Re: Freilaufkörper defekt. Schuld der Werkstatt?

von: rayno

Re: Freilaufkörper defekt. Schuld der Werkstatt? - 08.12.22 15:36

Dazu kann ich aus eigener Erfahrung etwas beitragen. Vor meiner dreimonatigen Radreise im Nordwesten der USA 2014 hatte ich vergessen, den Sperrklinken-Freilauf meiner White Industries Nabe zu warten, wie ich es eigentlich immer vor einer längere Reise machen wollte. Als es mir beim Radverpacken einfiel, war es zu spät, die Teile zu besorgen. Ich nahm wir vor, die Wartung unterwegs in einem mir von früher bekannten Bikeshop in Missoula/Montana nachzuholen. Einige Tage nach Ankunft in Seattle erkundigte ich mich telefonisch bei dem Bikeshop, ob Sperrklinken samt Federn für die Nabe vorrätig seien, was man bejahte.
Ich war etwa drei Wochen unterwegs auf meiner Route nach Denver, als mir der Freilauf plötzlich blockierte, ich hatte ein Fixie. Zum Glück war ich am Orteingang meines Etappenziels in Idaho, quartierte mich im nächsten Motel ein, demontierte den Freilauf - was zum Glück bei den WI-Naben sehr einfach und ohne Spezialwerkzeug geht - und sah, was ich schon vermutet hatte: eine Sperrklinke hatte sich gelöst, weil offensichtlich die winzige Blattfeder, die die Klinke on Ort und Stelle halten soll, gebrochen war. Zusammengequetschte Reste der Feder, und die lose Sperrklinke habe ich entnommen und den Freilauf mit den beiden verbliebenen Sperrklinken wieder zusammengebaut.

Ich bin dann mit nur zwei Sperrklinken im Freilauf weiter Richtung Montana gefahren. Unterschiede zu vorher waren nicht zu merken. Einige Tage später, etwa zwei Meilen vor dem Lolo-Pass, der Grenze Idaho/Montana, machte es plötzlich Knack im Hinterrad. Ich wusste gleich, was los war. Habe auf dem breiten Seitenstreifen den Freilauf wieder demontiert und stellte fest, dass sich eine zweite Klinke gelöst hatte. Weil ich gleich nach dem Knack gehalten hatte, war es nicht zur Blockieren gekommen. Mit nur noch einer Sperrklinke habe ich den Freilauf wieder zusammen gebaut, und das Rad fuhr eigentlich wie vorher, vielleicht lief es im Freilauf noch leichter als zu vor mit 2 oder 3 Klinken.
Nun war ich aber gerade im Anstieg auf den Lolo_Pass und von dem sollten es noch rund 40 Meilen sein bis Missoula und meiner Werkstatt. Ich habe es aber nicht gewagt, mit nur einer Sperrklinke im Freilauf den restlichen Anstieg zum Pass mit dem ziemlich schwer beladenen LHT zu fahren, habe vielmehr bis zur Passhöhe geschoben.

Oben angekommen dann wieder aufs Rad und im jetzt besonders leichtlaufenden Freilauf hinunter in Montana hinein. Das ging einige Meilen sehr gut, zunächst nur im Freilauf, dann mit gelegentlichem Mittreten auch noch. Dann aber, als ich auf ebener Strecke wieder stärker in die Pedale treten musste, macht es wieder Knack. Und ab da hatte ich Freilauf in jeder Fahrtrichtung. Ich habe mir dann nicht die Mühe gemacht, den Freilauf wieder zu öffnen. Fahren konnte ich ohnehin nicht.
Ich habe mich nach einer Mitfahrgelegenheit umgesehen, was drüben eigentlich nie ein großes Problem ist. Hier, im Grenzgebiet, mitten im Niemandsland mit sehr wenig Verkehr musste ich recht lange warten, bis ich eine Mitfahrgelegenheit fand. Meinen Bikeshop in Missoula konnte ich nicht anrufen, da kein Netz. Eine Mitarbeiterin der Forstverwaltung, die in der Nähe zu tun hatte, nahm mich dann mit, als sie ihre Arbeit beendet hatte.
Aber nicht bis Missoula, sondern nur bis zur nächsten größeren Ortschaft und zur Hauptstraße nach Missoula.
Auf der Fahrt dahin meldete sich mein Handy; ich hatte wieder ein Netz. Ich rief im Bikeshop an und schilderte dem Inhaber mein Problem. Er erklärte sich sofort bereit, mich an der Einmündung meiner Straße auf die Hauptstraße an der Tankstelle abzuholen. Ich hatte meinen Kaffee noch nicht ganz getrunken, als ein großer Pickup unmittelbar vor meinem an der Wand abgestellten LHT hielt.

Es war schon später Nachmittag an einem Freitag, als wir im Bikeshop ankamen. Ein Mechaniker kam mir gleich entgegen, mit der kleinen WI-Schachtel mit Sperrklinken und Federn. Bei der Demontage des Freilaufs stellte man aber leider fest, dass durch die zeitweise lose im Freilauf herumschwirrenden Teile der Sitz einer Sperrklinke so stark beschädigt war, dass man da keine Klinke einsetzten konnte. Es war mit neuen Klinken und Federn also nicht getan, der Körper musste auch erneuert werden. Und einen solchen hatte man leider nicht da. Macht nichts, sagte man mir; Petaluma (Sitz von WI in Kalifornien) ist nicht weit. Dienstag ist das Teil da, nein Mittwoch, Montag ist Feiertag in USA.

Also wurde mein Aufenthalt in Missoula etwas länger als geplant. Ein Gutes hatte es aber: Ich konnte am Sonntag in Ruhe in meinem Motel das 7 zu 1 gegen Brasilien genießen, von dem ich sonst wohl nur in meinem Handy etwas gelesen hätte.

Was habe ich daraus gelernt:
Sperrklinken Freiläufe zeichnen sich durch ihren besondere Leichtgängigkeit aus. Im Unterschied z.B. zu den Zahnscheibenfreiläufen von DTSwiss, mit denen ich auch viel unterwegs bin, die deutlich schwergängiger sind. Vergleichbar leichtgängig wie WI sind auch die Freiläufe von Tune, die auch 3 Sperrklinken haben. Regelmäßige Wartung ist aber notwendig, wobei - wie Christoph das schon richtig angemerkt hat - es besonders die winzigen Blattfedern sind, die Probleme machen können.
Ich habe jetzt immer einen Satz Sperrklinken und Federn dabei, wenn ich mit WI-oder Tune-Freilauf auf eine längere Reise gehe. Besonders teuer sind die Teile nicht und zum Glück kann man sie auch sehr schnell unterwegs im Straßengraben ersetzen, wenn man leicht zu wartende Naben wie z.B. die von WI und Tune im Hinterrad hat.