, die letzte - Via Dinarica Ende

von: veloträumer

macht hoch die Tür, die letzte - Via Dinarica Ende - 15.12.13 22:59

KAPITEL X
Karst-Finale in Südslowenien: Auf Bruno’s Tatzenspuren, Höhlenkunde im Riesenformat, bezauberndes Weinland geschmackvoll eingeschenkt und die Triester Dichterküste

Musik: Der slowenische Gitarrist Samo Salamon gehört zu den aktuell innovativsten Jazzgitarristen weltweit. In teils ungewöhnlichen Besetzungen wie etwa mit dem Tubisten Michel Godard oder hier mit dem Geiger Dominique Pifarély lotet er im Improvisationskollektiv neue Klangmöglichkeiten der Avantgarde aus: Samo Salamon Strings Quartet „The puffins we never saw” (7:59 min.).

Fr 19.7. Viskovo – Sarsoni – Klana – Lisac (? m) – Novakracine – ? (? m) – Rupa – ? (486 m) – Ilirska Bistrica – Sviscaki (1241 m) – Sneznik-Pass (1260 m) – Masun – Knezak – Kenzak vrata (610 m) – Ilirska Bistrica – Brce
96 km | 11,2 km/h | 8:33 h | 1650 Hm
W: sonnig, schwül, zum Sneznik regnerisch, danach kühl
E (H): Fisch, Kart.salat, Bier 15 €
Ü: H Domacija Bubec 25 € m. Fr.

Die erste Passage zurück nach Sarsoni und bis Marcelje ist recht steil, sodann sich letzte Blicke über die weite Adria-Bucht ergeben. Die nun auch stark durch Alltagsverkehr (Pendler, Lieferanten, Bauwerker) belastete Strecke lohnt zwar gemäß meinem Weg zu umfahren. Diese Alternative endet aber an einem nicht offiziellen Grenzübergang nach Slowenien, der – so die slowenische Polizei – auch nach dem Beitritt Kroatiens zur EU nicht für internationale Gäste erlaubt ist zu überschreiten. Da Kroatien noch nicht dem Schengen-Abkommen zugehörig, müssen weiter Passkontrollen durchgeführt werden. Das geht nicht an unbemannten Grenzen, die für die lokale Bevölkerung offen sind – wie zwischen Lisac und Susak. Es war insofern logisch, dass mir die Einheimischen in Klana bedeuteten, dass der Übertritt nach Slowenien auf dieser Strecke kein Problem sei. Für die Einwohner nicht, für mich schon! Der offizielle Übergang führt über Rupa.

Die slowenischen Polizei verlangte zunächst, dass ich umkehren solle, was in Anbetracht des arg groben Schotters zwischen Lisac und Susak schon fast unmöglich geworden wäre – hätte bergauf dann wohl schieben müssen (runter geht halt irgendwie). Als Alternative boten sie mir an, eine Strafe zu zahlen um freie Fahrt zu erhalten. Das stößt bei einem unterdurchschnittlich bezahlten deutschen Arbeitnehmer auch nicht auf freundliche Gegenliebe. So blieben nur der hartnäckige Hinweis auf missverständliche EU-Vorschriften und Fehlinformationen durch die lokale Bevölkerung. Schließlich wurde ich nach einer Mobilfunkrückfrage der Pilzisten mit einer Leitstelle begnadigt. schmunzel

Neben diesem Vorfall sei bemerkt, dass die Strecke zwischen dem netten Ort Klanak und Lisac eine recht hübsche Waldstrecke mit Bachlauf einen Berg hinaufführt, der Grenzort also quasi eine Passhöhe darstellt. Ebenso macht die Strecke von Novakracine zur Transitstraße zwischen Rijeka und Ilirska Bistrica Laune über einen leichten Hügel mit lichtem Kiefernwald. Slowenien – das ist gleich spürbar, ist nochmal etwas schicker zurecht gemacht als die nordkroatische Seite, ein Hauch von Schweiz liegt gediegen über den Dörfern.

Ruhe findet man auf der Transitstrecke weniger, es gilt schnell das Stück hinter sich zu bringen. Geldwechselstuben und Obststände wittern gute Geschäfte mit Adriatouristen. Ilirska Bistrica ist eine recht übersichtliche Stadt – eigentlich eher ein Städtchen – einige K&K-Spuren, ein hübsches Ortsbild durch die Kirche über der Stadt. Ich besuche auch einen Radladen unter Vortäuschung eines Kaufinteresses, um ein wenig zu schnuppern, was es so gibt. Bei der Suche nach einer Windjacke ist der Herr extrem bemüht, er scheint dem internationalen Gast eine gewisse Wichtigkeit zuzuordnen. Die Klamottenabteilung ist aber bescheiden. Besser erachte ich den Umfang der Ersatzteile, ein paar Kompletträder finde ich auch ordentlich – neben Mountainbikes auch viele Kinderräder.

Gewiss, die folgende, nicht einfache Route ist eine fast überflüssige Luxuszugabe für Bergstürmer. Ursprünglich hatte ich den Wald- und Wildgasthof Masun als Übernachtungsziel erkoren, doch war ich jetzt in einem anderen Etappenrhythmus. Fast wäre ich doch noch in im stark besuchten Masun eingekehrt, brauchte ich doch arg lang für die Piste – nicht so schlecht zu fahren, aber doch eine lange Schotterstrecke und daher zeitraubend. Hinzu kamen eine entsetzliche Müdigkeit und ein kleineres Gewitter. Die Strecke ist eher eine Waldstrecke (viel Buche, auch Tannen), anfangs hat man weite Blicke nach Süden, das schönste Zwischenstück mit alpinen Blumenwiesen ist kurz. Oben befindet sich eine Ferienwohnsiedlung mit einer großen Almwirtschaft – eine gepflegte Lichtung im Wald, offenbar recht beliebt auch im Sommer – im Winter gibt es Skitourismus. Eine abzweigende Piste könnte man wahrscheinlich auch noch bis auf den Berg Sneznik fahren.

Nach Masun geht es nicht sofort durchgehend hinunter, sondern ein kleiner Gegenanstieg mit dem effektiv höchsten Punkt folgt noch nach der Almsiedlung. Außer Wald ist dann nichts zu berichten, der Abzweig zur Burg Sneznik und weiter nach Cerknica liegt bereits oberhalb von Masun. In Masun gibt es weitere Pistenverzweigungen, auf denen man Wege durch Wald zur Burg Sneznik wie auch nach Postojna finden kann. Ab Masun ist wieder Asphalt, der Belag allerdings nicht von bester Qualität. Typisches Bärenland durchfährt man – dichte Wälder, immer wieder mit Lichtungen, auf denen ich mir vorstelle, dass Bruno herumtanzen könnte. Bruno – der berühmteste Bär zwischen dem Trentino und Bayern – der Problembär, dessen Schicksal vor einer bayerischen Flinte endete, weil er aus dem Nationalpark Adamello-Brenta ausgebüchst war – dessen Mutter tollte einst hier herum, bevor sie zum Exportbären für europäische Umsiedlungspläne wurde. Hätte sie hier Bruno zur Welt gebracht, dann würde Bruno noch heute hier herumstreichen, Bienenwaben lecken und alles wäre – null problemo.

Ein letzter Teil führt kurz noch durch einer Felderebene, bevor man in Knezak wieder auf die Transitstrecke zwischen Postojna und Rijeka zurückkehrt. Nun wollte ich weniger gern in Ilirska Bistrica nächtigen, sondern lieber in einem der beschaulichen Landunterkünfte umher. So fuhr ich etwas abseits meiner Route in ein Stichtal rein (mit Zwischenhügeln). Der Waldgasthof Bubec in Brce liegt völlig abseits allen Trubels in einem feuchten Flusstal, umgeben von Wildgehege, Pferdestall und Fischteichen. Der Fische kommt hier direkt vom Köcher auf den Grill und auf den Teller. Was eben noch gezappelt, nun liegt im Bauch des Radlers und – das muss man sagen – hat gemundet, auch wenn es herzlos ward. schmunzel

Sa 20.7. Brce – Harije – Tominje – Pregarje – Karlovica (715) – Tatre – Artvize – Matavun/Skocjanske jame (10-17 h stdl.) – (Divace) – Lokev – Lipica (8-18 h stdl.) – Sezana – Smarje – Dutovlje – Stanjel
82 km | 13,0 km/h | 6:18 h | 1090 Hm
W: sonnig, max. ca. 30 °C
E (Burg-Vinothek): kl. Aufschnitt, Rw, Sorbet 12,20 €
Ü: PZ Apartma Jera 25 € m. Fr.
B: Skocjanske jame (kl. Runde 3 h) 15 €

Der Gasthof Bubec wird von einem Italiener (Triest-Region) geführt. Er fühlt sich wohl in Slowenien und meint, dass es eher leichter sei, ein Gastgeschäft zu führen als in Italien. Die Gäste waren nicht gerade zahlreich – er meinte, sie kommen besonders am Wochenende. Einem deutschen Paar mit Auto war es zu teuer – Schnäppchenjäger? – Die Zimmer sind wunderbar, auch wenn nur Etagendusche. Die Lage ist für Märchenmacher gedacht. Der Morgen hat was Besonders, denn überall liegt Nebel in der Aue. Stimmungen wie Gedichte von Eichendorff . Neuntöter. Spinnenetze. Tautropfen. Gräser. Alte Apfelbäume, krumm gewachsen. Erwachende Dörfer. Die Sonne bricht leicht, nicht gleich, lässt Zeit. Das Einfache ist hier groß! Licht – Schatten – Stille. Die Dörflein folgen, jedes Kirchlein weiß um seine Wirkung, wo nur leichte Hügel den Horizont begrenzen, wo nur wenige Dächer Heimstatt bieten. Die Sonne wächst heraus, der Nebel weicht – es ist Slowenien vom Lande, auf Postkarte gemalt.

„Freund, du hast Zeit. Das Zeithaben war es auch, was dem Dörfler zu seinem besonderen Gang verhalf (…). Zu solch einem Gang gehörte es, dass der Gehende selbst sich in Abständen, unwillkürlich, doch umso bewusster, umblickte, nicht aus Angst vor einem Verfolger, sondern aus reiner Lust am Unterwegssein, je zielloser desto besser, mit der Gewissheit, dabei in seinem Rücken eine Form zu entdecken, sei es auch nur den Riss im Asphalt. Ja, die Gewissheit, eine Gangart zu finden, ganz Gang zu sein und dabei zum Entdecker zu werden, hob den Karst ab von den paar sonstigen freien Weltgegenden, durch die ich gekommen bin.“ – so schrieb einmal Peter Handke in seiner literarischen Reiseerzählung „Die Wiederholung“. Man möge den Gang durch das Treten und den Gehenden durch den Radler ersetzen und weiß, wie ich selbst empfunden habe.

Der Höhepunkt des Tages sollte dann die Skocjanske jame werden, ein großes Karst-Bauwerk von riesigen Ausmaßen und vom Wasser in Millionen Jahren zurecht geschliffen. Es handelt sich hier nicht um nur eine Höhle, sondern um ein ganzes System an Höhlen, Gängen, Einsturzdolinen, Naturbrücken, Schlucklöchern, Wasserfällen und Seen. Fauna und Flora sind sowohl unter- wie überirdisch teils endemisch. Wegen seiner Vielfalt und Eindrücklichkeit besitzt die Skocjanske jame ein einzigartiges Abbild von Karsterscheinungen und wurde entsprechend ins UNESCO-Welterbe aufgenommen, ebenso wie der gesamte Park als UNESCO-Biosphärenreservat anerkannt wurde. Den Kern des Parks – und dies ist auch der eintrittspflichtige Teil (Führung) – ist die Flusshöhle der Reka, die nahe dem kroatischen Klana (s. Vortag) entspringt und zunächst 50 Kilometer oberirdisch, teils stark mäandernd fließt. Sodann nimmt sie 35 km den Weg unter dem Fels und taucht erst wieder in Italien nahe der Triester Bucht auf.

In der Höhle wurde ein gesicherter, treppenreicher Weg angelegt. Er führt an Sinterterrassen und mächtigen Tropfsteinen vorbei, die teils zu orgelartigen Gebilden zusammengewachsen sind. In diesem eher der karstigen Schönheit gewidmeten Teil herrscht Stille, die dann von der Reka gebrochen wird, wenn man in die „Rauschende Höhle“ eintritt. Hatte man es vorher mit großen Sälen zu tun, folgt nun so etwas wie die große Halle des Karstvolkes – von schier gigantischer Größe, im lauten Rauschen der Mensch zur Winzigkeit erdrückt. Der größere unterirdische Höhlenteil ist für normale Besucher nicht zugänglich, kann nur von Höhlenforschern begangen werden, nur mit entsprechender Ausrüstung und Technik nicht ganz ungefährlich zu erobern. Der Weg folgt über eine 45 m hohe Brücke, die nochmal die Dimensionen verstärkt. Es sei erwähnt, dass das Fotografieren bei der Führung innerhalb der Höhle verboten ist, außerhalb natürlich wieder. Nimmt man nur die Säulenschönheiten als Maßstab, ist Postojna sicherlich wertvoller, doch gibt es hier nicht nur diese einzigartige Flusshöhle, sondern einen Variantenreichtum von Karstphänomenen zu sehen wie sonst nirgends.

Am Höhlenausgang wird man bei der Kleinen Führung entlassen und kann nach freien Stücken noch die ganzen offenen Karstpreziosen bewundern. Durch den gewaltigen Dolineneinbruch führt der Weg zum Ausgang über eine 180 m hohe Treppenorgie – die Banausen nehmen die Standseilbahn, die im Preis eingeschlossen ist. Es lohnt auch noch die oben liegende Wege zu begehen, die vor allem die Dolinenwelt eröffnen mit dem Dorfpanorama von Matavun. Ein kleines Museum ermöglicht das Studium der Siedlungsgeschichte und typischer bäuerlicher Landkultur in der Region. Das Restaurant am Kassenbereich hat gewiss typische Touristenpreise, die Naturlimonade ist aber zu empfehlen. Für die Kleine Runde sollte man mit allem Drumherum annähernd einen halben Tag einkalkulieren – auch wenn man es ggf. schneller schafft. Für die Große Runde empfiehlt sich eine Übernachtung vor Ort, um die Umgebung ausreichend in Augenschein nehmen zu können – weitere umliegende Höhlen mit exklusiveren Besuchszeiten mögen ein Anreiz für einen längere Verweildauer sein. In der Umgebung sind einige, auch recht nette ländliche Unterkünfte zu finden, einen Camping gibt es nur wenige Kilometer entfernt in Skoflje.

Bewegt man sich Richtung Lipica, wirkt die Landschaft sehr mediterran, das Meer glaubt man schon zu riechen. In dem Ort Lokov gibt es in dem auffallenden Rundturm ein recht spezielles Kriegsmuseum mit ca. 4200 Exponaten von grausamen Relikten aus dem 1. und 2. Weltkrieg einschließlich der KZ-Einrichtungen. In gewisser Weise war ich erleichtert, dass Museum geschlossen vorzufinden, obwohl der Anblick der verächtlichten Verbrechenswerkzeuge ja eigentlich zu der umfassenden Sicht meines Via Dinarica gehören würde.

Eher für die Freunde von höfischer Eleganz und muskulös schön gewachsener Zuchttiere ist das Gestüt Lipica ein Highlight. Ich war nun durch den Höhlenbesuch nicht mehr für einen Gestütsbesuch rechzeitig (dessen Pforten immerhin später schließen als die in Skocjan). Doch so wirklich reizt mich dieser höfische Dressurtrallala nicht. Es ist aber auch Genuss, die weißen Pferde auf dem weitläufigen Gestütsweiden in der milden Abendsonne zu sehen. Lipica ist eigentlich Privatbesitz, die Straße hindurch ist aber geduldet und eingeschränkt nutzbar. Auch ist Lipica ein Freizeitzentrum, für die Armen gibt es eine große Parkanlage, wo man picknicken kann. Kleingeldsammler treffen sich gerne im Casino, ein Wellnesshotel ist ebenso angeschlossen wie ein Golfplatz. Der wunderbaren Atmosphäre schadet das Luxusgewedel zum Glück nicht, ist es ja in gewisser Weise passend zu den Edelpferden, ohne die der Spanischen Hofreitschule das geeignete Huftretermaterial fehlen würde.

Sezana ist eine recht untouristische Stadt, es empfiehlt sich, weiter zu fahren auf die Weinstraße, die unmittelbar am Ortsende abzweigt (Nordost, dort dann „Kraska vinska cesta“ folgen bzw. Richtung Smarje). Gleich dann beginnt das liebliche Augengedicht von Rebstöcken und kleinen Weindörfern, deren schöne eines nach dem anderen folgen. Nicht gerade zufällig liegt hier mit Tomaje das Heimatdorf des slowenischen Dichters Srecko Kosovel, der mit einem konstruktivistischen Ansatz neue Impulse in der europäischen Dichtkunst setzte. Was könnte man hier anders in den Mußezeiten tun als Verse verfassen? Sein Wirken war nur von kurzer Dauer, starb er doch bereits mit 22 Jahren an den Folgen einer Erkältung an Meningitis. In den meisten Orten findet sich mindestens eine Speiselokalität, zum übernachten – wenn kein Hotel – ein Privatvermieter. Einige Weingüter bieten beides im Paket an, den goldenen Abendglanz über leuchtendem Weinlaubgrün inklusive. In Pliskovica soll eines der typischen Karsthäuser sogar als Jugendherberge ausgelegt sein.

Ich entschließe mich noch, bis Stanjel zu strampeln. Auf dem Hügel thront eindrucksvoll das mittelalterliche Burgstädtchen, aus dessen Silhouette vor allem die eigentümliche Kirche hervorsticht, deren Turm einer stilisierten Bischofsmütze ähnelt. Ausgerechnet hier aber wird dem Gast wenig geboten – die spärliche Kulinarik beschränkt sich auf die Vinothek, das doch wunderbare Zimmer entschädigt in gewisser Weise. Der Ort ist immer noch fast ausgestorben, was seine Ursache mal wieder in den kriegerischen Verbrechen hat. Blieb Stanjel vom faschistischen Terror verschont, übernahmen es stattdessen Titos Partisanen die Stadt niederzubrennen und sie in der gesamten Jugoslawien-Ära ein Geisterdorf blieb. Die Rückgewinnung von Einwohnern verläuft schleppend, derzeit setzt man neben Tagestouristen auf Kunst.

So 21.7. Stanjel – Branik – Griznik (298 m) – Komen – Pliskovica – Brije – Gorjanske – Brestovica – Jamlje – Duino – Sistiana – Montefalcone 16:27 h || 17:48 h Venezia Mestre 21:09 h || Mo 6:15 h München 6:48 h || 9:07 Stuttgart (Angaben planmäßig, tatsächlich 1 h Verspätung)
70 km | 14,9 km/h | 4:42 h | 765 Hm
W: nachts/morgens Regen, später sonnig, schwül, max. ca. 35 °C
E (R Columbus, V.-Mestre): Wurst m. Polenta/Pilzen, Tintenfisch Venezia-Art m. Polenta, Crème brulée m. Früchten, Cafe 38,50 €
B: Weinprobe Vina Strekelj gratis, 2 Fl. Wein 16 €

Dass es nachts und noch morgens regnete, machte mir etwas Angst, nicht mehr recht die Hügel zur Küste zu schaffen. Doch wichen die kleine Tränen des Himmels bald blendendem Sommerwetter – am Ende einer der heißesten Tage, sicherlich nicht unter 35 °C und hitzig bis in die Nacht. Noch ein Blick würdig sind in Stanjel die Ferrarigärten von Max Fabiani. Der Architekt schuf in der Zeit zwischen den Weltkriegen einen eklektischen Mix italienischer Stilepochen mit Brücken, Teichen und Säulen, nahe am Grat zwischen Renaissance-Schönheit und antikem Kitsch gebaut. Für funktionierende Wasserspiele schaffte er ein intelligentes Bewässerungssystem, das zugleich seiner Villa im trockenen Karst fließendes Wasser ganzjährig bescherte. So ist denn auch die Anlage heute ein Kultur- und Pionierdenkmal, das allerdings von der Zerstörung Stanjels auch noch nicht wieder ganz genesen ist.

Das Vipava-Tal erreicht man nach einer kleinen Abfahrt, liegt also deutlich tiefer als das zuvor beradelte Weinland. Auch hier liegt eine Weinstraße, die aber durch den Höhenzug von der südlichen getrennt ist. Branik ist der größte unter alle Karst-Weinorten, die ich durchfahren habe, schweigt aber am Sonntagmorgen auch still. Über dem Tal und der Stadt liegt eine Burg, die man im Rahmen von der Bergstraße hinter Branik per kleine Stichstraße erreichen kann. Sie ist aber unzugänglich in Privatbesitz. Während die Auffahrt unter Laubblattdächern noch Feuchte und Kühle bietet, breitet sich oberhalb trockener, aufgelockerter Kiefernwald aus. Komen, das kaum aus der Landschaft hervorsticht, ist ein kleines Infrastrukturzentrum für die südliche Karstweinstraße. Ein Restaurant verspricht gute, neue slowenische Küche. Nochmals werden die Rebenhänge in einer Talmulde von Grasland und Kieferwäldern unterbrochen, um dann erneut wieder lieblich aufzutauchen. Wer durchgehend Weinhügel sehen möchte, müsste von Dutovlje direkt nach Pliskovica durchradeln und dann weiter meinem aktuellen Weg folgen.

Bevor ich auf einem Umweg die Triester Dichterküste bei Duino und Sistiana ansteuere, liegt noch ein Exkurs zu dem Saft, aus dem die Landschaft geschaffen und die Poesie inspiriert ist – zum Wein. wein Die Weinprobe bei Jordan Strekelj dauerte inklusive kosmopolitischer Gesprächsthemen wohl ungefähr zwei Stunden (s. Einführung). Da war dann das Opfer ein ausgiebiges Abschiedsbad in der Adria, was angesichts des italienischen Strandtrubels aber recht entbehrlich war. Was man in Italien mit Kultur und Natur macht, ist ein kleines Verbrechen. Der Rilke-Pfad war offiziell gesperrt. So richtig begründet ist die Sperrung nicht, man mag sich Steinschlag denken. Eher scheint man sich nicht mehr drum zu kümmern, der Weg bringt kein Geschäft, die Kultur darf verfallen. Dagegen steht eine Strandzufahrt runter nach Sistiana-Beach mit Schwärmen von Autos und Mopedgeknatter, Parkplätze in fußballfeldgroßen Dimensionen fast bis zum letzten Kieselstein ans Meer geschoben, eine Gelärme von Bambini-Zirkus-Tollhaus, gespickt mit Zuckerkonfekt- und Buntfarbeneisbuden und am südlichen Ende ein Bauzaun, hinter dem noch mehr pervertierte Strandkultur gebaut wird. Die Steilküste mit dem fernen Schloss von Duino ist immer noch Paradeblick – die Bucht hier aber leidet, von der Poesie gänzlich bereinigt für den Kommerz. Schade. Es kostet ein leises Weinen. Der Karst wird die Tränen verschlucken. Noch einmal lasse ich es durch die großartigen Worte Srecko Kosovels sagen, was mich zum Abschied gleich so in Gedanken bewegte (aus dem Gedicht „Skizze“):

Ich weiß, diese Frage kommt noch, gewiss! Sie
kommt
um Mitternacht oder zu Mittag, still und ernst:
„Was hast du mir gegeben?“ Sie kommt. Vom
Karst.


Was soll ich dir geben? Was soll ich euch geben,
ich,
der ich euch verlassen habe?


Schau, durch meinen Arm fließt Sklavenblut,
in meinem Herzen auch. Immer muss ich
irgendwem
dienen. Jetzt diene ich dir. Dir gab ich alles – jetzt
hab
ich nichts mehr – Das Herz gab ich dir, was soll
ich dir geben?


Bildergalerie zu Kapitel X (120 Fotos):



E N D E schmunzel