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#1176368 - 11.12.15 09:04 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: veloträumer]
Keine Ahnung
Moderator
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Beiträge: 12.863
Einfach eine wunderschöne Gegend. Du hast Dir viel Mühe mit Deinem Bericht gemacht. Auch die Bilder sind toll. Ich muss da auch wieder hin. Slowenien steht bei mir sowieso ganz oben auf meiner Favoritenliste und das "Drumherum" ist ebenfalls nicht zu verachten. Da mein Orientierungsinn bei der Verknüpfung meiner Neuronen vor langer Zeit quasi nicht entwickelt wurde (daher bin ich so ein großer Freund von GPS), ist das einzige, was ich vermisse, ein "Track" oder der Weg in einer Karte eingezeichnet - oder habe ich das übersehen?
Gruß, Arnulf

"Ein Leben ohne Radfahren ist möglich, aber sinnlos" (frei nach Loriot)
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#1176603 - 12.12.15 22:27 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: Keine Ahnung]
veloträumer
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Beiträge: 17.178
In Antwort auf: Keine Ahnung
Da mein Orientierungsinn bei der Verknüpfung meiner Neuronen vor langer Zeit quasi nicht entwickelt wurde (daher bin ich so ein großer Freund von GPS), ist das einzige, was ich vermisse, ein "Track" oder der Weg in einer Karte eingezeichnet - oder habe ich das übersehen?

Das Büro für interstellare GeoNaviStäsie hat sich zur Beratung zurückgezogen und arbeitet an einer einvernehmlichen Lösung. Gelegentliche Wolkenbildung auf der Erde könnte Folgen der rauchenden Köpfe dort sein. Diese Nebenwirkungen können von irdischen Apothekern weder erklärt noch mit Arnzeimitteln bekämpft werden.
Liebe Grüße! Ciao! Salut! Saludos! Greetings!
Matthias
Pedalgeist - Panorama für Radreisen, Landeskunde, Wegepoesie, offene Ohren & Begegnungen
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#1176604 - 12.12.15 22:30 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: veloträumer]
veloträumer
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Themenersteller
abwesend abwesend
Beiträge: 17.178
KAPITEL V
Blutzoll und Lebensquell zwischen Alpen und Karst:
Auf Spurensuche in Kolovrat, Banjsice, Trnovski Gozd & Idrijsko


„Und es ist lange her,
dass dein Docht verbrannt ist,
aber es ist ein Schatten geblieben
auf dem Glanze des Spiegels.“

Franco de Girancoli (in: Pier Paolo Pasolini u. a. „Wie eine Viole in Casarsa“, S. 59)

Fr 3.7. Camp Lazar – Slap Kozjak (Wanderung, ca. 1 h) – Kobarid (Besichtigung Kriegsmuseum, ca. 1 h) – Idrsko – Livek (690 m) – Livske Ravne (1037 m) – Kolovrat max. (1169 m) – Na Gradu – Sedlo Solarji (996 m) – Sleme (865 m) – Planinski Dom pod Jezo – Pusno – Kambresko – Slap Sovink – Preval (339 m) – Rocinj – Kozarsce – Preval Poljance (253 m) – Most na Soci
W: 16-32 °C, bis Nachmittag sonnig, schwül, am frühen Abend schweres Gewitter, danach kühl
Ü: H Lucija 40 € mFr (normal 45 €)
AE (Gostilna Skrt): Gnocchi m. Steinpilzen, Putenschnitzel, Pommes, Rotwein 18,20 € (*)
B: Kobarisko Muzeji 3 €
51 km | 10,4 km/h | 4:46 h | 1225 Hm

Nach dem herrlichen Spaziergang durch den morgenfrischen Wald zum Kozjak-Wasserfall, den ich ja bereits im Vorkapitel abschließend dargestellt habe, und dem Camping-Capuccino (2 €) stand ein ziemlich konträrer Programmpunkt an. Das Kobarider Kriegsmuseum – oder sollte man der mahnenden Wirkung wegen besser sagen „Friedensmuseum“? – liegt unübersehbar direkt an der Hauptstraße und wurde bereits etwa zwei Jahre nach der slowenischen Unabhängigkeit im Jahre 1993 mit dem Europäischen Museumspreis ausgezeichnet. Die Verdienste, so die Begründung, lägen in der besonderen Weise das Bewusstsein für das kulturelle Erbe zu fördern. Wir sind also wieder mitten im Alpen-Adria-Gedanken. Genauer: Wir sind mitten in der größten Krise, die die Alpen-Adria-Region erleiden musste, also im Ersten Weltkrieg, in dem die Isonzofront zum Blutbad im Spiegel des Smaragdglanzes wurde. Welche schreckliche Zukunft ahnte Simon Gregorcic ungewollt, als er der Soca sein Gedicht widmete und darin bereits 1879 formulierte:

„Da blinken Schwerter, Kämpfer sinken
und Bäche Blutes wirst du trinken,
genährt von unserm Blut so rot,
beschwert von unsrer Feinde Tod.“

(in: Lojze Wieser „Karst“, S. 180)

Der Eingang des Museums ist schlicht und gediegen, nur ein Granatenmodell weist auf das Thema des Museums hin, innen gleich eine ganze Kollektion von Granaten unterschiedlicher Größe. Krieg, so scheint es hier, ist ästhetisch, zumindest technisch elegant und von geradliniger Struktur, eine höhere Ordnung – auf sauber geputztem Boden ausgestellt. Fast peinlich ist es mir, zu fragen mein Rad in einer Ecke innen abzustellen, gibt es doch draußen an der Straße fast keinen Platz zum Anketten. Freundlich und unkompliziert wird mein Kampfgerät in grünen Tarnfarben zur vorübergehenden Erweiterung des Sortiments in den Eingangshallen toleriert. Nicht weniger freundlich erhalte ich abschließend die übersetzte poetische Soca-Hommage von Simon Gregorcic als Kopie (wenngleich das Gedicht sich auch im o. a. Buch wiederfindet). Käuflich erwerben konnte ich eine Spezialkarte zur Isonzofront mit Ausschnitt zwischen Kanal und Kranjska Gora (also die Bergregionen zwischen Kolovrat und Julischen Alpen) mit detaillierten Infos zu aktuellen Gedenkstätten, den historischen Frontenverläufen, einem kurzen Abriss der Kriegsentwicklung, aber auch den touristischen Einrichtungen von Heute.

Ich erfahre in den Ausstellungsräumen, dass das Krn-Gebiet mit dem Geburtshaus von Gregorcic in Vrsno durch das Kriegsgeschehen merklichen Veränderungen unterworfen war – sogar bis zur Sprengung des Berggipfels durch Granateneinschläge. Also nur einen halben Berg habe ich gestern gesehen. Gregorcic durfte ihn noch ganz erleben. Was hätte der Dichter über diese Heimat gesagt, als seine Worte durch solch grausame Realität wahr wurden? Die Artillerie war mit Haubitzen mit bis zu 42 cm Kaliber bis in die Hochgebirgsregionen auf über 2000 m zu finden. Kaum denkbar, dass es da um wirklich strategisch bedeutende Gebiete gegangen sein soll. Und natürlich wurde der Krieg nicht hier entschieden. Ein Blutzoll ohne einen Hauch von Gewinnaussicht – in mehrfacher Hinsicht. Die letzte Schlacht gewannen die habsburgisch-deutschen Verbände, indem sie überraschend in den lähmenden Stellungskrieg Bewegung brachten und bis zum Tagliamento vordrangen, doch verblieben sie als Länder am Ende des Krieges auf der Verliererseite.

Die Reihenfolge der Räume ist nicht eindeutig zu wählen, manches mischt sich. Der Krieg ist letztlich ein verwirrendes Mosaik aus einzelnen Schicksalen, die große Strategie des zielgerechten Todeskampfes eine Lüge der Generäle. Deutlicher abgegrenzt ist aber der Folklore-Teil, sprich die Ausstellung zu den Traditionen und zur Geschichte des Landes mit ihren unterschiedlichen Herrschaftsverhältnissen (wobei die Zeitachse allerdings deutlich nach dem Königreich Karantanien einsetzt), zu den wichtigen Persönlichkeiten Sloweniens – des Rechts, der Politik, des Militärs, aber auch der Literatur und der Musik. Man muss auch deswegen mit dem Abwandern der Glasvitrinen und Wandbehänge flexibel sein, weil man irgendwann zum Video-Film in geeigneter Sprache eingeladen wird. Das Video ist essentiell, man sollte darauf nicht verzichten, erspart auch manches mühsame Sammeln von Detailinfos in den Museumsräumen und vermag die Zusammenhänge besser wiederzugeben.

Die Kriegsgegenstände sind fast alle viersprachig – inklusive Deutsch – erläutert. Während noch manches Kampfgerät, wie eingangs geschildert, die historischen Technikdetails mit Faszination entblättert bis hin zur metallischen Nostalgiedeko, so beschleichen mich immer mehr beklemmende Gefühle der Hilflosigkeit und des Elends bei den Ausstattungsgegenständen der Soldaten – die kümmerlichen Essbehälter, die hosengerecht zugeschnittenen Zeitvertreiber wie Kartenspiele oder die ärztlichen Anweisungen zum Umgang mit Geschlechtskrankheiten oder dem massenhaften Exodus des Lebens, den der Krieg mit sich bringt. Der Kampf um Nahrung, um Wasser aus Schnee, der Kampf in der Kälte des winterlichen Gebirges – all das windet aus den gebleichten und vergilbten Fotos auf den Betrachter zu und gefriert auf seinen Wangen. Manchmal starben mehr Soldaten in Lawinen als durch direkten Feindbeschuss – nicht zuletzt wurde mit Artilleriebeschuss auf Schneefelder der Lawinenabgang als Kampfstrategie eingesetzt.

Der Soldat, so vermerkt der Kommandant des IV. Armeekorps General Mario Nicolis Di Robilant, sei weder im Geiste noch im Herzen auf den Krieg und die ständigen, unvermeidlichen Probleme und Verluste vorbereitet. Er ruft sodann offen dazu auf, gegen diese „Lauheit“ in den eigenen Reihen auch mit Waffen vorzugehen. Tatsächlich mussten die Soldaten mit unvollständigen Uniformen vorlieb nehmen, so Karl Paulin, ein Artillerist aus Kobarid, seltsame Kombinationen mit Zivilkleidung arrangieren, was ihnen Spott einbrachte, von einer echten Kampf- und Witterungstauglichkeit ganz zu schweigen. Jede Kleinigkeit wurde bestraft, viele Soldaten an den Telegrafenmasten entlang der Bahnstrecke gefesselt, bis ihnen schlecht wurde. „Was haben sich die Reisenden denken müssen, die hier nach Oberkrain gefahren sind…?“ frägt da Paulin mit der ganzen Abscheu, mit der der Mensch seine verrohten Abgründe auch noch zur Schau stellt. Indes blieb manche Generalität realitätsfremd, so konstatierte der General Di Robilant schlicht: „Schwierigkeiten sind … im Krieg unausweichlich und die Verluste, wenn sie schon empfindlich waren, haben niemals wirklich erschreckende Zahlen erreicht.“ In insgesamt zwölf Isonzo-Schlachten zwischen 1915 und 1917 wurden etwa 300000 Menschen zu Tode gebracht.

Die von der Zeit und dem Kriegsgeschehen angefressenen Postkarten und Briefpapiere in noch handgeschriebenen Lettern geben Zeugnis – Zeugnisse, die es im Krieg des digitalen Zeitalters nicht mehr geben wird. Wird das digitale Zeitalter geschichtsloser, wird es Kriegsleiden verharmlosen, ihre Gesichter verniedlichen, kaschieren, mit Photoshop retuschiert, die Spuren verwischen, weil alles nur in Daten-Bits verpackt wird? Wird eine SMS, die als Absender den Produktnamen des Mobilgerätes zu oberst nennt, noch in 100 Jahren eine nachdenkliche Wirkung auf den Betrachter haben? Die Briefe der Soldaten sind von apathischer Verzweiflung gekennzeichnet, nicht selten steht die Sehnsucht nach dem Tag des großen Friedens vermerkt. „Um Mitternacht vom 31. März auf den 1. April wird die Normalzeit um 60 Minuten vorverlegt, sodass in dem Augenblick die Uhren ein Uhr nachts anzeigen werden. Ich habe meine Uhr am linken Handgelenk genau um eine Stunde vorgestellt und mir gesagt: Der Frieden wird eine Stunde früher kommen.“ (Francesco Orlandi, Schreiber der 1. Kompanie des II. Bataillons des 155. Infanterieregiments)

Die Sanitäter beobachten verstärkt Elemente der Selbstverstümmelung – sei es um dem Kriegsgeschehen zu entkommen, sei es um dem qualvollen Leiden eine Ende zu bereiten. Wenn man dann die Fotos im Todeskampf erblickt, dann aber erschauert mich eine eiskalte Gänsehaut, obwohl doch langsam die Mittagshitze des Tages unübersehbar die Luft erfüllt. Der Soldat, der im Stacheldraht wie ein Lumpenfetzen hängen bleibt. Der Soldat, dessen Kopf bereits zum Skelett verbrannt ist, während sein Körper noch in Militärmantel und Stiefel etwas unordentlich aufgeknüpft neben dem Geschütz im Graben liegt. Die Soldaten, deren Gesichter so entstellt sind, dass sie nur noch eine Anstellung als Gruseldarsteller in Horrorfilmen finden können – nicht aber wissend, was die Seelen dahinter überhaupt noch empfinden können. Gewiss hat der Krüppel ein Recht auf Leben, aber haben die Lebendigen ein Recht darauf, aus burschenhaften Frohnaturen entseelte Krüppel zu produzieren?

Was die Sanitäter gesehen haben, werden sie kaum verarbeiten können. Einer hatte die Kraft, die Worte zu finden, die die Fragezeichen setzen. Ernest Hemingway diente als amerikanischer Freiwilliger in einer Sanitätstruppe auf der Seite der Italiener. Seine Erlebnisse an der Isonzofront endet als Essenz in seinem Roman „A Farewell to Arms“ (1929). Darin heißt es nahezu fatalistisch „Die Welt zerbricht jeden... die, die nicht zerbrechen wollen, die tötet sie.“. Gleichwohl wurde das Buch zu einem der bahnbrechenden Werke gegen Krieg und Militarismus. Schon deswegen, aber auch aufgrund der Schilderung der Schlacht um Caporetto (Kobarid, dt. Karfreit), die zu einer Schmach für die italienische Armee wurde, blieb in der Zeit des italienischen Faschismus ein verbotenes Buch, die heimliche Übersetzerin wurde gar inhaftiert.

Fast erschlagen bin ich ob des martialischen Todes, den die Erdenbürger verbrochen haben. Entsetzen erfüllte die Bewohner der Green Devil, als ich davon später berichtete. Die Sonne hat das kleine Städtchen Kobarid kräftig aufgeheizt. Etwas unterhalb stände noch eine Käserei mit Schaubetrieb offen. Doch jetzt ist schon Mittag, und mal wieder jagt mich der Uhrenklöppel. Nicht aber wollte ich Kobarid ohne ein Hoffnungszeichen verlassen – ein Symbol der Freude. Gegenüber gibt es kostenlos touristische Infos und kleine Souvenirs zu kaufen. Die Isonzofront gibt es hier als – Schokolade! Die Soca verkörpert eine durchsichtige Schleife, durch die mit Mohn bestreute hochwertige dunkle Schokolade leicht blau schimmert. Den Kozjak-Wasserfall gibt es schließlich als Motiv auf einer kleinen Bügelflasche mit Honiglikör.

Ich erfahre von der Inhaberin ein paar Dinge über das Leben aus dem Jetzt. Die Jugend, die Arbeitsmöglichkeiten in Slowenien nunmehr im Nachzug der jüngsten großen Währungs- und Wirtschaftskrise. Zusatzverdienste, mehrere Jobs sind immer wichtiger, um dem Takt der Zeit folgen zu können. Ich erfahre aber auch vom Friedensweg, ein Wanderweg, der eben Stationen der Kriegsschlachten als Mahnmale miteinander verbindet. Der Friedensweg ist jedoch kein Ergebnis der Alpen-Adria-Allianz, wie man vielleicht erwarten könnte, sondern schlicht ein binationale Projektidee von Slowenien und Italien nah dem Vorbild anderer Friedenswege in den Alpen, derweil der Krieg überall seine Spuren hinterließ.

Endlich wieder auf dem Sattel, heißt es unter kräftiger Sonne wieder zu schwitzen. Offen brennt es vom Himmel, zunächst eben bis Idrsko, dann sehr steil nach Livek hinauf. Ich brauche unglaublich lange, die immer seltener zutreffende Daumenregel für die Höhenmeter mit 400 Hm/Stunde scheint in den Wind zu schießen. Es muss eine Jugendregel sein, die alten Knochen brauchen zuweilen das 2-3-Fache. Jeder Brunnen erblickt mein ermattetes Gesicht, ich könnte jederzeit auch am Straßenrand in galaktischen Tiefschlaf verfallen. Doch ein Forschungsauftrag ist nun mal ernst zu nehmen, auch wenn das Objekt ein so reizvolles Land wie Karantanien ist. Denn auf der trichterförmigen Zwischenebene im bergdörflich verstreuten Livek erstrahlen die Bergwiesen in verführerischer Rastruhe, eine Gaststätte wäre in Reichweite.

Livsko, das Gebiet um Livek mit dem Gebirgskamm Kolovrat und Matajur, ist ein besonders ausgeprägtes Beispiel wechselnder Herrschaftsbereiche im Alpen-Adria-Raum. In den letzten fünf Jahrhunderten zählte die Region nicht weniger als zehn verschiedene Grenzgürtel, von der venezianisch-lombardischen Grenze bis zur nun offenen EU-Grenze zwischen Italien und Slowenien – und auch die scheint schon bei der kleinsten Krise schon wieder gefährdet, wie die aktuelle Flüchtlingsthematik der Erdenbewohner zeigt. Das Grenzkammgebiet offenbart auch die Auswirkungen des Klimawandels. Bereits 1930 wurde in Livek die erste Skianlage errichtet. In den 1950er/60er Jahren erfolgte ein deutlicher Ausbau der Schlepplifte, ein Skibus aus Cividale sorgte für eine gute Anbindung an Italien, aus dem die Wintergäste bis aus Padua herauf kamen. Seit 1985 ließen dann mehrere grüne Winter den Skitourismus versiegen. So heißt es treffend und optimistisch auf der Info-Tafel in Livek: „Doch das Leben geht weiter… Schauplätze der Soca-Front sind heute touristische Sehenswürdigkeiten. Tourismus gestaltet sich neu.“ Da müssen die Deutschen im schneeärmer werdenden Schwarzwald wohl demnächst wieder mehr die badischen Revolutionsfeldzüge auf den Streuobstwiesen ins Bewusstsein rücken.

Eine der angesprochenen touristischen Sehenswürdigkeiten des Krieges folgt als Open-Air-Museum und auch als eine Station des Friedensweges nach ein paar radlerischen Anstrengungen mehr. An einem kleinen Kiosk kann man Getränke erwerben und bekommt Infos zu den Kampfstellungen an der Isonzofront. Die Stellungen mit Bunkern, dem Gelände meist naturnah angepasst, lassen sich über einen Parcours aus Treppen und steilen Pfaden erkunden. „Wenigstens gebaut haben sie landschaftsfreundlich,“ wird man den Militärarchitekten zugestehen wollen – das Geheimnis vor dem Feind machte es nötig.

So geordnet wie hier waren meine Gedanken vor Ort dann nicht ganz. Durch die drückende Hitze flimmerte es mir im Hirn und ermattet verweilte ich für eine Zeit in der scheinbarer Gedankenlosigkeit. Eher waren es schockierende Radweisheiten: „Erschöpfung gibt es nicht nur im Krieg – auch Radfahren ist ein Kriegsschauplatz!“ Meistens stirbt man dabei aber nur für eine kurze Weile, danach ist wieder Freude. Einige wenige Touristen schritten fleißig die Hügel ab. Hat man das Museum in Kobarid ausführlich studiert, braucht es aber der Infos hier nicht mehr. Schon fast zu schön stehen hier unscheinbare Ruinen auf Panoramahügeln in Friedenszeiten. Den Tod sieht man nicht mehr.

Zuvor muss man den höchsten Punkt der Straße überwinden. Ab Livek entspannt sich die Fahrt nur wenig, denn weitere Rampen folgen, immerhin teils im Schatten. Der Asphalt besteht zuweilen aus einem Flickenteppich mit großen Schlaglöchern – ein unbedeutender Mangel, schleppe ich mich doch kaum über Schrittgeschwindigkeit vor. Der Hochpunkt folgt, wieder in einem offeneren Teil, als Schleife um einen Berg rum, eine Kuppe nur wenig höher als die Straße. Bereits etwas abwärts folgt Parkplatz, Kiosk und die kriegerische Studienquelle. Die Blicke erreichen hier wieder das Tal der Soca.

Nochmals weiter abwärts, quert man einen Pass des Kamms mit der für lange letzten Möglichkeit, zur italienischen Seite abzufahren. Nur weiter südlich, über meine Kammstrecke hinaus, führt bei Lig wiederum eine Straße hinunter nach Italien zur Idrija, die als Grenzfluss einen ziemlich ausgeprägten Graben zwischen dem Kolovrat-Kamm und den zahlreichen Kuppenbergen der italienischen Julischen Voralpen bildet. Die Vegetation verschmäht die Grenzzäune seit eh und je, hüben wie drüben breiten sich typische Wälder mit Lianen-umschlungenen Robinien aus, erinnern an Eukalyptus-Wälder, stiftförmige, fast lineare Ordnungen von Baumstämmen, die sich im Laufe der Zeit der überwuchernden gestrauchten Unordnung unterwerfen müssen. Der Mensch macht sich hier Honig und am Pistenrand häufig gelagert sichtbar Holz zu nutze.

Noch regnen kleine Mengen aus tiefgrauen Wolkensäcken auf meine nackte Haut. Aus dem Schatten heraus, an einer geschlossenen Berghüttenwirtschaft vorbei, öffnet sich wieder weidiges Bergland, mit kleinen Dörfern und Weilern. Entsprechend beendet wieder Asphalt den gut fahrbaren Pistenanteil, nimmt wieder gemäßigten Kurs nach oben. In Kambresko quere ich den Kamm erneut, nunmehr diesen ins Soca-Tal verlassend, derweil die Straße nach Süden noch weiterführt. Schon aber stürze ich mich unüberlegt in die Abfahrt, statt häuslichen Schutz im kleinen Ort zu suchen. Gewaltige Donner und Blitze lassen mich erschaudern, die Tropfen gewinnen in Sekundeneile radial beachtliche Größenordnungen.

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Hilfe ersucht! Unkalkulierbare Wasserschüttungen mit magnethirnzonenirritierenden Elektrizitätsentladungen in millisekundlicher Androhung ausgemacht. Was tun?“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Notbunker im Fels geöffnet. Dort Unterstand suchen und warten.“


Kaum zu glauben, aber Commander speichen-08/15-kracher hielt Wort. Zur Linken taten sich Felslöcher auf, die gerade für die Größe eines studi-RAL-verde und sein Velo berechnet waren. Zwangsläufig schrumpfte durch die Wartezeit die Zielvorgabe des Tages weiter zusammen, zumal jenseits von Most na Soci im Banjsice alternative Zwischenlager Mangelware sind. Bevor ich aber den tagesabschließenden Parcours nach Most na Soci über den unscheinbaren Minipass Poljance antrat, eröffnete mir speichen-08/15-kracher wieder einen seiner kleinen Boni. Unmittelbar unterhalb der Nothöhle sprießte der Slap Savink nun in üppig gehäufter Tropfenflut – wäre er vor dem Gewittertrubel mir nur als rinnsaliger Strahl erschienen.

Dem noch nicht genug, gewährte mir Commander speichen-08/15-kracher eine weitere Aufstockung der beschränkten Bankomatenlizenz für eine Hotelunterkunft, da trotz gepflegtem See, den hier die aufgestaute Soca bildet, keine Campingmöglichkeit existiert. Die Räume sind sehr beengt, auch wilde Biwakplätze nahezu unmöglich zu finden. Ich versuchte mein Glück bei zwei Privatvermietern, von denen jedoch keiner öffnete. Das Hotel wirkt etwas steril, der Betreiber hat möglicherweise schon abgerüstet, denn das angrenzende Restaurant steht nicht offen, nur eine kleinere Ecke dient als verbliebener Frühstücksraum. Immerhin kann ich einen kleinen Rabatt aushandeln. Viel teurer wäre ein Zimmer im alternativen Hotel etwas ortsabseitig wohl nicht geworden, nur wirkt es gemütlicher und erfreut sich einer großen Beliebtheit – dementsprechend war es ausgebucht. Hier aber begegnete ich unter den wenigen Gästen einem Radlerpaar, das aber nicht sehr gesprächig war.

Sa 4.7. Most na Soci – ? (580 m) – Tolminski Lom – Kanalski Lom – ? (798 m) – ? (888 m) – Kal Nad Kanalom – ? (813 m) – Lokovec – Cepovan – Grgar – Preval (336 m) – Trnovo – Lokve (947)
W: bis >30 °C, sonnig, diesig, schwül, auf Karsthöhe abends kühl
H/Gostilcne Winkler 38 mFr
AE (dito): Gnocchi m. Kräutern & Schinken, Roastbeef pikant, Pommes, Gemüse, Joghurt Cake m. Erbeersauce, Rotwein ? € (*****)
59 km | 9,4 km/h | 6:11 h | 1735 Hm

Während der Kolovrat als Kammgebirge eine noch weitgehend „alpine“ Geomorphologie aufweist, bildet die heute im ersten Teil anstehende Hochebene Banjsice einen echten Hybrid mit alpinen Gesteinsmerkmalen und Verkarstungen. Es ist die Schnittstelle zwischen Alpen und Karst und lässt sich als solche kaum sonst so gut beobachten. Das spiegelt sich z. B. darin wieder, dass einerseits die steilen Anstiege zur Nordseite (in mehreren Stufen) noch mit licht bewaldeten Felshängen aus kantigem Gestein zwischen den Bergwiesen und -weiden begleitet werden, die Talorte noch in klassischen Bach- oder Flusstälern liegen. Andererseits quert man folgend zwischen Kal Nad Kanalom und Cepovan eine typische, von zahlreichen Senken durchzogene Hochebene, die einen klassichen Karstwald abgibt, mit den ebenso typischen kleinen Lichtungen dazwischen und ohne erkennbare Abflüsse. Das Cepovan-Tal ist dann schon ein komplettes Tal ohne Flussbett, das keinen Auslauf zu Tal brechen muss und daher durch eine Passhöhe zur Soca hin quasi abgeschlossen ist.

Den größten Reiz strahlt dabei der lichte Buchenwald um den Pass zwischen Kanalski Lom und Kanalski Nad Kanalom aus, während das Cepovan-Tal als komplett offene, gefällarme Wiesenlandschaft eher etwas enttäuschte. Der Mystik der Gegend zufolge blieb es nicht aus, dass ich im Buchenwald auf ein besonders exotisches, wohl von seiner ursprünglichen Gestalt transformiertes Wesen traf. Die Augensprache des Wesens bedeutete mir eine große Artenverwandtschaft und Zuneigung, die ich allerdings nur bedingt erwidern konnte. In den biologischen Büchern der Erdenmenschen finden sich Hinweise wie Unke oder Kröte, die aber stets auch als verwandelte Menschen in Erscheinung treten – im Besonderen auch als Könige, etwa dem Froschkönig. Dafür, dass es sich hier um mehr als eine schlichte Kaulquappen-Erbfolgefigur handelte, spricht auch der Umstand, dass sich die Kröte in ungewöhnlich stolzer wie erhabener Bewegung über die Straße bewegte, obwohl doch Kröten eher in Verbindung mit klibbrigen Teichlöchern gebracht werden. In den Geschichten wahrheitsnaher Sagen spielen Frösche und Kröten eine herausragende Rolle, so auch in den Sagengeschichten Karantaniens. Dabei sind sie in nahezu allen Fällen eine verwandeltes Wesen eines menschlichen Charakters. Auch muss gesagt sein, dass das Licht im Buchenwald der Kröte einen ungemein irisierenden, königlichen Goldglanz verlieh, der sich nicht allein durch prismatische Experimentalwissenschaft erklären lässt. Diese hier gemachte Beobachtung einer zutiefst freundlichen wie auch nachhaltig wirkenden Begegnung mit der specii kröterensis sei für die Erkenntnisse von Commander speichen-08/15-kracher besonders herausgestellt, steht sie doch in unmittelbarem Zusammenhang des Forschungsauftrages, ein Königreich zu erkunden.

Es sei hier erwähnt, dass ich Kal Nad Kanalom auch von der Soca aus direkt nach der Kambresko-Abfahrt des Vortages hätte erreichen können, denn ebenso führt eine Straße mit einer Brücke bei Doblar hier hinauf. Weiters besteht eine asphaltierte Verzweigung bei der „Kröten“passhöhe nach Osten, auf der man die Cepovan-Most-na-Soci-Route oder aber die sehr gestreute Siedlung von Lokovec von Norden erreichen kann (und dann auf die meinige Route münden würde). Schließlich bestehen weitere asphaltierte Möglichkeiten, um die Karsthochebene südlich Kal Nad Kanalom zu beradeln, etwa über Kanalski Vrh nach Kanal zur Soca oder über Banjsice (Ort), Bate, Grgarske Ravne nach Grgar am Fuße des Cepovan-Tales. Ob von den Alternativen alle Streckenteile asphaltiert sind, kann ich nicht präzise verifizieren, die Wahrscheinlichkeitswissenschaften sprechen aber dafür.

Einen verbrieften touristischen Gasthof findet man in Tomlinski Lom, per Stichstraße von der ersten Passhöhe des Tages zu erreichen und daher noch in der Nähe von Most na Soci, wobei allerdings die Steigung dahin nicht zu unterschätzen ist. Cepovan verfügt über eine etwas versteckt liegende Einkehrmöglichkeit mit sicherlich unsicheren Öffnungszeiten, in Grgar steht eine Bar nebst eines kleinen Supermarktes, ein privater Zimmervermieter findet sich auch, der aber kein Essen anbietet. Als voll umfängliche Reiseraststation eignet sich zu den Hochtälern nur Lokve, soweit man nicht zu den Basisorten zur Soca oder nach Dolenja Trebusa abfahren möchte.

Eine flimmernde Hitze mit extrem diesiger Sicht beherrscht die Tagesmitte, sodass die Soca mit den drei Brücken und das Stadtgebilde mit Kromberk, Solkan, Nova Gorica und Gorizia nur hinauf dimmte. Die italienische Stadt mit seiner erhabenen Burg ist bei solcher Sicht schon gar nicht mehr im Süden zu erkennen, verschwimmt im Nichts. Ich suche die Gesellschaft einer lokalen Ziegengruppe bei der Passhöhe, um den wenigen Schatten für ein Picknick und eine Schlummerpause zu teilen. Da die Ziegen an meinen Vorräten ziemlich intrigant interessiert sind, muss ich zu unhöflichen Gesten und Maßnahmen greifen, wobei sich der Erfolg nur einstellt, wenn man das mehrmals wiederholt. Immerhin sind sie lernfähig, was sich nicht von allen Erdenmenschen sagen lässt.

Nach Trnovo folgt ein kontinuierlicher Anstieg auf die zweite Hochebene des Tages, die Karstebene Trnovski Gozd, unten moderat, jenseits von Ravnica ziemlich anspruchsvoll. Die Alpen sind nun nur noch ferne Horizontkulisse. Ein alter Soldatenbrunnen mit Wanne muss für unkonventionelle Abkühlung herhalten, kein Gewässer bietet der Tag sonst (Brunnen schon). Zwar ist auf der Strecke nicht mit viel Verkehr zu rechnen, heute jedoch sind viele Pferdetransporte unterwegs. Offenbar hat in Trnovo ein Turnier stattgefunden oder wird noch bis Sonntag weitergeführt. Direkte Hinweise sind aber nicht zu finden, es könnte auch ein Abzweig auf der Strecke zu einem Turnierplatz führen. Zwischen den Straßenrouten Cepovan – Grgar und Ravnica – Trnovo – Lokve verläuft noch eine weitere Radroute von Ravnica über Voglarji nach Lokve. Den Abzweig im Westen habe ich nicht registriert, im Osten bei Lokve ist es aber eine ziemlich raue Piste, die auch nicht als Siedlungsanschluss gedacht ist. Der Siedlungsanschluss (wohl Piste) verläuft nur von Westen, etwa bis zur Hälfte der Gesamtstrecke. Voglarji ist in jedem Fall nochmals per Asphalt von Trnovo aus zu erreichen.

Trnovo ist ein unscheinbarer Ort, der (fast) alles hat, was ein Mensch braucht, und das an einem Platz: eine Kirche für Stoßgebete, eine Picknick-Ecke für die Hungrigen (wobei man den Proviant selbst mitbringen muss), eine überdachte Wartehütte für schlechtes Wetter (im Zweifel abgeschlossen), Abfallkörbe mit Mülltrennung für die Ökobewussten (deutsch ist heute global), eine Wasserquelle für die Durstigen (hält, was es verspricht), Werkzeug mit opulenter Luftpumpe für die Radler (alles neuwertig), einen Defibrilator für die Herzschwachen (der Friedhof ist gegenüber), einen Bankomaten für alle mit Lizenz zum Gelddrucken (wenn man auch hier nichts dafür kaufen kann) und ein Pferdewagen als Ersatzmobil für Liegengebliebene (wobei die Pferde nur virtuell funktionieren, dafür aber ein Hut beiliegt, um eventuell auftauchende Volksmassen grüßen zu können). Der vollständig halber sei erwähnt, dass ich einen Hinweis auf einen Camping gesehen habe, der sich nebst Bar und wohl bei einem Freizeitgelände mit Schwimmbad abseits der Strecke befinden soll, in dieser Richtung auch wohl noch ein Privatzimmervermieter.

Die Hoffnung, die Höhe geschafft zu haben, wird östlich Trnovo wieder jäh zusammengestaucht. Die nunmehr typische Karstwaldhöhe mit teils sehr dunkelschattigen Passagen, evoziert mystische Stimmungen, die aber im Schweiße des Angesichts im steten Auf und Ab auf eine harte Probe gestellt werden. Da und dort radeln auch ein paar einsame schöne wie sportliche Frauen, bei denen es sich um Nymphen handeln könnte. Die Gespräche blieben jedenfalls kurz und geheimnisvoll. Klare Botschaften gaben sie mir nicht mit auf den Weg, während sie in Richtungen abzweigten, aus den der Wind vom Ende der irdischen Welten entgegen wehte. Vielleicht hatten sie auch meine Alienabstammung erkannt, die tiefer gehende Kooperationsprojekte in der transkosmischen Beziehungsaleatorik mit hohen Hürden versehen hat.

Lokve entfaltet sich gut gestreut auf das von den gehobenen Randlagen weithin überschaubare Plateau, das wie in einem weiten, sanft begrenzten Kessel eines verblichenen Vulkans liegt. Es ist nicht nur ein Skisportzentrum im Winter, sondern lockt auch im Sommer viele Gäste an. Es gibt einfache Unterkünfte verschiedener Art, auch mehrere Essstuben, eine weitere gute Gasthofadresse etwas höher in den Bergen in Lazna, dass man wiederum per Stichstraße erreichen kann. Die Einkaufsmöglichkeiten habe ich leider nicht ausgekundschaftet, es dürfte sie geben. Die beste Adresse vor Ort ist der Gasthof Winkler, wegen der Tagung eines Hundezüchtervereins an diesem Wochenende ziemlich gut ausgelastet. (Die Hunde waren in den Autos kastengesichert und konnten die Waden des Alien nicht gefährden.) Die Entscheidung hier ein Zimmer zu nehmen war wiederum einem Erkenntnis-Bonus von Commander speichen-08/15-kracher zu verdanken, der sich über die Schilderung der königlich anmutenden Kröten-Saga des Tages besonders gefreut hatte. Nicht nur wären preiswertere Alternativen möglich gewesen, auch ließe sich gut in der Umgebung ein Zelt frei aufstellen (besonders an der Sattelhöhe des nächsten Morgens).

Die Zimmerfreude ist begrenzt, da nicht gerade geräumig und ohne Ausblick, allerdings ordentlich. Auch die ausgewiesene Sauna ist nicht in Betrieb – wohl ein Winterprivileg. Dafür ist die Freude über das dargebotene Essen umso größer. Es werden überwiegend Produkte aus kontrollierter Eigen- oder Lokalproduktion angeboten, offenbar mit Öko-Etikett. Der Geschmack der Speisen ist superb obwohl keine Gourmetküche. Entscheidend sind die hochwertigen Zutaten und die individuelle Geschmacksnote, die allen Gerichten ihren Stempel aufdrückt. Besonders hervorstechend der sehr pikant abgeschmeckte Schmorbraten – so gut mundete auf der Green Devil schon lange nichts mehr. Die Bilder habe ich der Kantinenabteilung der Green Devil übermittelt, damit sie sich der Erforschung der Zubereitungsvorgänge widmen können.

So 5.7. Lokve – ? (968 m) – Cepovan – Preval Drnutk (761 m) – Dolenja Trebusa – Krt – Slap Prisjak (Wanderung, ca. 1 h) – Gorenja Trebusa – Mrzla Rupa/Pstota (924 m) – Vojsko (1077 m) – Idrija
W: bis >30 °C, weitgehend sonnig
Ü: C wild 0 €
AE (Gostilna pri Skafarja): Ravioli m. Kart.füllung & Lamm, Skafar-Schnitzel m. Schinken, Pommes, Salat, Eis, Rotwein 26,50 € (***)
52 km | 9,5 km/h | 5:20 h | 1180 Hm

Im Kampf mit Schotterpisten nimmt dieser Tag eine führende Stellung ein. Der sanfte Anstieg mit Panoramablick rückwärts auf Lokve gleitet noch auf geschmeidiger Piste. Oben warten Alpenblicke und auch hier – Abfalltrennung am Picknickplatz. Die Abfahrt dann ist bei starkem Gefälle schon eine recht ruppige Angelegenheit. Auch mal in umgekehrter Richtung aufwärts ursprünglich angedacht, wäre es keine Empfehlung ohne griffige Reifen und mit viel Gepäck gewesen. Heute Morgen scheint Cepovan etwas lebendiger als gestern, was alsbald für die gesamte Strecke gilt, denn anscheinend gibt es hier nicht nur Pferdeturniere, sondern auch Traktorrallyes. Immer wieder kommen mir Staub und Rauch aufwirbelnde Ackertrucks entgegen, stets mit freundlichen Grüßen der Piloten, aber den Dreck habe ich dann doch zwischen den Zähnen hängen – mehr als nur Feinstaub. Ob die Veranstaltung in Dolenja Trebusa beendet ist, oder ob es sich um eine Rundkurs-Rallye handelte (eine Gruppe mit PKW postierte sich als Zuschauergäste auf der Passhöhe), konnte ich nicht herausfinden. Ich fand zwar Plakate, die ich aber nicht genau deuten konnte. In jedem Fall wollte ich mich glücklich schätzen, den Samstag bei den Hundezüchtern verbracht zu haben und nicht bei den Bauerntrekkern. Und so was sagt ein Vertreter der Gesinnungszunft „cane non amore, pedalo per favore“, die auf der Green Devil viele Mitglieder hat.

Wie dem Gesagten bereits zu entnehmen ist, endet der Asphalt unweit und oberhalb des Cepovaner Siedlungsgebietes. Die Piste ist passabel, besser als die Lokve-Abfahrtsroute zuvor, aber eben ist Staub nun mal pistentypisch und bei Verkehr unvermeidlich. Landschaftlich ist diese Passroute über den Preval Drnutk eine sensationelle Felsenfahrt – mitten durch meist offene Kalksteinportale, auch mal ein Torbogen, vorbei an Sandsteingalerien, an sprießenden Felsentwässerungen, immer mehr davon nach unten hin, ein Überschwang an Büschen, die keine anorganische Ritze verschmähen. Waldreich untermauern dazu dunkelgrüne Bänder das Steingrau der Charakter-Felstürme, die sich im grellen Licht beim Betrachter vorzudrängeln wissen. Eine an Provençe, Vercors und Drôme erinnernde Kalkalpenlandschaft und gleichwohl – kaum verwunderlich – schon dem Karst verpflichtet, der hier auf der Westflanke die Hochebene Trnovski Gozd entwässert, während zur anderen Talseite das gleiche dem Idrijsko-Plateau geschieht, mit nicht weniger steil anwachsenden Höhenzügen.

Das Wasser sammelt sich in der forellenreichen Trebuscica, ein Paradies für Fliegenfischer und somit auch eine Nahrungsader zwischen Alpen und Karst wie Soca und Idrijca ebenso. Zahlreiche Gumpen bilden die Flussstruktur, von denen aber nur wenige über steile Abstiege zu erreichen sind. Weiter oben hingegen gesellt sich der Fluss zeitweilig mehr neben die Straße wie ein alpiner Weidebach. Aber auch zur die Bergseite bilden kleine Zuflüsse und Kaskaden Badewannen, von denen eine dem Alien die Häute ausgiebig zur Siesta kühlte. Noch zuvor führt ein Pfad, nicht ganz einfach zu laufen, zum steil felsumschlungenen Wasserfall Prsjak, auf den die Fassadenmalerei des Ausflugslokal an der Straße hinweist (nur Tagesgeschäft, etwa ab Mittag offen). Der Abstieg zu den Gumpen des markanten, streng linear gezogenen, auf Magersucht getrimmten Wasserfallstrahls nebst seiner volumigen Derivate, dafür kürzer beschnitten, ist beschwerlich. Badelustige und Fotografen sollten technische Steighilfen mitbringen – drei solch Verwegene haben es bis ganz unten geschafft, der Alien blieb oben.

Kaum nahm ich nach der langen Rast weitere steile Kehren vor der Kulisse paariger oder getrippelter Zuckerberge in Angriff, stieg in mir eine Eiseslust. Einzig vermerkt die Karte ein Gasthaus in Gornja Trebusa, nicht unrecht, aber ohne Eis, nur Bier, kein Eistee, keine Cola, von Essen ganz zu Schweigen, irgendein Saft findet sich, eher ohne die erhoffte Erfrischungswirkung. Wohl passen die Bewohner des Weilers an einen einzigen Tisch – hier spricht man natürlich nur slowenisch, erstmals und wohl einzig ist die Kommunikation schwierig, auch etwas verschlossen die Anwesenden, wie manche der Bergvölker so sind.

Bald geht der Asphalt in Schotterpiste über, die aufgrund der permanent höllischen Steigung nicht ausreichend stabil ist. Mehrfach muss ich kurze Stücke schieben, die Sattelpassagen sind kaum schneller. Es gibt zwar auch hier und dort mal ein Haus, aber keine markante Siedlung. Echte Bergsiedlungen sind mittlerweile in Slowenien fast immer per Asphalt erschlossen – auch wenn es sich nur um ein paar Weiler handelt, manchmal auch einzelne Höfe, die von Bedeutung sind. Das geschieht aber nur zu einer Anfahrseite, sodass komplett asphaltierte Durchfahrrouten in einsamen Regionen nicht immer gegeben sind. Auch für Mrzla Rupa gilt das, welches von Vojsko bzw. Idrija aus erschlossen ist, während die Anfahrt über Dolenja Trebusa eher einen Geländewagen erfordert.

Der steile Pistenabschnitt lässt einige Panoramablicke zu, führt aber mehr durch Wald als der untere Asphalt-Teil. Mit Mrzla Rupa erreicht man nicht nur wieder einen Siedlungsbereich, sondern auch wieder die typischen Karstwiesen und -wälder. Dabei sind die Oberflächenkonturen stärker gewölbt, um nicht zu sagen teils sausteil, was denn auch für die Asphaltstrecke nach Vojsko gilt. Ein kurzer Abschnitt ist so steil, dass mein Rad selbst mit den Lowridern als Gegengewicht droht abzuheben. Das Vertrauen in fliegende Velos ist bei mir nicht groß, da ziehe ich unsere Raumfahrttechnik auf der Green Devil vor. So gerade eben würge ich das Radgefährt nach oben – Schieben wäre hier kaum mit den schwerelos-gewöhnten Alienmuskeln möglich gewesen. Man frägt sich, wie hier Autos ohne Zahnräder den Berg erklimmen – ein Traktor führt es mir aber vor – wenn auch nicht ganz überzeugend.

Nun war wieder Asphalt bis nach Idrija gesichert, soweit ich keine Experimente zu den Idrijca-Quellen machen würde. Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten, die ich aber im Rahmen der Reise nicht erkunden konnte. Hier sind auch Durchfahrtsanschlüsse an die Route des nächsten Tages möglich. Von Vojsko aus, einem kleinen Wintersportort mit unübersichtlicher wie spärlicher Infrastruktur für Sommergäste, gleichwohl einem netten Kirchlein, führt die Route über das geschwungene Karsthochtal eines Bergkamms des Idrijsko zunächst nur leicht hinab. Ein Gastbetrieb unter dem Namen „Beli Kamen“ umwirbt gastfreundlich auch Radler etwa zur halben Strecke etwas abseits bei Polanec bzw. dem Berg Potok, noch oberhalb dem Abzweig Cekovnik (der zur anderen Seite liegt). Erst spät beginnt eine recht sausige Talfahrt über eine rassige Bergstraße mit Fels- und Waldpassagen, nicht immer mit den besten Lichtverhältnissen, für ungeübte Velopiloten sicherlich eine größere Herausforderung.

Obwohl es an Gefälle nicht mangelt, sind die Talblicke in Richtung Idrija geradezu abgeschnitten. Die Stadt taucht erst spät im Augenschlag auf, schmiegt sich fast unbemerkt in das hügelige Profil, kaum eine flache Entfaltung ist in der Idrijca-Aue möglich. Einige Schlösser, repräsentative Bürgerhäuser und Villen zeugen von wohlhabender Vergangenheit, mit kräftigem k.u.k.-Gepräge. Die beiden Stichworte des wirtschaftlichen Ruhms lauten „Schaufel und Spitze“ – genauer der Bergbau der Quecksilbermine und das Textilhandwerk des Klöppelns, mit der kunstfertige Spitzen hergestellt werden. Letzteres ist natürlich auch heute noch eine Wirtschaftsperspektive für die Zukunft, zumal solch handwerkliche Kunstfertigkeiten wieder im Trend gegen die Allmacht künstlichen Digitalwelten liegen.

Weniger glücklich sind lange die Gesundheitskarten der Einwohner von Idrija gewesen, denn die Quecksilberproduktion lief erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts aus und währte ca. 500 Jahre. Quecksilber, ein höllisches Gift für Körper und Geist, bewirkt chronische Nerven-Vergiftungen, zu denen bereits 1527 Paracelsus anmerkte: „seht ein Beispiel in Idria; all die da wohnen sind krumm und lahm." (so laut Wikipedia) Viele Arbeiter fanden sich bald in einer Nervenheilanstalt wieder, welche zu einem der monumentalsten Gebäude der Stadt wurde. Schädliche Arbeitsbedingungen zählten und zählen auf dem Erdenball zu allen Zeiten als scheinbar unvermeidlicher Kollateralschadens einer Erwerbseinkommens- und Wirtschaftskultur, die das Geld über die Nachhaltigkeit von Glück, Gesundheit, Lebensfreude, Genuss, Friede und Liebe stellt. Auf der Green Devil wurden daher alle Formen von Erwerbswirtschaft abgeschafft und es können nur Zufriedenheits- bzw. Glücksparameter erzeugt bzw. gehandelt werden. Entsprechend sind externe Erlebnismomente wie Reisen aus der Galaxie der Siebentausend Grünen Froschlöcher heraus wie etwa zum Erdenball nur sehr schwer durchführbar, bräuchte man dafür nämlich wieder die alten Modelle geldwirtschaftlicher Spekulations- und Konkurrenzwirtschaft. Einige Mittel wie die beschränkte Bankomatenlizenz erlauben jedoch begrenzte Exkursionen, nicht zuletzt in Form von Forschungsreisen.

Ich konnte Commander speichen-08/15-kracher beruhigen, dass die Goldgewinnung im alten Königreichs Karantanien wohl nicht durch das Amalgamverfahren (unter Verwendung von Quecksilber) statt fand, da das Verfahren erst in späteren mittelalterlichen Epochen entwickelt wurde. Der Ruhm der zweitgrößten Quecksilbermine weltweit, immer auch ein bedeutender wirtschaftlicher Anker der Habsburger Donaumonarchie, ist nun heute verblasst, alte Häuserruinen mit zerbrochenen Scheiben zeugen in der Stadt noch von dem Abgesang der alten Bergwerkskultur.

Damals rankten sich Legenden um die Bergstollen, wie der eines Knappen, der einst von einem Zwerg ins Innere des Berges gelockt wurde, etwas Besonderes zu sehen. Dabei führte der Zwerg dem Knappen einen funkelnden Saal vor, aus purem Gold. Säulen, Türen, Wände, Böden und Türen glitzerten, wenn nicht aus Gold, dann aus Rubinen, Diamanten oder Smaragden. Der Knappe erlebte, wie sich Türen öffneten, weitere Zwerge mit Dudelsäcken, Geigen und Trommeln zum Tanz aufspielten. König und Königin traten hervor, weitere Edelleute umgarnten den Hofkreis. Der Knappe konnte sich mit König du Königin unterhalten. Irgendwann ermüdete der Knappe und ließ sich von dem Zwerg wieder aus dem Berg des geheimen Schatzes führen. Der Knappe erzählte die Geschichte seiner Frau und ließ aus seinem Arm ein Klumpen fallen, der jener Goldklumpen sein sollte, der ihm der Zwerg als Beweisstück geschenkt hatte. Aber auf den Tisch fiel nur ein Brocken Lehm. (vgl. Wilhelm Kuehs, S. 84 f.) Commander speichen-08/15-kracher kratzte sich stirnrunzelnd die Kopfhaut, als ich die Geschichte erzählte, befand aber abschließend, dass Lehm für ihn immer auch etwas Goldenes in sich tragen würde. Immerhin, so meinte er, wäre es ja möglich, dass das Königreich des Zwerges immer noch existieren würde. Widerlegen könne man es ja nicht. Ich brachte ihm jedenfalls zwei Lehmminiaturen des Krainer Volkes in folklorer Bemalung zur Ansicht mit.

Teile der Stadt putzen sich heute in neureicher Eleganz heraus, wenngleich etwas bescheidener als k.u.k, aber von ausgeprägter Lebenslust und sportivem Gesundheitsbewusstsein getragen. Es fehlen mir die Zahlen der neuzeitlichen Wirtschaftsentwicklung, aber der Keim einer lebenswerten Stadt mit vielen jungen Menschen ist unübersehbar. Da passt es in das Bild, das auch im scheinbar einfachen, fast spelunkenhaften Gasthof die Essensqualität sehr gut war, wenngleich ohne gourmetmäßige Avancen. Der Radladen, den ich am nächsten besuchte, bot großzügige Rabatte auf das gesamte Textilangebot, was mich zu einem Unterziehhemd und einem froschigen, der Corporate Identity auf der Green Devil entsprechenden Trikot verleitete und mittlerweile von den dortigen Kollegen laut beklatscht wurde. Die Räderauswahl ist eher klein, aber durchaus mit gemischtem Sortiment, auch Ersatzteile scheinen die wichtigsten Mängelerscheinungen abzudecken, die denkbar wären. Mindestens einen weiteren Laden mit Rad-Equipment konnte ich im inneren Stadtbereich ausmachen.

Mo 6.7. Idrija – via Krajinski Park Zgornja Idrijca (Kanalweg) – Idrijska Bela – Zadlog – Crni Vrh – Strmec/Godovic Pass (852 m) – Col – Soteska Bela (Wanderung, 0,5 h) – Vrhpolje – Vipava – Mance – Kobdilj – Dobravlje – Kazlje – Storje
W: bis ca. 30 °C, sonnig, teils sehr schwül, teils windig
Ü: C Kamp Storje 10,65 €
AE: Selbstversorgung, Weißwein gratis
75 km | 13,0 km/h | 6:45 h | 1065 Hm

Die Lage zur Unterkunft war in Idrija unübersichtlich, die Touristinfo schon geschlossen. Die von mir anvisierte Jugendherberge ist offensichtlich mehrere Kilometer außerhalb irgendwelcher Berge hinauf zu finden. Um nicht meine Bankomatenlizenz zu sprengen, verwarf ich sämtliche angebotenen Schlafstuben ohne weitere Nachforschungen und stellte mein Zelt auf die vorstädtischen Auenwiesen der Idrija, in der ein nebelreiches Erwachen für eine inspirierende Morgenstimmung sorgte. Das gesparte Übernachtungsgeld floss dann – wie schon erwähnt – in den Sektor der Fahrradbranche und die lokale Cafékultur (Ambiente etwas neumodisch für die hippe Jugend).

Den gesundheitsbewussten Sportslowenen sieht man ggf. auf nachfolgender Wegstrecke, die man zunächst als Fahrweg, später eigentlich Fußweg, etwas oberhalb des Ortes findet (Vodnikova ulica). Der Weg beginnt bei Ausstellungsstücken des Bergwerks als schmale Wohnstraße und führt an einem kleinen Kanal entlang, der eine feucht-grüne, schattige Spazier-, Jogging-, Rekreations- und Konversationslunge oberhalb der Idrijca prägt. Der Weg endet an einer kleinen Staumauer mit einem Blauschimmersee. Hier ist aber Sackkasse, nur noch ein Wandertrail führt weiter. Der Staudammwärter, der gerade seine morgendliche Kontrolle machte, erklärte mir schließlich, dass es nur 150 m zurück eine Hängebrücke gäbe (eigentlich nur für Fußgänger gedacht). Die hatte ich erst gar nicht durch den Wald wahrgenommen. Über eine anschließende kleine Treppe gelangt man auf die gegenüberliegende reguläre Straße.

Dabei unterlag ich dem Irrtum, dass der Blauschimmerstausee bereits der Divje jezero wäre, ein kleiner runder Karstsee von Felswänden umgeben, von großer Tiefe und als Ablauf mit dem kürzesten Fluss Sloweniens mit nur 55 m. Dieser See liegt aber eben auf der Seite der regulären Straße, wiederum abgewandt zur Idrijca und versteckt und zudem etwas unterhalb der Hängebrücke. Dort ist er auch nicht ausgeschildert. So verpasste ich diesen Karstsee. Soweit und so schön dieser spezielle Kanalweg sein mag, sei dieser Hinweis wichtig für Nachahmer, evtl. die Straße zu benutzen, oder nochmal von der Hängebrücke ein Stück abwärts zu schauen.

Ich muss mich aber der idyllischen Eindrücke nicht grämen, denn die Idrijca bildet hier immer wieder kleine smaragdfarbene Zwischenseen, manchmal Gumpen und fließt zwischen zahllosen Steinblöcken hindurch. Das alles wirkt recht unberührt, nur gelegentlich Wanderwege, die über kleine Hängebrücken in den Wald zur anderen Seite führen. Viele Stellen werfen Badestellen ab. Jedoch strömen die meisten zum Baden nach Idrijska Bela, eine kleine verstreute Siedlung, wenn sich das schmale Flusstal etwas weitet. Im obersten Teil des Ortes liegt eine Freizeitanlage mit gepflegtem Badebereich, Picknick- und Grillmöglichkeiten, Kiosk, diversen Freizeitsportanlagen und natürlich den unvermeidlichen Parkplätzen. Keine große Geschichte, alles noch dezent und halb verdeckt zur Straße hin. Beim Badebereich quert man die Brücke bei den beiden zusammenfließenden Flüsse Idrijca und Bela. Beide Oberläufe lassen sich noch weiter per Piste erkunden, wobei Routen nach Mrzla Rupa bzw. Vojsko und Cekovnik möglich sind (vgl. Vortag).

Zum Baden finden sich weitere Stellen auch etwas unterhalb der Freizeitparks ohne jeden Trubel. So erfrischt, folge ich beim unteren Ortseingang von Idrijska Bela der Straße nach Zadlog. Es ist allerdings großteils Piste, die einen gehobenen Körnerverbrauch beansprucht. Da die Piste etwas sandig ist, reicht jedes der wenigen Autos aus, eine Gedenkstaubpause einzulegen. Karstige Wiesen, karstiger Wald mit mystischen Steinblöcken, oben dann die Öffnung zu einem weitläufigen Karstplateau, die teils als Acker genutzt werden. Die intensiveren Anbauflächen finden sich aber wie die Siedlungen meist nur am Rande der Ebene, was auf die Wasseradern deutet. So entsteht eine eigenartige Siedlungsstruktur mit Gemüseoasen. Bereits vortags konnte ich in Mrzla Rupa beobachten, wie Gemüse in Senken angebaut wird – also da, wo eigentlich normalerweise die Täler von Flüssen oder Bächen verlaufen müssten. Dort sammelt sich im Karst noch das meiste Wasser, das von den Hängen herunterläuft. So entstehen je nach Topographie kreisrunde oder schmale, langgestreckte Anbauflächen in den Senken.

In Crni Vrh erreichen meine Durst- und Fruchtgelüste galaktische Dimensionen, die ich gierig mit Supermarkt-Eis und Wassermelonen befriedige. Der Godovic-Sattel ist ein Straßenpass mit Transitcharakter, den auch einige größere LKWs nutzen. Nach den unteren Panoramaserpentinen bohrt sich der Pass teils eher unscheinbar in den Berg, die Steigung ist anspruchsvoll, wenn auch nicht mörderisch. Genau genommen sind es zwei Pässe, denn zwischen der Scharte, die die Straße zunächst durchquert, und der eigentlichen Passhöhe westlicher mit einem Gasthaus liegt eine Zwischensenke, die zu beiden Seiten ohne Abfluss eingeschlossen ist. Unten findet sich wieder der kleinteilige Gartenanbau, während die Straße halbhoch am Hang die Karstsenke umschleicht.

Nun folgt der Übergang des Karstplateaus zur bereits mediterranen Weinregion des Triester Karstes mit den Weinstraßen Vipava in der Flusssenke unmittelbar unterhalb des großen Karstabbruches und weiter im Süden jenseits des kleinen Höhenzuges, der die Südseite des Vipava-Tales begrenzt, der Karst-Weinstraße. Dabei vermischen sich die Straßen im Osten durch die Weinrouten in Nord-Süd-Richtung nach Sezana hin. So gesehen beginnt mit dem ersten richtige Weinort Vrhpolje (kleiner Camping vorhanden) bereits das nächste Kapitel, hier aber der Einfachheit halber noch zu Ende des Tages geführt.

Die fortgeschrittene Zeit zwang mich zu der vielleicht weinbergärmsten Routenvariante, eher unerwartet mitteleuropäisch bewaldet. Wer mehr Weinreben sehen möchte, sollte besser noch vor Kobdilje/Stanjel in Richtung Stjak fahren und dann die Hügel nach Kazlje queren oder ggf. noch eine weitere, östlichere Variante über Razguri, über die man dann auch nach Storje gelangt. Allerdings sind diese Varianten noch schwieriger einzuordnen als meine Variante, die durch das viele Auf und Ab ziemlich aufreibend ist, obwohl die Steigungen nicht mehr die Härte der vorhergehenden Alpen- und Karst-Regionen haben.

Vor dieser Weinroute steht aber noch der spannende Abfahrt durch den großen Karstabbruch zwischen Godovic-Pass über Col (eine Art Terrassenausblicklage vor der Weinebene) nach Vrhpolje. Markante Gesteinsschichten treten auf der Südflanke nach Westen hin zu Tage. Zur Südostseite blickt man auf das Nanos-Gebirge, nochmals eine kleine eigene Welt, für die keine Forschungsmittel mehr vorhanden waren. Zu Fuße des Nanos-Massivs befindet sich die Schlucht Soteska Bela mit steilen Felsenwänden, die bei Freeclimbern sehr beliebt sind. In der Schlucht bildet der Fluss sehr hübsche Gumpen, die allerdings durch viel Dornengestrüpp nicht gerade leicht zu erreichen sind, zuvor gilt es noch eine schwindelerregende Leitertreppe zu bewältigen. In der Schwüle hatte sich das letzte Tagesdrittel mal wieder stark eingetrübt, wodurch der Eindruck der Gumpen etwas unter dem fahlen Licht leidete.

Kein Karstabbruch ohne Karstquelle, die den unteren Bewohner mit ihrem Aderlass zu fruchtbarem Land verhilft. So liegt direkt im Ort Vipava die Karstquelle bzw. eine von mehreren. Ein unscheinbarer Teich bildet das idyllische Ambiente für eine hübsche Lokalität mit Gasttischen unter schattigem Laubendach. Die Quelle ergießt sich fast unbemerkt in einem kleinen Felsloch von unten in den Teich, der erst durch das Stauwehr von Menschenhand etwas die Lebensquellgeburt verdeutlicht. Gradisce pri Vipavi bietet nochmal Camping und Weingasthof, danach bleibt die Infrastruktur lange Zeit spärlich. Ich gelange in die Dunkelheit, verschätze Distanz und Topografie. Angelockt wurde ich nach Storje vor allem durch die Aussicht auf ein edles Restaurant. Der kräftezehrende Kampf um das gute Essen endete mit einer schweren Niederlage, denn der Speisetempel hüllte sich ins Dunkle im doppelten Sinne – er war just an dem Tage geschlossen – eine Montagsfalle. Sezana war jetzt aber schon zu weit entfernt gemessen an der Uhrzeit und auch keine Empfehlung für einen Rastort. So begnügte ich mich mit kärglichen Proviantreserven aus der Radtasche auf dem hübschen Weingut-Camping. Quasi als Trostpflaster erhielt ich eine Karaffe des Hausweines, ein weißer, leicht gold schimmernder, dezent fruchtiger wie frischer Sommerwein mit einem Hauch Pfirsich- und Zitrusaromen. Die Sitte des Empfangsweines für den Gast scheint es auf allen slowenischen Weingut-Campings zu geben, wie die Fortsetzung belegen sollte. Karantanischer Geist wird hier getrunken.

Musik: Peter Savli vertritt die junge Komponistenregion Sloweniens, hier mit einer ungewöhnlichen Besetzung aus Marimba und Orchester. Verschiedene Einflüsse fließen in die Musik ein, die hier bis in tänzerische Ragtime-Anleihen reichen: Peter Savli „ Koncert za marimbo in orkester” (14:53 min.)

Bildergalerie Kap. V (142 Bilder):



Fortsetzung folgt
Liebe Grüße! Ciao! Salut! Saludos! Greetings!
Matthias
Pedalgeist - Panorama für Radreisen, Landeskunde, Wegepoesie, offene Ohren & Begegnungen

Geändert von veloträumer (23.02.23 16:14)
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#1176732 - 13.12.15 19:53 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: veloträumer]
veloträumer
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KAPITEL VI
Der Wein, das Meer und ein Loch im Stein:
Mediterraner Genuss zwischen Triester Bucht, Collio & Colli Orientali


Di 7.7. Storje – Sezana – via Basovska cesta – Basovizza – Draga San Elia – via Ciclopedonale Giordano Cottur – Bottazzo – Cascata Ghiacciatta /Val Rosandra (Wanderung, 0,5 h, ohne Badezeit, ohne tiefere Talerkundung) – Bagnoli della Rosandra/Rifugio Mario Premuda – Dolina – Prebenico – Stramare/Rabuiese – Ankaran
W: bis ca. 30 °C, sonnig, am Meer abends tropisch schwül
Ü: C Ankaran 15,65 €
AE (dito): Pasta m. Oliven & Schinken, gem. frittierter Fisch, Pommes, Eis, Weißwein 27,90 € (**)
50 km | 12,2 km/h | 4:02 h | 605 Hm

Auf dem Camping lernte ich zum Frühstück zwei Reiseradler kennen, die zusammen unterwegs waren, weniger auf Welttour als mehr in ausgewählten europäischen Gebieten. Der eine ein Russe, aber wohl irgendwie in Israel lebt, der andere ein Israeli, aber irgendwie russische Verbindungen hat (beide sprachen miteinander russisch, mit mir Englisch, wobei der Russe kaum Englisch konnte). Namentlich kann ich mich nur noch an Michael aus Israel erinnern. Beim Tee tauschten wir ein paar Routenempfehlungen in der Umgebung aus, unterhielten uns aber auch über ein paar Mentalitäten von Erdenmenschen. Zu den Mentalitäten gehören auch dünn-brühige Teebeutel-Getränke, kaum anders, wenn kaffeeähnliche Getränke gereicht werden, wenn man mit irdischen Reiseradlern frühstückt.

Eigentlich sollte der Besuch von Sezana zum Reisehöhepunkt werden. Ich hatte Kontakt zu einem anderen, sich selbst bezeichnenden Alien aufgenommen, Roberto Magris, der sich erfolgreich auf dem Erdenball als Jazzpianist und karantanischer Geist aus der Triester Bucht kosmopolitisch in der Welt etablieren konnte. Seine Konzerte erreichten Hörer in den ehemaligen sozialistischen Abhörstaaten Jugoslawien oder Rumänien in konspirativen, nicht nur ungefährlichen Begegnungen ebenso wie im Andenhochland zu Huaraz in Peru auf 3500 m Höhe. Die Begegnungen mit Musikern führten ihn nach Germanien, Gabun, Kanton, Manila, Samarkand, Melbourne oder auch Israel, seine Label-Gründung mit J-Mood Records vollzog er in den USA, eine Art zweite Raumstation, und doch wohnt er meist im Habsburger Alpen-Adria-Raum grenzüberschreitend in Repen und Sezana. Die Begegnung kam auf unglückliche Weise nicht zustande, weil er zu meiner Reisezeit in der Triester Bucht selbst im Urlaub weilte. Die letzte Alternative eines Treffens mit gemeinsamen Essen zu Ende der Tour in Udine scheiterte an der Kollision mit seinem Gig beim Triester Jazzfestival, während ich zur selben Zeit die Vorbereitungen zur Abreise vom Erdenball zurück zur Green Devil einleiten musste. Wie er mir später gestand, schwitzte er leidlich beim Festivalauftritt auf den dort offenen Bühnen – ein offensichtlicher Hinweis auf die Ähnlichkeiten der mir bekannten Alienhautstruktur. Wie unter Aliens üblich sind solche Kontakte aber nur aufgeschoben, sodass ich wohl in absehbarer Zeit erneut bei Commander speichen-08/15-kracher um die Bewilligung von Forschungsmitteln für Reisen auf dem Erdenball betteln muss.

Sezana ist als slowenische, wirtschaftlich bedeutende Grenzstadt nicht unbedingt eine Schönheit, der Ort funktional und sehr geschäftig. Die Leute haben nur wenig von der Poesie des Hinterlandes der Karstweinstraße, die fast unmittelbar bei der Stadtgrenze beginnt. Umso mehr bin ich überrascht über an verschiedenen Plätzen festgekettete, regengesicherte Lektüren mit Gedichten von Srecko Kosovel, einem nur unweit in Tomaj geborenen, jung verstorbenen, aber dennoch grandiosen Poeten, der dem Karst eindrückliche Sprachbilder zuzuweisen wusste (vgl. auch letztes Kap. in der „Via Dinarica“).

Die Konkurrenz zur großen Adria-Metropole Triest und das Geld der Grenzgänger lässt in Sezana die Ansprüche groß und teuer werden und so erhalte ich hier an eher bescheiden wirkenden Marktstand eine der besten Tomaten, die ich jemals erworben habe. Ungeachtet der noch frühen Stunde herrscht bereits eine flirrende Hitze. Ich verlasse Sezana nach Basovizza im Süden über einen expliziten Rad- und Wanderweg durch ein Naturschutzgebiet (westlich der Lipica-Route) – allerdings von recht grobem Schotter geprägt, der zuweilen eine unzumutbare Körnung mit kantigen Rippen erreicht. Außer von Mountainbikern wird der steigungsarme Weg auch gerne von Fitnessläufern der privilegierten Region genutzt. Der Boden zeigt eigenwillige Karsterscheinungen, der Wald besteht überwiegend aus mediterranen Kiefern.

Die kleine Tortur endet in Basovizza, ein ebenfalls geschäftiger Grenzort ohne Besonderheiten. Zum Glück muss ich die recht dicht befahrene Straße nach Kozina nicht ausfahren, schon bald findet sich ein Abzweig direkt nach Draga San Elia mit Ausschilderung zum Bahntrassenradweg im Val Rosandra. Erreicht man Draga San Elia, ist der kleine Ort etwas unübersichtlich, die Durchfahrt zum Radweg muss man etwas suchen. Im Ort scheinen einige kauzige Bewohner zu leben wie ein Hühnerzüchter und ein Radfahrer mit einer etwas rätselhaften verklebten Vitae seiner velophilen Erlebnisse. Letzte Verpflegung hier bei der Locanda Mario, in einschlägigen Kreisen gelobt, von mir nicht getestet. Nicht auslassen sollte man den Brunnen, denn der Bahntrassenradweg bietet zumindest auf dem von mir beradelten Teil keine weitere Quelle, soweit man den Weg nicht verlassen will.

Das Val Rosandra ist mit diesem geschotterten Radweg eine aussichtsreiche Möglichkeit, sich Trieste durch den Karstabfall felsig zu nähern. Da ich die Route halbhoch verlassen habe, weiß ich nicht, wie die Stadteinführung nach Triest umgesetzt ist. Das Val Rosandra hat noch eine untere Ebene, die des Flusses mit zahlreichen Gumpen und einem Wasserfall. Zur oberen Kante des Wasserfalls kann man gelangen, wenn man etwa mittig des ersten Wegabschnittes eine Straße nach unten nimmt – besser gesagt, eine fast senkrechte Falllinie. Die kurze Strecke reicht um Bremsbeläge im Profil zu halbieren, das Schieben des Rades aufwärts verbraucht etwa eine Badewanne voll Frischwasser und ist nicht unter 7 Hechelzungen zu bewerten, auch wenn maximal nur 5 Zungen vergeben werden können. Zur Verwunderung gibt es unten (Bottazzo) ein Ristorante/Bar, bei dem tatsächlich Autos stehen. Wie die Autos den Berg hochkommen, bleibt ein Geheimnis der Motoreningenieure der Erdenbewohner, welches mir verborgen blieb.

Der Weg zur Wasserfallkante ist wurzelig unter tief hängenden Ästen, das Rad lässt sich bedingt ein Stück weit vorschieben, nicht aber bis zur Kante, wo sich zuvor einige Gumpen auftun. Den Wasserfall hat man so aber nicht im Blick, dazu führt ein Weg außen rum zur anderen Bergseite, an einer Kapelle vorbei, die vom Radweg gut sichtbar auf einem Fels ruht, und dann hinunter in das Flusstal – allerdings eher ein Rinnsal. Der Wasserstrahl ist also nicht üppig, zu späteren Sommerzeiten vielleicht gar vertrocknet. Das Rosandra-Tal lässt sich entsprechend auch von unten erwandern, die dort liegenden Gumpen sind aber um viele Italiener mehr bevölkert, weil längst nicht mehr geheim. Ich war zu späterer Stunde noch an der Basis dieses unteren Tales beim Rifugio Mario Premuda und dem Örtchen Bagnoli della Rosandra. Dort ist die Perspektive auch faszinierend, der Weg wird von vielen Badegästen angegangen und ist offiziell radfahrverboten, wenngleich hier der Italiener dem Verbot nicht immer Beachtung schenkt. Ratsam ist das Radeln aber auch nur mit geländetauglicher Ausstattung und dann eher zu frühen oder späten Zeiten.

Während ich morgens mehrere Radler, auch Rennradler, auf dem Rosandra-Radweg antraf, wurde der Weg in den heißen Nachmittagsstunde eher gemieden. Ausnahme war ein deutsches Radlerpaar (die germanische Härte), die ich an dem Kreuzungspunkt von Radweg und der Straße nach Bagnoli traf. Sie waren mit Tagestouren in der Umgebung Trieste unterwegs, mit Hotelunterkunft in der Stadt und suchten jetzt noch einen kleineren Tagesabschluss ohne größere Steigungen, sodass ich ihnen den Bahntrassenradweg schmackhaft machen konnte.

Der weitere Weg führte mich über teils nicht unerhebliche Rampen durch ein paar kleine Dörfer, mit Aussicht auf die Burg Socerb oder aber auf die Triester Bucht mit den vielen Öl- oder Gaslagerkesseln. Genau heißt es eher Golf von Triest im Allgemeinen und der von mir bezeichnete Ausschnitt „Triester Bucht“ eigentlich Bàia di Muggia. Über steile Nebenstraßen gelange ich schließlich in das unübersichtliche Straßennetz in der Ebene und finde kaum noch aus mehreren Kreisverkehren heraus. Der Radler ist nicht vorgesehen, er findet Fahrverbote ohne Alternative. Die Ausschilderung für die Halbinsel ist unzureichend, wenn man Ankaran und nicht Muggia sucht. Die Orientierung wird noch durch eine neue Brücke von der Koper-Route zur Ankaran-Route erschwert, die auf den meisten Karten noch nicht eingezeichnet sich.

Koper erscheint nun bereits in der Abenddämmerung am anderen Ufer mit seinen gleichwohl gewichtigen Hafenanlagen und dem charakteristischen venezianischen Kirchturm in der erhöhten Stadtmitte. In Ankaran hingegen herrscht großer Trubel in einem funktionalen Touristenort ohne Schönheiten. Der Camping ist eine Offenbarung in negativer Hinsicht – das einzige Mal, dass ich mich bei einer Übernachtung unwohl gefühlt habe. Wie Lemminge verteilen sich die Gäste im riesigen Campingpark, ein Trallalala von Regularien, Schlüsseln, Bändern, Mülltüten und Vorschriften-Zetteln. Ich fühle mich überfordert und bin schon wieder nahe dabei abzureisen. Meine Anmerkung „Ich möchte doch nur ein Zelt aufstellen“ stößt auf allgemeine Hilflosigkeit, weil derartige Bescheidenheit dem professionellen Hochleistungs-Camping unbekannt scheint.

Auch das Restaurant am See macht nur bedingt Freude, zuviel Klimbim und Trubel. Immerhin treibt etwas von der Nachtstille des Meeres auf die Terrasse und die Lichter aus Koper verbreiten eine zivile Ruhe, die mich glauben lassen, dass man drüben schönere Lokale finden würde. Der Höhepunkt aber für meine Saurier-Häute ist dann das – wenngleich kurze – Meeresbad in der dunklen Nacht, zu dem mehrere Stege einladen. Ich übermittle die Salzwasserperlen mit unserem Naturalsensorenscanner an die Green Devil, wo Sole-Anwendungen zu den absoluten Luxusgütern gehören. Die Nacht war von solcher Milde, dass es keines Zeltes bedurft hätte. Allerdings war dem Beleuchtungsterror auf dem Camping selbst mit Zeltwänden aus Antimaterie nicht beizukommen.

Mi 8.7. Ankaran – Lazzaretto – Muggia || Personenfähre (ca. 25 min.) || Trieste (Hafen) – Trieste (Universität) – Villa Opicina – Borgo Grotta Gigante (Besichtigung, ca. 1 h, mit Wartezeit ca. 2 h) – Sgonico – San Pelagio – Gorjansko (Weinprobe, ca. 1 h) – Komen – Skrbina – Zelezna vrata (445m?/345m?) – Dornberk – Zalosce
W: bis >30 °C, heiter, später bedeckt, abends/nachts schwere Gewitter
Ü: C VinaSaksida 10,63 €
AE (dito): Aufschnitt m. Schinken, Käse, Auberginen, Eis, Weißwein 13 € (*)
T: Personenfähre Muggia – Trieste 4,30 € (P) + 0,90 € (V)
B: Grotta Gigante 12 €
B: Weinprobe Strekelj, Gorjansko 0 € (Einkauf Flasche Likör 8 €)
64 km | 12,8 km/h | 4:55 h | 825 Hm

Wenig ist von dem Trubel am frühen Morgen zu merken. Alles horcht einer besonderen Stille, einem Morgengebet. Die Strecke zu Westkurve der Halbinsel wird nun schöner, über Weinreben hinweg und durch Spaliere von Zypressen bildet sich das fahle Morgenblau des Meeres im Auge, Frachtschiffe schieben sich in die Sehfenster. Sind es hier eher junge Menschen, die eine morgendliche Fitnessrunde laufen oder radeln, gesellen sich auf der italienischen Seite Pensionäre als Frühbader ins Gesundheitsprofil der Ertüchtigungsgesellschaft. Jeder Augenblick ist Augenweide. Das Meer irisiert, das Meer hypnotisiert, das Meer verführt zum Müßiggang. Es riecht nach Algen mehr als nach Salz, doch die Haut fühlt sich liebkost von seidiger Brise. Die Wellen spielen Melodien mit minimalistischer Wiederholung, die Segelmasten stoßen sich mit Triangelklängen im Wind. Das Meer eilt nicht, wie darf ich hier auf die Uhr schauen?

Die Anlegestelle der Personenfähre von Muggia nach Trieste ist selbst mit Hinweisen von Einheimischen kaum zu finden – kein Schild, keine Mole, die sich vorhebt, kein ausgehängter Fahrplan. Erst in einer Bar kann man mir weiterhelfen, auch die Abfahrtszeit erfahre ich so. Muggia, ein nettes Städtchen, mit mehreren lecker bestückten Bäckereien, liegt dann bald in meinem Rücken. Radtransport ist nicht wirklich vorgesehen, der Platz muss irgendwo geschaffen werden, das Rad brachte der Schiffsjunge per riskantem Kaisprung in Triest ans Ufer, weil man es sonst hochkant durch mehrere Türen hätte jonglieren müssen. Das Fahrgerät blieb fast wie bei einem Wunder unbeschadet. Sicherlich hat der Erdenmensch eine kräftigere Sprungmuskulatur als ein Alien.

Triest empfängt den Besucher zunächst mit seiner wechselhaften Geschichte. Das Denkmal von Bersaglieri feiert die Rückeroberung Triests durch Italien und lässt zwei Frauen die Tricolore nähen, während der Soldat das Ufer erstürmt. Heroik meets Klischee. Die Zeichen der Habsburger Alpen-Adria-Metropole folgen aber unweit später – mit großen Plätzen und geordneten Winkeln der majestätischen k.u.k.-Gebäuden. Hier warten bereits die ersten historischen Cafés auf internationale Gäste – ein wenig dominiert der Schick und Luxus gegenüber dem Charme der Tradition. Werden die Straßen enger, ändert sich auch das Ambiente mancher Cafés. Die Traditionshäuser stehen zunehmend in Konkurrenz zu modernen Cafés, mehr Fastfood-Bistros mit jugendlichem, lockerem Flair, mit vorgefertigten Snacks für den schnelleren Zeitgeist als die Muße, die die großen Literaten mitbrachten oder mitbringen, von dem irischen Fantasten James Joyce, über Claudio Magris, der sich der Habsburgerischen Tradition widmet und mit seiner Donau-Biografie eine geschichtsverbundene Brücke zur Gegenwart schlägt – eine Stück große Reiseliteratur, bis zu den lokalen Essayisten wie etwa Umberto Saba, der den Charakter von Menschen und Plätzen der Stadt poetisch zu porträtieren wusste oder den alemannischen Veit Heinischen, der dem modernen Triest eine Fiktion dunkler Verbrechen unterschiebt, aber auch ihre Gerüche und Geschmäcker in Sprachbilder übersetzt. Heinichen überlässt sein Porträt einem Zitat von Paul Parin: „Es ist eine italienische Stadt im slowenischen Land, mit österreichischer Geschichte und einer eigenen Kultur, die nicht slawisch, italienisch, österreichisch ist, sondern triestinisch, provinziell und eigenartig international… In dieser Stadt bestimmt die wechselvolle Geschichte das menschliche Leben unmittelbarer als anderswo.“ (in: Platzer/Wieser „Alpen Adria“, S. 84)

Die ehemaligen Literaten sind mit Skulpturen inmitten der Straßen gewürdigt – sie sind mitlaufende Zeitgenossen, ihr Geist wird quasi sehenden Schrittes lebendig gehalten, die noch lebenden Poeten muss man selbst suchen. Natürlich ist der Charme der Cafés nicht ganz verflogen – er wird wohl nur etwas überdeckt von den Massen schneller Durchzügler – so wie ich es als forschungsgebundener Alien tun muss. Viele Wege werden in Triest mit Handkarren erledigt – nicht nur bestehen Fahrverbote, auch ist der Hintereingang um viele Gassenecken so schneller gefunden als mit Auto. Beim Capuccino und den Straßenszenefotos, die ich versuche, setzt sich bald ein Dame an den Tisch, deren Absichten der Kellner wohl schneller erkannte als ich, die sich ungefragt zu Geldgeschenken andiente. Die Armut mischt sich hier teils recht elegant in die Szene – vielleicht sind es die prekären Ränder, die jetzt auf die gesellschaftliche Mitte übergreifen. Und der Schick wird als letztes abgelegt, solange man eben die Schamdecke über die arbeitslose Wirklichkeit wickeln kann.

Die größten Hürden in Triest sind die Straßen rein wie raus. Man mag im Gewirr Alternativen als Einheimischer kennen, aber an der ausgeschilderten Hauptader nach Opicina über die Universität dürfte kaum ein Weg vorbeiführen. Die Route ist bei der schwülen Hitze schon schwer genug, die ausgewiesenen 23 % einer Alternative, die oben an der Tram-Station am Obelisken ausgeschildert ist, dürfte Alienmuskeln überfordern. Der Verkehr ist natürlich unvermeidbar, aber ein bisschen weniger als ich befürchtete. Die Aussichtspunkte sind eher selten, die diesige Sicht nicht förderlich. Am Sattelpunkt am Obelisken wartet eine Rastpunkt mit frischem Brunnenwasser, dass ich kübelweise verschlucke. Die energiereichen Törtchen der Konditorei aus Triest finden jetzt keine Gnade mehr. Hier beginnt auch die Napoleon-Straße, auch Strada Vicentina genant, ein Panoramaweg, den man zu besseren Lichtverhältnissen begehen sollte – etwa zu Abend oder frühem Morgen. Ich testete auch die Radelbarkeit, die angesichts des leichten Schotters und flachen Profils gegeben erscheint – in der Praxis aber doch in eine Tortur ausarten könnte. Die Beschilderung besagt Gehweg, ein explizites Radverbotsschild ist aber nicht angebracht, sodass man vermuten kann, dass es zumindest keine brisante Kollisionstrecke ist und der italienische Rennradler ohnehin dort kaum sein Glück suchen wird.

Ich versäume durch den Ort Opicina zu fahren, was angenehmer und kürzer zur Grotta Gigante sein müsste. Ich landete gemäß Ausschilderung auf der autoreichen Umfahrung. Wer einen Radladen sucht, ist dennoch richtig, liegt dort ein Betrieb mit Werkstatt unmittelbar am Straßenrand. Die Grotta Gigante ist dann mit über ein kleines Spalier an Bistros und Souvenirläden zu erreichen, die strategisch vorgeschaltet sind und wo der Autofahrer frühzeitig parken soll. Die Grotte fällt mit einem modernem, nicht allzu großen Eingangsbau ins Auge – nichts deutet auf eine Höhle hin. Im Museumsbereich kann man alte Knochenfunde studieren, die theoretischen Grundlagen der Karsthöhlenbildung und auch eine kleine Fotoausstellung zu den Julischen Alpen genießen. Da die Führungen (nur mit solcher zu betreten) nur zur vollen Stunde angeboten werden, muss ich ein längere Zeit warten, da ich die Ankunft nicht austariert hatte.

Vom Eingangsbereich wird die Besuchergruppe dann über ein lange Treppe in das kühle Dunkel heruntergeführt – das aber gut beleuchtet wie ein Versammlungsort eines unterirdischen Königreiches wirkt. Trotzdem sind nicht alle Teile optimal ausgeleuchtet, fotografieren ist erlaubt – man muss aber mit dem forschen Gang der Führung mithalten. Die Erläuterungen werden ein wenig nach Gruppe sprachlich sortiert – in diesem Fall zweisprachig einmal in Englisch und einmal in Italienisch. Es ist die angeblich größte Einraumgrotte der Erde mit 300 m Länge und 107 m Höhe. Eine heller Doppelstrang führt vertikal durch die Mitte der Höhle – aus Kunststoff von Menschenhand gefertigt. Es ist jedoch weder ein Lichtinstallation noch eine künstlerische Darstellung, sondern das längste Messpendel der Welt. Sie sind so empfindlich, dass sie gar Erdbebenstöße im fernen Nepal erfassen können. Selbst für die Geomorphologen auf der Green Devil eine Sensation.

Die Höhle entfaltet ihren Reiz durch immer wieder neue Varianten von Tropfsteinbildung, säulige Stalagmiten, nicht selten mit stumpfen Oberflächen, einige gar wie eine phosphoreszierende Qualle geformt, andere wie Lampenschirme, und ausgehangen von Stalaktitgardinen, nicht immer zu unterscheiden, ob es versteinerte Abbilder oder echte Fledermäuse sind. Zunächst überraschen die Ensembles geordneter Tropfsteinsoldaten, die sich im Stile des Ehrensaluts dem Betrachter präsentieren, zur zweiten Hälfte dominieren einige mächtige Solisten, von der weißlichen Strauchblume, die auch ein Zeitungspapierkaktus sein könnte, bis zum fleischfarben marmorierten Phallussymbol.

Das Kühlintervall wird mit dem Gang zur Oberfläche jäh unterbrochen. Ich fahre nun über die liebliche italienische Teran-Straße – eine kleine parallele Variante zur slowenischen Karstweinstraße. Zu dieser wechsle ich via Gorjansko, wo ich zur Weinprobe absteige – wiederholt beim Alienfreund Strekelj und mit einem weiteren Kellerbesuch. Es gibt wieder feinen Karstschinken und Käse, von seiner Frau serviert. Wir gehen sie wieder durch, die Varianten der Rotweine, den leichten weißen Sommerwein. Das Thema ist vor allem die Tourismusstruktur in den verschiedenen Ländern Alt-Karantaniens – ich bemängle die großen Service-Lücken auf den slowenischen Weinstraßen – besonders der zwischen Vipava und Sezana. Strekeljs Pläne zu Restaurant und Zimmervermietung sind noch nicht weiter gediehen – das Weingeschäft nimmt viel Zeit in Anspruch. Und dann solche Gäste wie ein Alien, der schon wegen des Gepäckmanagements sich auf eine klein gehaltene Likörflasche beschränken muss. Das hatte wir auch schon mal – mit Aliens kann man Gespräche führen, aber keine Geschäfte machen. Trotzdem bin ich auch für das nächste Mal schon Willkommen – eben ein karantanischer Alienfreund.

Strekeljs Empfehlung über Komen bereits bekannte Route nach Branik zu nehmen, schlage ich in den Wind, denn ich sollte mal wieder die besseren Ortskenntnisse vorgeschnüffelt haben. Von Komen wähle ich also den mir neuen Übergang über den Zelezna vrata, weniger von mediterranen Kiefern gesäumt als der Parallelpass nach Branik, auch schlechter in den Panoramablicken nach Norden ins Vipava-Tal. Die Strecke ist aber wie erwartet durchgehend asphaltiert, die Bedenken von Strekelj unbegründet. Mehr Sorgen muss ich mir aber über die extrem dunkeln Wolken machen, die großes Unheil verkünden. Das Panorama zum Karstabbruch auf der Gegenseite versiegt in Tristesse.

Ich erreiche den Winzercamping mit Restaurant quasi just in time, denn beim Zeltaufbau trommelt es Melonen und Kürbisse aus den Himmelsschleusen. Ich muss den Aufbau abbrechen und finde Unterschlupf in dem großen überdachten, halboffen Picknickraum. Der Boden ist mit gefugten Steinplatten ausgelegt, eine Küchenecke eingerichtet und gar ein separater Weinflaschenkühlschrank vorhanden. Ich erfahre von bereits niedergelassenen Holländern, das die Weinflaschen eine Gästegabe des Winzers sind – also Besaufen bis zum Umkippen möglich. Natürlich lädt das Wetter zu solcher Völlerei ein, doch beschränke ich mich zunächst auf das Einladungsbier des Holländers. Das Restaurant ist leider mangels Gäste geschlossen und ich erhalte ersatzweise nur eine kalte Platte – also Ähnliches wie bereits bei Strekelj – Schinken, Käse, aufgebackene Brötchen und etwas warme Zucchini – und natürlich Hauswein – wieder ein erfrischender Sommerwein, mit Aromen von Orange, sehr edel ausbalanciert. Die Gaststube ist sehr einladend. Da ist es schade, dass die leckeren Gerichte einer gehoben Küche auf dem Internetbildschirm in der Picknickgarage schmackhaft gemacht werden, aber nur per Voranmeldung gekocht wird. Auch ist die Bewerbung des Kamps, immerhin mit Pool und noblen Mietchalets, äußerst schlecht, nur schwer die Ausschilderung zu finden. Gibt es keinen Service, gibt es auch kein Geschäft – hatte ich es nicht mit Strekelj diskutiert?

Ich sitze noch lange mit den Holländern zusammen, die Eltern sind mit Sohn und seiner Freundin dort. Der Sohn studiert und kann sehr gut Englisch, ist an vielen politischen Themen interessiert. Ich entscheide ob des andauernden Gewitters, den Hüttenschutz für die Nacht zu nutzen und lasse das Zelt in den Taschen. Die Nacht zeigt aber, dass das Dach den sintflutartigen Regengüssen nicht ganz gewachsen ist. An vielen Stellen tropft es runter, mehrmals muss ich den Schlafplatz wechseln und bald bilden sich auch Rinnsale auf dem Steinboden. Die Donner- und Blitzschläge waren aber so gewaltig, dass ich mich des Lebens am nächsten Morgen umso mehr erfreute – Sintflut hin oder her.

Do 9.7. Zalosce – Dornberk – Prvcina – Vogrsko – Jezero Vogrscek – Sempas – Ozeljan – Kromberk – Vratca (403 m) – Ravnica – Preval (336 m) – Solkan – Gorizia – Piuma – San Floriano – Hum – Kojsko – Gonjace – Mejnik (321 m) – Smartno – Dobrovo – Neblo
W: bis ca. 30 °C, sonnig, trocken-heiß, sehr windig
Ü: C wild 0 €
AE (Gostilnica Pr'noni): Meeresfrüchte, Roastbeef, Gemüse, Bratkart., Rotwein, Pfannkuchen m. Eis 43 € (****)
70 km | 11,1 km/h | 6:09 h | 1130 Hm

Der Wetterwechsel ist gravierend. Es ist morgens immer noch stark bewölkt und zudem stürmisch. Später, als die Sonne durchbricht, bleibt die Luft klar, die schwüle, diesige Luft wurde vertrieben. Ein lokaler Radweg führt über den Vogrsko-See von der Vipava zu den Randzonen des Karstabbruchs des Trnovski-Plateaus. Zunächst leiten die Schilder aber auf pfützenübersäte Schlammwege. So verpasse ich in Prvcina den kürzesten Überweg. Das schadet aber nicht, denn das Tal über den Ort Vogrsko zeigt sich recht lieblich. Die Staumauer des Sees besteht aus einem grünen Wiesenwall, zum Stauseepegel erfordert es eine kurze kräftigere Steigung. Der Stausee wird nur funktional als Wasserspeicher genutzt, keine Freizeiteinrichtung, kein Badeparadies. Zunächst ist die Fortführung des Radweges nicht zu erkennen, eine Gittersperre verhindert den Fortgang. Zufällig ist der Stauwärter vor Ort und schließt mir das Tor auf. Er sagt mir, dass es schon der offizielle Radweg sei, ich könne das Rad bei geschlossenem Tor auch außen rum führen. Ein Fußgänger hingegen kann sich durch die Sperre winden, wie einige Jogger hier. Mit dem Gepäckrad muss man bei geschlossenem Tor die Zweige schon kräftig wegbiegen. Das ist sicherlich noch verbesserungswürdig für eine offizielle Radroute.

Der Weg ist nun schottrig, teils auch recht grob, allerdings ohne nennenswerte Steigung oder Gefälle. Asphalt erreicht man wieder nach dem Laubwald mit den Weinreben. Auch hier wieder Jogger unterwegs – die Slowenen stets sportlich unterwegs – man erinnere sich der Renwanderer. Ich hingegen wollte mal eben ausruhen auf der Weinrebenbank. Einmal hinsetzen und zurücklehnen – Plumps! bricht die Rückenlehne weg und lässt mich zu Boden straucheln. Der Alien ist schockiert ob dieses Öchslescherzes.

Es folgt ein Dörferkette, die sich hügeliger am Rand oder flacher im Tal abradeln lässt. Der Camping in Ozeljan liegt dabei unten im Tal – auch ein Winzercamp. Sempas ehrt mit Skulpturen sowohl den Botaniker Franc Krasan, der sich, an verschiedenen Orten Karantaniens geschult, um die Erforschung der regionalen Flora verdient gemacht und den Partisanenkämpfer Mehdi Huseynzade „Mikhaylo“. Mikhaylo zeichnet als Aserbeidschaner einen dramatischen Lebenslauf. Erst widmete er sich den geistigen Wissenschaften, der Literatur und den Sprachen, um dann in den 1940er Jahren über die Infanterie als Agent und Gegenagent zwischen Deutschland und Russland zu jonglieren. Schließlich schlug er sich auf die antifaschistische Seite der jugoslawisch-italienischen Partisanen. Als ihm nach einer verloren Schlacht die Gefangennahme drohte, erschoss er sich mit seiner letzen Kugel. Mehdi Huseynzade wurde posthum zum Held der Sowjetunion erhoben, in Aserbeidschan zum Nationalhelden und das Fußballstadium Sumgait nach ihm benannt. Dokumentarfilm und Bücher beschäftigen sich intensiv mit seiner Geschichte.

Als ich den Weg zum Renaissance-Schloss Kromberk suche, bewege ich mich bereits auf einer Bergstraße, weil schon in den oberen Weinbergen gelegen. Ich entschließe mich die Tour zu variieren mit einer nochmaligen Auffahrt zum Trnovski-Plateau über den Karstabbruch, auch eine Militärstraße des Ersten Weltkrieges, zur Hintergrundversorgung der Habsburger Truppen gebaut, dem auch zwei opulente Brunnen zu verdanken. Die unteren Waldpassagen sind denn auch militärisch anspruchsvoll. Ich kehre zum „Ziegenpass“ mit dem Zweibrückenblick zurück (vgl. Kap. V). Unten ist die Verwirrung groß, ein Zugang zum Soca-Ufer schwierig. Eine Möglichkeit für ein kleines Bad ist beim Wassersportverein, wo sich die Paddler ins kräftig strömende Wasser kippen und in einem ausgehängtem Parcours üben können – die kleinsten Zwerge können kaum über die Bugkante des Kajaks hinausschauen, sind aber vollkommen unerschrocken und bereits behände am Paddelwerk wie die großen Meister.

Die Salcano-Brücke hier, die obere der beiden Brücken, gilt als größte Eisenbahnsteinbogenbrücke der Erde mit 85 m Spannweite – in jedem Fall ein schönes Bauwerk aus alter Kaiser-Franz-Josef-Zeit, als die Eisenbahn noch Triumphe feierte. Oberhalb der Straßenbrücke zur Westseite lockt ein Radweghinweis. Tatsächlich überquert die Straßenbrücke einen Radweg, der – jüngst erst ausgebaut – mindestens bis Plave führt – und zwar zur anderen Uferseite als die Straße, also zur rechten Uferseite. Übereifrige Kartenmacher haben den Weg schon weiter nach Italien gezeichnet, dem aber nicht so ist. Steinblöcke markieren das Ende, allenfalls lässt sich ein rumpeliger MTB-Trail weiterfahren.

Also wieder retour via Solkan, weitgehend am Zentrum Nova Gorica vorbei, auch Gorizia auslassend, findet sich die nächste Brücke über die Isonzo. Gleich mit Piuma beginnt die Steigung in das Collio, das italienisch-slowenische Weinanbaugebiet der Hügel Goriska Brda, wie es geografisch auch genannt wird. Einladend werden die Betriebe mit ihren Winzern und Gastgebern auf einer Tafel vorgestellt – hier aber zunächst nur die der Gemeinde San Floriano. Obwohl Grenzen auf der Weinroute durch das Collio keine Rolle spielen, gibt es dennoch keine binationale Info zu den Winzerbetrieben (der slowenische Teil ist größer als der italienische). In der Abendsonne wird die Hügelfahrt zu einem Gedicht des milden Lächelns. Immer wieder variieren die Grüntöne der Weinreben, erheben sich ins goldene Licht, ihre Anordnungen wie in halbrunden, übereinander gestaffelten Schlachtordnungen römischer Legionäre, die Hügelkuppen von Kirchlein und Dörfern gekrönt. Das Farbenspiel scheint keine Grenzen zu kennen, ich kann mich nicht sattsehen.

Die meisten Steigungen sind moderat, am schwierigsten noch zu Beginn. Kurz vor Smartno überwindet man so etwas wie den höchsten Punkt der Tour – aber das scheint unwesentlich. Staunen darf man auch über die dörfliche Idylle, romantische Restaurants und Zimmeranbieter locken mit den herrlichen Ausblicken und entschleunigter Ruhe – nur wenig Gäste lassen sich nieder. In Kojsko erinnern wieder Spuren des Friedensweges an vergangenes Leid, die italienische Armee hatte sich hier im Rahmen der Isonzo-Schlachten recht sicher zurückziehen können, während aber die Einwohner zu Flüchtlingen wurden. Die Schönheit der Gegenwart bricht aber das Dunkle der Vergangenheit. Die Speisekarte von Hisa Marica in Smartno treibt einem deliziöse Aromen in die Nase, fast möchte ich bleiben. Die Sinne schweben, die Gedanken dichten.

Ich radle noch nach Dobrovo, mit der vielleicht eindrucksvollsten Krönung aller Hügel mit einem quadratischen 4-Türme-Schloss, das Kutschen, Kunstmuseum und ein Restaurant beinhaltet. Auch hier keine Gäste, als würden die Perlen konsequent vom Meerestouristen verschmäht – oder haben die Menschen immer weniger Geld zum Kosten und Schmecken? Dobrovo ist im Ort weniger heimelig als Smartno mit den vielen Nischen und stillen Winkeln, doch lebte hier ein großer Poet, Alojz Gradnik, dessen Werk sich auf einem Dichterweg erfahren lässt (vgl. Eingangszitat). Die Poesie atmet aus den Toren des Schlosses, weht über die Hügel hinaus ins Land. Goldenes Licht, das sah hier Gradnik leuchten, die Bande zum Universum, den Galaxien – die Welt der Aliens – auch heute zeigt sich das goldene Leuchten – ein Omen? Noch einen Schwung nach unten, finden sich bessere Plätze, ein Zelt aufzustellen, so speise ich in Neblo – hier ist es gar brechend voll – italienische Grenzbesucher fast alle. Die Linie des Kochs ist Schokolade – sie taucht in verschiedenen Spielarten in allen Menüteilen auf – süß-herb, superb, der Tag mündet mal wieder als Gaumengedicht im Poetenland.

Fr 10.7. Neblo – Helevnik – Golo Brdo – Ponte Iudrio – Prepotischis – Castelmonte (618 m) – Cividale del Friuli – Ponte San Quirino – Pulfero – Stupizza – Robic (250 m) – Staro Selo – Borjana – Podbela – Napoleonov most – Breginj
W: bis ca. 27 °C, weitgehend sonnig, windig, abends kühl
Ü: C wild/privat 0 €
AE: Selbstversorgung + Bier 4 €
78 km | 10,6 km/h | 7:10 h | 1735 Hm

Bald laufen die Weinfelder aus, begleitet von leuchtend-blauen Kornblumen. Wald erobert die höheren Hügelbereiche, anspruchsvoll die Steigung nun. Es ergeben sich einige Ausblicke in Richtung der Ebene über die Colli Orientali hinweg, auch Zeichen der Industrie melden sich dort. Hier immer noch sporadisch Weinberg – oder Bienenhonig. Lässt man auch unten Prepotto links liegen, bewegt man sich durch das Gebiet ohne jede Einkehrmöglichkeit und in großer Einsamkeit. Ohne den Grenzfluss Idrija/Iudrio zu überschreiten, kann man einer urigen Schotterpiste am Ostufer folgen, an viel Fels vorbei und wild hängenden Laubbäumen oder Buschwerk. Auch nicht mehr als drei Häuser sind es dann an der nächsten Brücke, die auf die italienische asphaltierte Uferstraße führt.

Dort ist ein Radweg via Prepotischis angekündigt „dei Monti Sacri“. Vor dieser Wegführung sei aber gewarnt! Ich muss dem Namen Tribut zollen und mehrere Kreuze schlagen. Bis zum kleinen Ort ist noch Asphalt – bereits sehr steil. Danach geht die Straße in Piste über, die immer unwirklicher wird und in der Kombination mit der Steilheit definitiv nicht fahrbar ist (geht über die 5-Hechelzungengrenze hinaus), und das Schieben eine Tortur wird. Auch oben an der Straße zum Pilgerkloster Castelmonte ist diese Strecke als Radweg populistisch ausgewiesen als würde die Region sanften Tourismus fördern. Es ist sicher anzunehmen, dass kein Offizieller, der am Schilderaufstellen beteiligt war, überhaupt einen blassen Schimmer dieser Strecke hat (zuständig: Gemeinde Prepotto). Ein Wunder, dass es keine Prügelstrafen für Bürgermeister mehr gibt. Hier erlitt der Alien die Vorstufe eines terronalen Wutanfalls.

Überhaupt erschien mir die Gegend mindestens Alien-feindlich, fast sogar schon menschenfeindlich. In Castelmonte verwalten Talibanpilgerwächter ein Kloster, wo tatsächlich das Betreten der heiligen Räumlichkeiten in üblicher Sommerbekleidung verboten ist. Jesus wäre da an der katholischer Scharia auch gescheitert. Nun liegt mir weniger an Räucherstäbchen, Gebetslämpchen und Devotionalien, die sicherheitshalber im spiritistischen, aber weltlich zugänglichen Laden erhältlich sind. Die Abfahrt fliegt an den Bildstöcken des Kreuzweges vorbei, die aalglatte Strecke ist schnell absolviert und man findet sich flugs vor den Toren von Cividale del Friuli wieder – hier wieder ist man Mensch. Cividale ist ein pittoreskes Vorzeigestädtchen und es trägt die Last mit Würde und Charme. Die touristische Bedeutung des Ortes schlägt sich in reichlich Angeboten regionaler Spezialitäten nieder, allen voran der San-Daniele-Schinken, der seinem Verwandten aus Parma ebenbürtig sein soll. Gerne fordert der Händler gehobene Preise, Qualität gewiss, Nepp – vielleicht auch. Dem Gaumen sollte man aber ein paar Freuden zubilligen. Der Ort lebt von seinen verwinkelten Gassen und einigen netten Plätzen, vor allem aber von seiner speziellen Flusslage mit der Brücke, die das einprägsamste Ortsbild liefert.

Die Hitze des Mittags ist enorm. Zwar bietet die Natisone einige Bademöglichkeit, dazu muss man aber erst einige Kilometer weit rausfahren. Dortige Badestellen sind auch recht dicht belegt, einsame Plätze findet man schließlich weiter oben. Teils sind Gumpen vorhanden, mehr noch aber prägen die scheinbar einzeln verlegten Blocksteine das Fließbild. Die Talentwicklung ist mäßig, zur slowenischen Grenze hin drängen sich wieder verstärkt freie Bergflächen vor. Man hat ohne nennenswerte Steigung den fast unsichtbaren Sattel bald erreicht, der deutlich innerhalb Sloweniens liegt, bei schon befahrenem Ort Stara Selo mit dem Gourmetrestaurant Hisa Franko. Der Nadiza, wie sie hier zur slowenischen Seite heißt, kann man bei Robic einem Radweg folgen, der aber meiner Prognose nach mehr Aufwand bedeutet als der asphaltierte Umweg. Diese Straße fordert hingegen wieder Schweiß, weil sie nach Borjana ansteigt, wo man wiederum zur Nadiza herunterfährt, während die Straße geradewegs nach Breginj weiter ansteigt. Der Umweg bietet zudem noch bessere Ausblicke auf den gegenüberliegen majestätischen Matajur, in dessen Schatten das Natisone-Tal zuvor gelegen hat.

Die Nadiza ist auf slowenischer Seite noch mehr beliebtes Baderevier als zur italienischen Seite. Jenseits von Podbela findet sich denn auch ein kleines Zentrum wassergebundener Aktivitäten mit einem Camping und Pizza-Restaurant. Unbedingt noch vom Vortrieb besessen, schlage ich mal wieder den gemütlichen Abend aus. Geradezu höllisch entwickelt sich die Topografie mit gleich zwei weiteren hochkarätigen Rampen und einer weiteren Steigung mittlerer Qualität final nach Breginj. Die Hauptattraktion liegt bereits deutlich hinter dem Camping mit der Steinbogenbrücke „Napoleon“, an der sich sogar noch abends im Schatten etliche Badegäste aufhalten oder gegrillt wird. Eine zweite Attraktion ist über die nächste Senke erreichbar, die Schlucht, die die Nadiza zwischen der Napoleon-Brücke und dem Flussbadeplatz mit Parkmöglichkeiten für Autos hier bildet.

In Logje findet sich nochmal ein Ferienhaus, aber ohne Essgelegenheit. In Breginj ist nichts – fast nichts, eine alte Burg mit einer kleiner Trinkbar open air im Burghof. Hier treffen sich Einheimische – es gibt aber nicht mal eine Erdnuss zu knabbern. Ich muss mit ungenügend abgestimmtem Proviant und zwei kühlen Bier vorlieb nehmen. In der slowenischen Runde wird offenbar diskutiert, wie mir als Alien zu helfen sei. Schließlich erhalte ich von einem „Übersetzer“ (Tomas) den Hinweis, ich solle dem Auto des anderen Folgen. Man wolle mir Quartier bieten. Ich legte mich in den motorisierten Windschatten. Der Ort hat zum Glück nur eingeschränkte Radien, sodass ich die Spur halten konnte. Ich bekomme eine Couch zugewiesen, der junge Slowene kann tatsächlich kaum ein Wort Englisch, im Gegensatz zum Übersetzer, der besser Deutsch als Englisch spricht, weil er Wurzeln in der Steiermark hat. Die Alienfreunde begaben sich wieder zurück zur Burgbar um weiter zu feiern.

Auch noch nach der Dusche lag ein hässlicher Geruch in der Wohnung – er konnte nicht von mir sein. Ich vermutete Petroleum. Zwar war eine Garage ebenerdig anbei, nur locker von den Wohnräumen getrennt, doch da drang der Geruch nicht her. Ich nahm meine Matte und legte sie vor die Gartentür in die frische Luft. Kaum eingedämmert, kamen die Alienfreunde – nun drei – recht laut zurück, weckten mich, um weitere Trinkgelage zu zelebrieren. Der Wohnungsbesitzer fragte auch schließlich nach den Gründen meiner Flucht nach draußen. Es stellte sich raus, dass der Geruch tatsächlich von Petroleum kommt, mit dem er seine Holzmöbel gereinigt hatte. Petroleum, so meinte er, wäre besser als etwa klassische Öle, derer man ja fein duftende Speiseöle hätte verwenden können. Er meinte, diese würden einen ungünstigen Film bilden bzw. die Holzporen verschließen.

Ungeachtet des Petroleumduftes nahmen die prozentigen Feierlichkeiten die üblichen Formen minimaler Kommunikation ein, die bei alkoholisierten Konzentrationsformen sprachliche Besonderheiten nivellieren. Genauer: Der Wortschatz der Slowenen näherte sich meinem, zweifellos spärlichen Wortschatz der slowenischen Sprache an und wurde dann vor allem durch internationale Trinksalute wieder leicht angehoben. Neben Bierdosen kamen auch spezielle Getränke zum Einsatz, die in Eigenregie gebrannt worden waren. Über die alchemistischen Fähigkeiten des Wohnungsbesitzers bestand ja nach den fachmännisch erläuterten Kenntnissen in der Holzbehandlung kein Zweifel mehr. Schließlich steuerte ich noch meinen Strekelj-Likör bei, der mir zunehmend zur schweren Last an den steilen Bergen wurde. (Er ist wirklich gut gewesen, hat aber das Gewicht eines zweiten Schlafsacks. Mir wurden strafende Blicke auf der Green Devil zuteil, weil ich diese Forschungsprobe nicht mitgebracht hatte.) Dazu gab es fette Schwarzwürste, kaum mit weiteren Beilagen serviert, von leicht steiniger Konsistenz. Schließlich wurden mir noch Fischdosen und Würste als Proviant fürsorglich zugesteckt, da man meine frühe Morgenflucht fürchtete und ich weiter in entlegenen Gebieten unterwegs sein könnte. Die Feier mit den Alienfreunden endete unbestimmt, schlafen konnte ich immerhin noch – natürlich vor dem Haus.

Sa 11.7. Breginj – Ponte Vittorio Emanuel – Platischis – Sella San Antonio Na Privale (790 m) – Zore (766 m) – Zuffine (1003 m) – Subit – Attimis – Passo di Monte Croce (267 m) – Nimis – Torlano – Val Carnappo – Monteaperta – Villanova (690 m) – Tarcento – Artegna – Gemona
W: 16-28 °C, sonnig
Ü: C Gemona 0 € (k. P.)
AE (R Frank & Jo'): Risotto m. Pilzen & Spargel, Brancini, Bratkart., gegr. Tomaten, Pannacotta, Weißwein ? € (***)
84 km | 11,6 km/h | 7:09 h | 1570 Hm

Das Dorf der Alienfreunde verlasse ich bei milder Morgensonne, wie sie eher abends üblich ist –mit sanftem Goldschimmer. Es mag ein Zeichen des karantanischen Geistes gewesen sein, der mich an diesem Ort umgeben wollte. Ein erster Berg, mit Tautropfenromantik, führt hinunter zum noch schattigen Tal des Oberlaufs der Nadiza – hier auch Natisone, weil Grenzbrücke. Verschnaufen kann ich kaum, die nächste Ortschaft Platischis (andere Varianten denkbar, alle aber recht verwinkelt und kurvenreich, daher kaum kürzer) ist auch wieder nur mit einem weiteren Berg zu erklimmen – genauer: liegt hinter diesem in einer kleinen Bergmulde. Es gibt eine bescheidene Lokalität, natürlich auch das örtliche Café, die Bevölkerung sehr reserviert. Verschiedene Bergvölker innerhalb weniger Kilometer.

Blumenreich von einer kleinblütigen Variante der Margerite bekleidet die nächste Passhöhe und den hier auf italienischem Grund wieder fast unvermeidlichen Madonnenbildstock. Nach Norden bildet sich die mächtige, wenngleich weitgehend begrünte Bergkette der Gran Monte heraus. Auf seiner unteren Flanke hebt sich mit Terrassenblick Montemaggiore heraus, unterhalb – so ist später zu sehen – findet sich eine gewichtige Pferdesportanlage. Diese erreicht man über die nächste Zwischenmulde, erneut dann aufsteigend zu Hochpunktkehre mit der Azienda Agricola Zore, einen Bergbauerhof mit Käserei (Ziege!), deren Produkte für ein Proviantshopping unbedingt zu empfehlen sind – für den Fall der Fälle gibt es auch Wein. Eine eigene Verkaufsstelle findet sich auch im Val Torre an der Tanamea-Passstraße in Vendronza (vgl. letzter Reisetag). Die Aussicht hier fällt hinunter nach Taipana, dessen untere Talanfahrt durchs Val Carnappo am heutigen Nachmittag noch beradelt werden soll.

Der Umweg hier führt über durch einsamste Hinterwaldstraßen mit gelegentlichen Aussichtsfenstern, der Asphalt manchmal schon recht durchlöchert oder aufgelöst, durch manchen Bergurwaldtunnel, der sich lianenreich mal licht, mal zu fast nächtlicher Dichte sich verschließt. Als Ruhestörer tritt nur manchmal die Forstwirtschaft auf. Am höchsten Punkt der Strecke – mehr Tangentialpunkt des Berges als Passhöhe – sind Wald und Lichtung des Monte Zuffini fast schon parkähnlich geordnet. Diese Struktur wird aber wieder in den unteren Etagen zerrissen von wildem Gestrüpp, von Felsen, deren Spalten das Wasser unkontrolliert herausspeien, als wollten sie den Radler leibhaftig anfeuern. Ab dem Bergdorf Subit wird der Asphalt besser, hier mündet die andere Verzweigung, die man am Morgen von der Emanuel-Brücke an der Natisone hätte wählen können. Die Straße nun wird zum Kehrentorso, der struppige Wald, nun heller, immer noch an den steilen Hängen verwildert. Die zivilisierte Ordnung findet sich erst ganz unten in Attimis, der Bachlauf dort kanalisiert und funktionelle Reihenbesiedlung – das Eckige verdrängt das Wilde. Zur Belohnung für harte Hoch-Runter-Rotationen investiere ich in eine süße Köstlichkeit des heutigen Etappenziels. Dolce di Gemona enthält Hasel- und Mandelnoten auf Weizenbasis, mit kleinen Schokostückchen und einem Hauch Zimt verfeinert.

Gewaltiges scheint vor mir zu stehen, ein in allen Karten eingetragener Pass – Passo di Monte Croce – muss ich wieder Kreuze schlagen? Etwa 60 Höhenmeter für zwei Serpentinen aus Meisterhand, perfekte Modellarbeit – aber nur ein Steigungsfusel, selbst für Alienmuskeln ein lustiger Froschhüpfer. Nimis liegt bereits hübscher am Fuße der Weinberge der Colli Orientali als Attimis. (Generell ist der Süden der Colli Orientali flacher durch die ausladende Ebene und verfügt so über größere Anbauflächen, was allerdings auch mehr Massenweine befördert, sich aber nicht in deren Preisen widerspiegelt. So wird der südliche Picolit teurer gehandelt als der Ramandolo, obwohl er qualitativ dem Ramandolo unterlegen sein soll. Den Vergleich konnte ich nicht überprüfen, weil ich die südlichen Picolit-Gebiete nicht durchfuhr.) Weinvillen zeugen stadtauswärts von gehobenen Einkünften durch den Verkauf exquisiter Rebensäfte. Der DOCG-Wein Ramandolo füllt hier als goldfarbener Desertwein die Fässer, die Anbaufläche auf kleine, meist steile Regenhänge im Bereich des Bernardia-Berges beschränkt, dessen Hügellandschaft sich zwischen Nimis und Tarcento ausbreitet (weitere Weinroute dort am Schlusstag).

Eine lustvolle Entdeckung ist auch das Val Carnappo mit dem gumpenreichen Fluss mit vielen Riesenblocksteinen – mit mehr Nischen und urwüchsiger graviert als das Natisone-Tal. Das Mitteltal nördlich Torlano ist schmal in ein schluchtiges Tal eingelassen. Etwa beim Abzweig nach Taipana beginnt der Oberlauf mit einem sich öffnenden Bergpanorama auf die bereits schon am Morgen aufgefallene Bergkette gegen Norden. Das breitere Flussbett lässt am Ufer einige Blumen mehr wachsen und auch der letzte Teil zum Ort Carnappo wäre noch einen Umweg wert. Ich kürze aber den Weg ab und bezahle diesen mit einer heftigen Rampe nach Monteaperta, an dessen unteren Ortsrand ein schöne Staffel von Wasserbeckenkaskaden aus dem Berg sprudelt. Den nebenliegenden Brunnen entleere ich bis auf seine Grundadern im Gran Monte, was mir aber die gleichwohl durstige Familie am Brunnen offenbar nicht verübelt.

Für den Rest darf ich einfache Pedalarbeiten vermerken. Zunächst fährt man durch einen halblichten Laubwerkkanal, fast flach – es ist wie Promenadenradeln. Ich bin nicht sehr unglücklich darüber, dass die Höhle in Villanova schon geschlossen ist – innerlich war ich auf Exkursionen ohnehin nicht vorbereitet. Nebenbei bemerkt – wer mal hin will, findet ausreichend Futterstellen neben dem Kassenhäuschen. Nicht mehr ganz verdeckt, aber auch nur wenige Ausblicke ins Val Torre lässt die folgende Abfahrt zu.

Tarcento übertrifft die Villen-Eleganz von Nimis nochmal deutlich. Nicht ganz zu unrecht rühmte sich das Örtchen schon mal der Bezeichnung „Perle des Friauls“. Einen Dämpfer erfuhr die architektonische Erhabenheit durch ein Erdbeben vor nur 40 Jahren, wurde aber wieder weitgehend saniert. Die Krönung der Baukultur verkörpert die Villa Moretti, die sich mit den weißen Unteretagen und dem rot-braun verzierten, burgähnlichen Kopfbereich mit breiten, verschachtelten Hutdächern wie ein Wächter-Pilz auf den goldgrün leuchtenden Weinberg herunterschaut und sich dabei Gedanken macht, wie er den Hut ziehen kann, wenn mal ein Alien vorbei kommen sollte.

„Wo bist du, Gemona,
lachendes Mädchen, Augen wie Samt,
schwarze Haare unterm Akazienkranz,
Frühlingshauch?“

Amedeo Giacomini (in: Pier Paolo Pasolini u. a. „Wie eine Viole in Casarsa”, S. 147)

Am Bergrand vorbei passiert man mit Artegna noch einen weiteren hübschen Ort, die mittelalterlichen Burgreste Tarcentos sieht man noch zuvor zur Rechten weit oberhalb am Berg. Langsam treibt die Sonnenglut unter die Horizonte, noch eine Allee legt den Straßenteppich hin zu den Toren Gemonas, das mit einer Campanile in seinem auf einem Randfels aufgebauten historischen Stadtzentrum dem Besucher entgegen winkt. Da es an diesem Tag wieder zahlreiche funkelnde Goldtöne bis hinein in die Dunkelheit gab, belohnte mich Commander speichen-08/15-kracher mit einem üppigen Essen durch eine weitere Bonifikation in der begrenzten Bankomatenlizenz. Ich wählte ein besonders goldgelb leuchtendes Menü, u. a. einen karantanischen Wolfsbarsch auf einem funkelnden Silberteller gereicht.

Musik: Der Komponist und Jazzpianist Roberto Magris ist ein Kind des Triester Alpen-Adria-Raumes und gleichzeitig ein musikalischer Kosmopolit, der mit vielgestaltigen harmonischen Innovationen ein sehr produktives Œuvre mit eigener Handschrift aufgebaut hat und sich gerne als „an alien in a bebop planet“ bezeichnet: Roberto Magris/Big Band Ritmo Sinfonica Città di Verona/Marco Pasetto: „African Mood” (7:01 min.)

Bildergalerie Kap. VI (187 Bilder):



Fortsetzung folgt
Liebe Grüße! Ciao! Salut! Saludos! Greetings!
Matthias
Pedalgeist - Panorama für Radreisen, Landeskunde, Wegepoesie, offene Ohren & Begegnungen

Geändert von veloträumer (23.02.23 16:15)
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#1176810 - 14.12.15 12:41 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: veloträumer]
Keine Ahnung
Moderator
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Beiträge: 12.863
In Antwort auf: veloträumer
In Antwort auf: Keine Ahnung
Da mein Orientierungsinn bei der Verknüpfung meiner Neuronen vor langer Zeit quasi nicht entwickelt wurde (daher bin ich so ein großer Freund von GPS), ist das einzige, was ich vermisse, ein "Track" oder der Weg in einer Karte eingezeichnet - oder habe ich das übersehen?

Das Büro für interstellare GeoNaviStäsie hat sich zur Beratung zurückgezogen und arbeitet an einer einvernehmlichen Lösung. Gelegentliche Wolkenbildung auf der Erde könnte Folgen der rauchenden Köpfe dort sein. Diese Nebenwirkungen können von irdischen Apothekern weder erklärt noch mit Arnzeimitteln bekämpft werden.


Dein Bericht und die Bilder verstärken den Wunsch, eine selbst für orientierungsschwache Radfahrer wie mich schnell nachvollziehbare Linie in einer Karte sehen zu können zwinker . Ich denke, dass es da so einige Teile gibt, die ich unbedingt einmal besuchen muss.
Gruß, Arnulf

"Ein Leben ohne Radfahren ist möglich, aber sinnlos" (frei nach Loriot)
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#1176923 - 14.12.15 21:57 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: veloträumer]
veloträumer
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KAPITEL VII
Saurische Sprachinseln, Teufelsrampen und eine Bierspezialität:
Die abgeschiedenen Bergregionen in Karnien


So 12.7. Gemona – Colle del Leone (260 m) – Venzone – Bordano – Sella Interneppo da Bordano (303 m) – Camping Lago di Cavazzo – Verzegnis/Lago di Verzegnis – Sella Chianzutan (955 m) – Val di Preone – Sella Chiampon (789 m) – Preone – Mediis – Ampezzo – Albergo di Pura
W: bis ca. 26 °C, sonnig, windig
Ü: C wild 0 €
AE (Albergo di Pura): Gnocchi m. Kräutern, Polenta mit Gams, Strudel, Rotwein, Cafe 27,80 € (*)
75 km | 10,2 km/h | 7:16 h | 1565 Hm

Der Camping in Gemona liegt bereits jenseits der nordwärts wieder abfallenden Stadtseite. War abends bereits das kleine Bistro geschlossen, in dem es auch Speisegerichte geben soll, ließ sich der Betreiber auch am Morgen nicht blicken. Ein germanischer Reiseradler erzählte mir seine hehren Absichten, den Alpe-Adria-Radweg zum Einrollen genutzt zu haben – nun häbe er Größeres vor in Richtung Gardasee mit hohen Dolomitenpässen. Noch ein Paar konnte ich als velophil identifizieren, blieb aber unter den Zeltwänden verborgen. Gemäß den Rädern lag auch hier germanisches Blut wohl vor.

Unweit des Campings befindet sich ein Kalkofen, der die Region im 20. Jahrhundert mit dem wichtigen Baustoff Branntkalk versorgte und hier in den kalkreichen Bergen Gemonas von besonderer Qualität war. Erst 1965 wurde die Produktion eingestellt. Wenig weiter beim nächsten Ort, treffe ich erstmals auf die verschwenderischen Barrikadenverbauungen des CAAR. Doch die Trassierung des Radwegs wird flugs umgeleitet zu einem Biotop hinter einem kleinen Bergkegel. Da mich einige zähnefletschende Hunde wieder als Alien enttarnten, nahm ich den Weg zu dem Seebiotop zur anderen Seite und drehte so eine Sonderrunde. Hier liegt grober Schotter, genau das Gegenteil der aalglatten Fahrradautobahn die wenigen Meter zuvor und danach. Das Biotop – mehr ein Tümpel, der zweifellos besondere Frösche beherbergen könnte – wirkt recht fahl und unaufgeregt. Der Zauber des Ortes ist doch eher bescheiden, der Umweg zur Straße nicht unbedingt lohnend.

Ausgangs des Ortes stößt man an der Straße aufs Tagliamento-Ufer. Hier breitet sich ein riesiges Flussbett aus, ein blaues Band zieht sich durch grellweiße Flusskiesel und die Berge bilden eine Kulisse für ein Schauspiel, das nun wieder die alpinen Figuren auf die Bühne stellt. Der Tagliamento ist einer der wenigen Alpenflüsse insbesondere in den Ostalpen, der noch weitgehend dem natürlichen Lauf überlassen wurde, was sich in diesen weiten Flussbänken abbildet, die sich etwa abwärts von Tolmezzo besonders stark ausprägen. Zurück auf dem CAAR, werden alle Register des Radwegebaus gezogen. Sogar die Brückensteigungen und -gefälle sind ausgewiesen, damit sich kein Radler verschreckt im ebenen Gleichklang. Sicherheit wird so groß geschrieben, dass Verbrecher aus dem Fahrradkorridor nicht flüchten können – soweit Halunken über velophile Neigungen verfügen sollten.

Die Velophilie der Region steigert sich zum Velophilismus vor den Toren Venzones. Ein Gasthof stellt Blumenräder aus, die Barriere von Terrassen und Garagen sind dem Velomobil angepasst und obwohl der Autofahrer hier genauso vorbei kommt, wird der Radler nahezu exklusiv umworben. Venzone liegt wie Gemona hinter einer Stadtmauer, ist aber flach eingebunden, obwohl die Umgebung deutlich alpiner ist – hier markiert eine Kluse die Grenze zwischen Alpenland und friulanischer Ebene oder – zwischen Wein und Kuhmilch. Venzone gibt sich etwas verschlafener als Gemona, der Charme der speziellen Hybridlage spricht aus den stillen Gassen. Auf der zentralen Piazza drängt sich über den Fassaden und dem Kirchturm die Bergwelt auf, die Bauweise diszipliniert sich aber in einheitlichen Tönen, die die Stadt wie aus dem Berg gehauen erscheinen lässt. Leider traf Venzone das Erdebeben noch mehr als Tarcento oder Gemona und mancher Stein hier hat nur ein junge Geschichte, auch wenn er sein wahres Alter gerne höher angibt – umgekehrt zur Eitelkeit des Menschen. Es gibt an vielen Läden auffällige Dekorationen, Hexenpuppen und plüschige Violettverkleidungen der Schaufenster. Die Bäckersfrau vermag mir den Sinn aber nicht zu verraten – Fest sei keines geplant, sagt sie. Ich finde Hinweise auf ein Theaterstück „Die Schöne und das Biest“. Irgendwie scheint es dazu einen Bezug zu geben – entweder Werbung oder Freikulisse.

Jenseits der Festungsanlage gelangt man über eine Brücke über das breite Flussbett des Tagliamento. Ein wunderbares Flirren liegt in der schon heißen Morgenluft. So schön führt eine kleine Straße an Steinmauern mit leuchtend grünen Grasbüscheln unter hellem Laubdach vorbei. Da ich das Zentrum von Bordano umfahre, stoße ich nicht auf das flatternde Flirren des Farbenglanzes, das den Ort auszeichnet – erst in Interneppo, dem Nachbarort zur anderen Hügelseite, werde ich der Besonderheit gewahr. Es ist hier Poesie an den Häusern, die Poesie der schillernden Farben, ihres Lichtes, ihres flatterhaften Lebens, das die betäubende Verführung der Iris ins Auge rückt – es ist die Poesie der Schmetterlinge, ein bildnerisches Gedicht, dessen facettenreiche Verszeilen als moderne Fresken auf den Fassaden der Häuser gemalt sind. Schon Pier Paolo Pasolini, der lange nicht unweit im Tagliamento-Tal in Casarsa lebte, widmete einige Zeilen dem Insekt, im Widersinn von Pracht und Verführung (aus „Scheusal oder Schmetterling?“ in Pier Paolo Pasolini u. a. „Wie eine Viole in Casarsa“, S. 29):

„Es ist ein Schmetterling aus Heiterkeit,
der mir in den Himmel der Seele fliegt.
Himmlischer Schmetterling ohne Schatten
Im Dunkel der himmlischen Adern.

Nein, es ist ein Scheusal aus Heiterkeit,
und sein Himmelsblau ist Gift.
In den nackten Augen gefriert mir das warme Licht
vor seinen nackten Augen.

Nein, es ist ein Schmetterling aus Milch,
Schimmer des Sommers in meinen Sommer. …“


Die Schmetterlinge hier werden einem einfach in die Linse gelegt – alle halten still, sie sind auf den Fassaden zu Ausstellungsstücken einer offenen Museumsgalerie verdammt. Schmetterlinge umflattern aber auch den Monte Simeone – ein Paradiesgarten mit kriegshistorischen Makeln. Neben Schmetterlingen sind an der Passstraße oberhalb von Bordano auch Radler auf Stein gebannt. Hier wird dem italienischen Radsport ein farbenreicher Tribut mit seinen Helden gezollt. Mehr zu den Schmetterlingshäusern von Interneppo und dem Radsportfresko findet sich unter Bilderrätsel 875.

Interneppo ist das Tor zum Lago di Cavazzo, der größte See des Friauls. Nur selten gelingt es, ein hässliche Autobahnbrücke zum ästhetischen Stilelement einer Landschaft zu machen – am Lago di Cavazzo gelingt das mit einer schon fast beängstigen Graziösität für dahinschmelzende Augenaufschläge (erinnert etwas an den Fuzine-See im Norden Kroatiens). „Welch ein Traum!“ bestätigt ein Paar aus Österreich auf fünf (!) Rädern – sie mit gewöhnlichem, muskelkraftangetriebenen Zweirad, dahinter mit Zweiradhänger für das Gepäck und er solistisch mit einem Einrad. Große Steigungen sind ihre Sache gewiss nicht und sie nehmen wieder den einfachsten Rückweg der Exkursion vom Tagliamento-Tal aus, aber auch da gibt’s Steigungen. Balancekünstler der velophilen Art.

Wer den Cavazzo-See sucht, wird verzweifeln, denn ausgeschildert ist dieser als Lago dei Tre Comuni, obwohl an die Ufer keiner der Gemeindeorte richtig heranreicht. So bleibt das Türkis des Sees ein recht naturbelassenes, auch wenn von Straßen zu beiden Seiten eingeschlossen. Die Badeplätze sind allerdings auch beschränkt auf den touristischen Trichter im Süden mit einer auffälligen Fußgängerbrücke, Teil eines größeren Erholungsparks. Die Seestraße am Westufer verhindert meist Blicke auf den See, das bewaldete Ufer ist dicht verwachsen. Im Norden bei Mena sind seltsame Tiere zu sehen. So schwebt ein Schwarm fliegender Fische über den Wiesen, ein weiterer Fisch betätigt sich gar als Freeclimber im hohen Fels. Auf der Wiese sitzt eine Eule und ließt kluge Bücher. Da ich nicht über gehobene Kenntnisse in den Wissenschaften der Aquaristik und Ornithologie verfüge, muss ich die Dinge hier unerklärt stehen lassen.

Ein kleinerer Hügel führt oberhalb eines weitgehend unsichtbaren Tümpels vorüber. Auch ein Radweg wurde hier mal versucht, der aber in Geröllhalden kläglich verendet. Bald befinde ich mich am Tagliamento-Kiesbett wieder, der Fluss bildet hier an der Brücke nach Tolmezzo gleich mehrere Badeseen. Nun sollte es ja aufwärts noch einen See geben, der von Verzegnis. Der Ort ist schwer zu erklimmen, der See nicht zu sehen. Ihn muss man abseits des Ortes über eine Gefällstraße aufsuchen. Auch hier leuchtet ein tiefes Blau – es ist aber nur ein Stausee, der über keinerlei schöne Uferzonen verfügt. Baden ist eher nicht möglich und wenn bekommt man Schlammfüße. Auch hier führt eine Brücke rüber, die mit einem Parkplatz endet – nicht ganz, unsäglich steil könnte man eine Abkürzung nehmen, die für mich aber nach Kartenlage nicht gesichert asphaltiert ist. Nachdem ich zurück zur regulären Chianzutan-Passstraße gefahren war, und den Bogen durch eine weitere Senke, lässt sich zumindest vermuten, dass es eine asphaltierte Variante direkt vom Verzegnis-See zur Passstraße gibt. Empfehlen würde ich es aber nicht.

Der Sella Chianzutan ist nun sanft in weiten Kehren zu fahren, bieten reichlich Panorama auf die Bergketten nördlich des Tagliamento. Auf der Passhöhe haben sich viele Motorbiker beim offensichtlich beliebten Berggasthof versammelt. Der Pass bildet eine kleine Hochmoorebene, die nach Süden eine spezifische Wiesenflora abbildet. Dann sind es nur wenige Kehren durch Buchenwald hinunter, wo man mitten im Abfahrtstaumel in einer Kehre scharf nach Westen abbiegen kann. Das Val de Preone (zu beiden Passseiten mit dem selben Talnamen bezeichnet, wie im Friaul häufig zu finden) ist eine der urigsten Entdeckungen Reise. Eine auf schmalen Grat an Felsen entlang geführte Straße schleicht sich den Berg hoch, immer wieder auch beschattet von einem ausgeprägten Buchenwald. Die launige wie kühne Trasse hält größere Verkehrsströme ab, denn die Fahrt ist nicht ungefährlich und ohne stetige Hupwarnungen für Autos nicht sicher passierbar. Dennoch ist auch hier nahe dem Chiampon-Pass eine beliebte Picknick- und Badestelle im Wald. Auf den Wiesen, teils mit Glockenblumen gut geschmückt, verteilen sich einige bescheidene Ferienhäuser, ein Gasthof liegt versteckt etwas abseits der Straße.

Hinunter ist das Erlebnis nicht weniger aufregend, ein enges Kurven- und Felsenlabyrinth, die Straße muss häufig mit Metallnetzen vor Steinschlag geschützt werden. Einen Gegenanstieg, sonst gehasst, verlängert das Abenteuer hier sehnsüchtig. Der hautnahe Sog am Bergfels kitzelt ein berauschendes Lachen der Sinne heraus. Die Anfahrt von Norden dürfte deutlich schwerer sein als die von Süden, auch wenn ich das lang gestreckte Val’dArzino nicht aufgefahren bin. Das Tagliamento-Tal mit dem Ort Preone erreicht man so fast wie aus dem Traum gerissen. Man mogelt sich etwas unübersichtlich zur SS 52, die nunmehr nach den Einsamkeiten sehr stark befahren wirkt. Einfach ist die Route auch nicht so richtig, zäh trifft es am besten.

Ampezzo stellt sich per Ortschild als die Kapitale Karniens vor. Ob es nur an der wolkigen Eintrübung liegt, dass sich ein geheimnisvoller Schleier über ein zurückhaltendes Bergvolk legt? Der italienische Charakter lauter Plätze ist nicht präsent – eher der gepflegte Umtrunk geschwätziger Bewohner, die es aber vermeiden, übergebührliche Aufmerksamkeit zu wecken. Einige Höhenmeter später nach dem Ort findet sich noch ein Transit-Gasthof unmittelbar beim Abzweig zur Pura-Passstraße. Die Verhandlungen für ein Zimmer, die vorgegebenen 45 € zu unterschreiten, verlaufen nicht erfolgreich. Der Eindruck düngt mich, dass die Zimmer ihren Preis kaum wert sind – so zumindest sagen es Ambiente und die nicht überzeugende Essensqualität. Auch gab es unfreundliche Andeutungen, sodass ich mich nicht wohl fühlte. Da macht ein Alien schon gar keinen Tausch. Der Ur-Karnier in diesen hinteren Bergregionen scheint eine gewisse Ähnlichkeit zum Schwaben in Germanien zu haben – soweit ich das beurteilen kann (mir ist Schwaben nur aus kurzen Exkursionen bekannt). Ein gut verträglicher Schlafplatz lässt aber nicht lange auf sich warten: Direkt in der Kurve oberhalb steht eine Wetter- und Picknickhütte, die sogar den Zeltaufbau erspart.

Mo 13.7. Albergo di Pura – Passo del Pura (1428 m) – Lac di Sàuris – Sàuris di Sotto – Sàuris di Sopra – Sella di Rioda (1800 m) – Forcella Levardet (1542 m) – Campolongo – Sappada – Cima Sappada/Bladensattel (1299 m) – Forni Avoltri – Rigolato – Comeglians
W: bis ca. 22 °C, bewölkt, wenige Regentropfen, auch schwül, windig
Ü: C wild 0 €
AE (Albergo Alle Alpi): Tagliatelle m. Pilzen, Frico, Polenta, Kuchen, Rotwein, Cafe 25 € (*)
84 km | 10,3 km/h | 8:09 h | 1930 Hm

Das Dunkle, Fremdartige und Verschrobene der Region verstärkte sich erneut durch die düstere Wolkendecke über den Bergen, die kaum aufheiterte. Der Pura-Pass stellt eine harte Herausforderung da – er ist die Alternative zur regulären Transportstraße nach Sàuris, die durch ein anderes Tal mit Tunnels führt. Durch die Passhöhe über ein Seitental summiert man so zusätzliche Höhenmeter, die sich mittels der Differenz von Passhöhe zum Sàuris-See berechnen lassen. Die Mühe ist lohnend, Felswände, tolle Ausblicke und straßenbegleitende Blumenwelten – meist in Goldgelb – sind die ästhetischen Attribute. Zu den kratzbürstigen Bewohnern Karniens gehören auch Skorpione, die die Straße überwachen. Ich konnte sie aber davon überzeugen, ihre stacheligen Waffen nicht kriegerisch einzusetzen und führte Friedensgespräche auf Asphalthöhe. Der karantanische Friedensgeist blieb gewahrt, wenn ich auch nicht in solch innige Freundschaften eintauchen konnte wie mit der Kröte von Kal nad Kalanom oder den Fröschen vom Egelsee.

Oben gibt es mehrere Einkehrmöglichkeiten, das Rifugio leicht unterhalb auf der Nordseite war von internationalen Seminarteilnehmern belegt – offensichtlich wieder ein Zeichen der kulturellen Offenheit des karantanischen Geistes, mit dem man sich auch mit Japanern und Amerikanern verbündet. Der Wald zum See wirkt mystisch und wird auch so bestätigt durch Sagengeschichten, die dem Besucher auf Tafeln erzählt werden. Der Lac de Sàuris ist zunächst kaum durch Bäume hindurch zu sehen, erstrahlt dann aber kräftig blau bis türkis. Vom Staudamm aus ist zu erkennen, dass sich talabwärts eine undurchdringlich enge Schlucht zieht, was die Tunnels erklärt, die für die Straße in den Fels geschlagen werden mussten.

Gleich noch vor Ortsbeginn finden sich Zeichen einer besonderen Gegend – einer altbairischen Sprachinsel. Sàuris – zur eigenen Sprache Zahre genannt, teil sich einen Unter- und Oberort. Die Namen der Bewohner sind „Ekharle“ oder „Schneider“, ein Gasthof heißt z. B. „Kursaal“. Im Unterdorf sind die Spuren des Schinkenfestes zu sehen, dass ich eigentlich besuchen wollte. Es wird im Juli an zwei Wochenenden gefeiert, nicht aber in den Wochentagen dazwischen – also nicht an diesem Montag. Geplant hatte ich ja die Sonntagsankunft, um dann dort in Sàuris auch eine atmosphärische Übernachtung einzulegen. In meinen tiefen Ahnenwurzeln spielen saurische Gene eine besondere, wenn auch weitgehend noch unerforschte Rolle, sodass ich Sàuris mit großen Erwartungen bereiste.

Nun konnte ich zwar im vom bekanntesten Schinkenproduzenten die Schweinespezialität erwerben (ich mag ihn lieber als San Daniele, wie trockener) – es gab aber nicht mal eine ordentliche Picknickgelegenheit, zumal der Wind kalt in die Glieder fuhr. Die Architektur der Zahrer ist speziell und weist teils Elemente der Dolomiten auf (viele Bajuwaren auch dort) und aber auch der Holzbalkenkonstruktionen der Walser (auch deutsch sprechende, vom Aussterben bedrohte Sprachinseln in den Alpen). Etwas verunsichert über die ausgestorbene Montagsatmosphäre nach dem Festsonntag, suchte ich weitere saurische Spuren im Oberdorf. Hier wird die das Zahre-Bier vermarktet. Proben gibt es aber nicht bei der Zahre-Bier-Hausadresse. Die Büroangestellten gaben mir jedoch freundliche Hinweise, wo ein Glas des speziellen Bieres, das für herbe Noten wie auch eine Rauchbiervariante bekannt ist, am besten zu verkosten sei. Trotz Zahre-Bier blieb mir der saurische Bergkarnier etwas verschlossen. Saurische Völker – Schwaben, Basken oder Korsen – sie alle verbinden doch ähnliche Charaktermerkmale.

Neben Schinken, Bier, Tourismus, Bergbauerntum ist auch Holz ein Wirtschaftsfaktor – ein Kunsthandwerker hat ein Ur-Fahrrad nachgebaut. Nach den anspruchsvollen Rampen zu den beiden saurischen Ortsteilen geleitet die Route dann durch einen träumerischen Lärchenwald, dessen Gardinenmuster das geheimnisvolle Sàuris mit leuchtgrünen Toren abschließend oder eintretend verschleiern. Es eröffnen sich nun steinszenische Darstellungen, Skulpturengalerien aus natürlichem Fels – von soldatischen Pyramidenreihen bis zu solistischen Sagencharakteren – manchmal nicht unähnlich zu mittelasiatischen Gebirgswüsten. Die Berghänge versammeln sich in einem weiten Kessel – das Steingrau prägt auch die Straßentrasse mit den bogenförmig ausgestochenen Mauerleitplanken. Der Anstieg, jetzt wieder stramm, erobert schließlich beim Sella di Rioda eine Hochebene mit eigentümlicher Vegetation. Nach leichtem Höhenverlust zur Val-Pesarina-Straße könnte man noch den nahe liegend Sella di Razzo aufsuchen – nur dort gibt es einen Berggasthof. Die mir schon vorbekannte Passhöhe lasse ich aber aus und begebe mich nun zum Abzweig zum Forcella de Levardet, der kaum als Passhöhe wahrnehmbar etwas abseits der Pesarina-Straße liegt.

Schilder kündigen die Straßensperre an, die Südrampe des Passes ist ein verbotener Weg, obwohl sich immer noch Hinweise finden, dass es mal eine offizielle Strada statale war. Einige Einheimische lassen sich auch nicht abschrecken, zumal die Sperrung halbherzig ist, die Schranke offen. Gibt es andere Beispiele, wo Verbindungen nicht ausgebaut werden, so wird hier eine ehemalige Verbindung verfallen gelassen. Man kann es kaum Umweltschutzgründen zuordnen. Die heftig rumpelige Piste ist kaum zu fahren. Ich muss sie als nicht radreisetauglich einstufen – sowohl bergab wie bergauf. Das Rutschen im oberen Teil führt durch schlichten, geradlinigen Fichtenwald, Bergblicke bleiben weitgehend verwehrt. Ein erstes Highlight aber ist ein Moosstufenwasserfall – nur klein, aber fein. Mit der ersten Furt, die betoniert ist, verbessert sich der Wegezustand, aber auch die aufregende geröllartige Bergwelt schiebt sich besser ins Auge. Die Straßenzustände wechseln nun häufig. Hat man mal ein Stück Flüsterasphalt erreicht, wird man zur nächsten Furt hin wieder von Rumpelpiste überrascht. Die Flora bleibt bescheiden, aber die Felsenwelt übernimmt die szenische Regie mit großer Dramaturgie. So lassen sich Feinschmeckerserpentinen verkosten, die eigenwillig symmetrisch angeordnet sind. Steil sind diese nicht, das Höhenprofil bleibt aber insgesamt ähnlich wechselhaft wie die Straßenbeläge.

In Campolongo sieht es typisch nach Dolomiten aus. Die Bauweise ist eine Schnittmenge verschiedener Bergkulturen, auch sàurische Elemente sind noch vorhanden. Das Tal ist nun belebter und besiedelter. Da wenig Platz, müssen einige Häuser höher gebaut werden – ein Hauch Andorra. Auch nach Norden sieht man einige Bergsiedlungen auf den Halbhöhen, mehrere Seitentäler führen weiter in die Bergwelt, von denen ich einige geplant hatte zu radeln, sie aber meinem galaktischen Reisezeitfenster opfern musste. Der Anstieg ist weich, ein schöner Wasserfall mit feinem Sprieß vor der Hochebenenöffnung des Sappada-Sattels. Dort herrscht erhöhte Betriebigkeit – zu Sommer wie zu Winter. Die Bergkulissen sind allzu verführerisch. Es sind die Sensationswelten zwischen Dolomiten und Karnischen Alpen, mit denen hier Werbung gemacht wird: „Himalaya-Feeling“, „Tibet in Karnien“ oder „11 km bis nach Nepal“. Die Bergszenerie, die sich zu beiden Seiten der Almwiesen und Siedlungsbereiche erhebt, erinnert auch im ganzen Betriebe an die Dachstein-Panoramaroute im Nordwesten der Steiermark, wenngleich dort nur nach einer Seite felsig. Obwohl die dunklen Wolkensäcke eine ungetrübte Sicht Bergszenerie vereitelten, kam es auf der Green Devil dennoch zu tobsüchtigen Schüttelfeten, als ich die Bilder vorführte.

Nur wenig steigt man noch zu einem Hochpunkt des Sattels, wo dann die Straße ins Tal hinabstürzt, über Serpentinen abgedämpft mit mäßigem Gefälle. Unweit des Hochpunktes liegt ein panoramareicher Campingplatz, wie auch weitere Gasthöfe noch locken, zu verweilen. Der Morgen hätte die Berge wieder in sonnenreiches Licht getaucht. Nicht ganz falsch schätzte ich aber die Schwierigkeiten des nächsten Tages ein und suchte den Basispunkt im Tal noch zu erreichen. Ungeachtet der zahlreichen Höhepunktperspektiven des Tages gab es zu wenige Goldmomente an diesem Tag, sodass mir Commander speichen-08/15-kracher die Erweiterung der begrenzten Bankomatenlizenz verweigerte. Es ließ sich aber auch so ganz gut ein Nachtlager arrangieren.

Di 14.7. Comeglians – Tualis – Monte Cróstis (1934 m) – Ravascletto/Sella Valcalda (958 m) – Povolaro – Clavais – Liariis – Sella di Monte Zoncolan (1740 m) – Rifugio Moro – Sùtrio
W: 17-23 °C, teils sehr kühl, teils heiter, teils bewölkt, windig, diesig
Ü: H/Osteria Da Alvise 40 € mFr
AE (dito): Ravioli m. Auberginen/Tomaten, Hähnchenfilet, Bratkart., Salat, Eis, Cafe 32,30 € (***)
68 km | 8,7 km/h | 7:53 h | 2730 Hm

Die zwei Berge des Tages sind Mythenstraßen des Giro d’Italia, in der geballten Form mit Reiserad beide Berge zu fahren, bedeutet Irrsinn. Ich musste mich daher nach meiner Rückkehr auf der Green Devil auf psychische Nervendeformierungen untersuchen lassen – es konnten aber keine Fehler festgestellt werden. Im beschaulichen Comeglians hat man das große Radsportereignis am Monte Cróstis aus dem Jahre 2011 festgehalten, wohl stand damals ebenso der Monte Zoncolan auf dem Plan. Die karnischen Berge werden da als „terribile“ kategorisiert. Kaum aus dem Ort nach dem kleinen Tunnel, zeigen sich die Bergketten am Sappada-Sattel freizügig, was aber keine Prognose für das Tageswetter sein sollte. Sind die unteren Kehre halboffen, mit kleinen Ortseilen, so windet sich die Straße oberhalb Tualis lange durch dunklen Nadelwald. Dem Giro hat man in Tualis gleich einen ganzen Platz gewidmet mit einem Rad im Bronzeguss, das allerdings schwer von der Stelle zu bewegen ist. Bewege ich mich überhaupt von der Stelle?

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Alienmuskeln kurz vor kapitulativer Myotrophie, bitte um transkapillaren Zusatzdüsenantrieb.“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Zusatzantriebe nicht verfügbar, weil die interstellare Distanzringverminderer die erdmagnetischen Abschirmungskräfte nicht überwinden können ohne zu implodieren. Hatte anfangs der Reise auf die Möglichkeiten eines E-Bikes als Alternative hingewiesen. Haben Sie nicht genommen.“

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Werde Osmosendruck im Myofibrillen erhöhen. Hoffe auf schnelle hochgebirgige Blutzellenanpassung.“


Kaum anders als im Diagonalslalom vermag ich die Fortbewegung zu steuern. Nach dem Waldende wird das Auge mit einem überschäumenden Grün belohnt. Alle Gipfel hier sind – ähnlich den Nockbergen oder der meisten Pyrenäenberge – komplett begraste Kuppen und Platt- oder seltener Spitzgipfel. Die Almwiesen breiten sich zu einen Bergrund aus, bilden ein Amphitheater im Stile monte-verde. Es ist Frevel, hier nur von Grün zu sprechen, denn dem Grün wohnt eine goldener Glanz inne, den das Alienauge freudig blitzen lässt.

Es gibt viel Hinweise auf Steigungsprozente, die aber meiner kritischen Prüfung nicht standhalten. Die Maximalsteigung 13,1 % wird ebenso an Entspannungspassagen angegeben, wie an den steilsten Stellen. Solche Stellen habe ich auch schon als 20%er in anderen Regionen kennen gelernt. Der Fantasie irdischen Messingenieure sind keine Grenzen gesetzt. Immer wieder muss ich diese Laschheit im Umgang mit exakten Forschungswerten kritisieren. Halten wir fest: Die Hölle des Teufels würde dem Radler hier wie ein Wellness-Relaxzentrum vorkommen. Die Frage scheint mir in Anbetracht irdischer Intelligenzen auch berechtigt, warum für solche Radstrecken noch keine Zahnradschienen oder Seilwinden verlegt wurden.

Am etwas unterhalb der Straße gelegenen Berggasthof – etwa dort endet auch der Asphalt – windet es heftig kalt und in der Gaststube wurde der Ofen angeworfen. Um meine inneren Organe vor kompressiven Kälteschöcken zu schützen, muss ich zu einer warmen Mahlzeit greifen. Obwohl der Berg fast leer – ausgerechnet zur selben Zeit will eine italienische Familie auch speisen, was die Kapazitäten der Wirtin deutlich überschreitet. Ich brauche mehr als das Viertel einer Stunde, um die Bonifikation für das Essen ihr zustecken zu können. Man kann nicht sagen, dass Karnier geldgierig seien. Eine MTB-Gruppe, aus drei Kärntnern bestehend, versichert mir eine unproblematische Pistenfahrt für die Bergrunde. Ansonsten geben sich die Österreicher aber ein wenig krantelig, als sei ihnen der karantanische Geist entzogen worden.

Nun wartet draußen nicht gerade eine Sonnenpause und man mag die lange Vesper als Anwärme zu der wolkenverhangenen Panoramaroute werten. Und trotz der eingeschränkten Sicht ist die Tour ein Augengedicht – erst hier scheint die Bezeichnung Panoramica delle Vette ihre volle Berechtigung zu haben. Der Pistenzustand erweist sich tatsächlich als gut, wenngleich die Heroen des Giros hier nicht mehr hergefahren sind. Das Geländeprofil ist als leicht zu bezeichnen, wobei es mal etwas ab, mal etwas auf geht. Hat man die letzen Hochpunktkehre überwunden, bleibt die Schotterabfahrt eher noch gemäßigt. Der Asphalt beginnt recht bald, die Straße dann auch wechselhaft steil im Gefälle, in jedem Fall auch steile Rampen. Der Aufstieg zur Ostseite wäre aber einfacher als die gewählte Westauffahrt. Massive Holzleitplanken prägen die Straßentrasse mit vielen Kehren, auch hier dunkle Waldabschnitte, aber auch rote Pastellfarben von Distelgewächsen.

Man mündet direkt auf eine Passhöhe, die stärker besiedelt ist und als Basis des Skigebietes am Monte Zoncolan genutzt wird (Bergbahn dorthin). Der Abschwung hier dann nur ein aalglattes Zwischenspiel ohne Besonderheiten. Man kann etwas oberhalb von Comeglians einen Abzweig wählen, um (hoffentlich) ein paar Höhenmeter einzusparen. Wie Abkürzungen aber so häufig es mögen, ist auch diese eine zusätzliche Tortur. Hübsch folgen wieder kleine Ortsteile oder Weiler, aber verbunden durch heftige Auf-und-ab-Passagen. Heftig ist natürlich eine recht mäßigende Formulierung für die Neudefinition von dem, was der Erdenmensch als Hölle bezeichnet. Die Strecke über Clavais erweist sich aber nur als Vorspiel des Mörderberges, der sein kriminelle Energie noch zu steigern weiß.

In Liarlis, zwar unterhalb der Hügel zuvor, aber doch bereits deutlich oberhalb von Ovaro, suche ich ein Fotomotiv. Sofort meldet sich eine karantanische Alienfreundin und winkt nach Osten: „Da geht es lang!“ – Oh – woher weiß sie, wo ich hin will? Können die Bergmenschen hier Gedanken lesen? Die Antwort lässt kaum lange auf sich warten. Nach ein paar gemütlichen Metern kündigt ein Schild das „Valle della Bicicletta – Ovaro/Zoncolan“ an. Alle wollen hierher – alle, die mit Pedalrössern unterwegs sind. Natürlich nur die, die es bis hierhin wagen. Eine letzte Brunnenversorgung wartet. Unklar, wie viele Liter ich hätte brauchen können, in jedem Fall ließ ich mehr Wasser auf der Strecke liegen, als die umliegenden Berge an Quellwasser jemals spendieren könnten.

Die Westrampe des Zoncolan ist landschaftlich recht bescheiden, die Kehren mauerbefestigt, ohne Zierde, ein schlichte Bewaldung, die Ausblicke nicht zulässt und auch die Flora ist von Mittelmaß gekennzeichnet – immerhin kleine Glitzer von Blumengold. Wohl auch, um die Langeweile am Berg zu mildern, sind Tafeln aufgestellt, die gleichzeitig Kilometersteine sind. Die Abstände sind aber nicht immer gleich, manchmal 500 m (so wird’s versprochen), manchmal aber auch fast ein Kilometer bis zur nächsten Tafel. Die Tafeln sind fotografische Darstellungen von Radsportlegenden – in diesem Fall nicht nur italienische, auch werden Gallier oder Seebewohner aus dem Norden berücksichtigt. Dazu sind jeweilig biografische Daten ausgewiesen. Von unten nach oben gibt es eine Historiallinie – sprich: unten die ältesten Veteranen, oben die jüngeren.

Nun, die Frage, die sich bald stellt: Wer liest das alles? Man möchte vielleicht noch, aber wie soll man das durch die Salzkristalle im Auge bewältigen? Ich sende erneut Notsignale.

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Verdampfungssäule beträgt bereits die Höhe von mehr als zwei kompletten Galaxiendurchmessern. Radialfliehkräfte wirken negativ, Vortrieb auch mit homöopathischem Mikroskop nicht mehr erkennbar. Bitte um exogene Sonderantriebe für unmögliche Transportalwege im Universum.“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Transportalweg auf ‚fast’ unmöglich umgeswitcht. Weitere Erleichterungen nicht möglich, da karantanische Naturalerhaltungsfeldlinien voll wirksam.“

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Alle muskulären Restaggregate auf höchste Osmosestufe umgestellt. Gefahr des Zusammenbruchs. Falls erfolgreich, Bitte um Erweiterung der beschränkten Bankomatenlizenz für luxuriöse Schlafkoje.“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Durchhalten! Alien-Grablegung auf Erdenball würde uns vor kaum lösbare Problem stellen. Wir brauchen Sie zurück auf der Green Devil! Beschränkte Bankomatenlizenz wurde erweitert.“


Mit der Pantani-Tafel wird ein Tunnel erkennbar. Es ist zwar noch nicht das Finale, ab die letzten Straßenhebungen danach sind jetzt absehbar auch noch zu schaffen. Ich erreiche mit halbiertem Alien-Gewicht die Ehrenskulptur des Sella Monte Zoncolan, wobei nicht erkennbar ist, ob es sich geografisch auch um einen echten Pass handelt. Meine Forschungspipetten sind aber so durchnässt, dass seriöse Wissenschaftsproben nicht mehr möglich sind. Ein letztes Goldleuchten strahlt durch die Dämmerung ins Auge auf der Hochgebirgswiese, vielleicht auch ein Hochmoor. Erreicht man die großen Parkplätze, die Hotelgebäude und die Bergbahnstation, ist dieses noch schönste Stück der Zoncolan-Route vorbei. Die folgende Abfahrt ist eine walddichte Fast-Bergautobahn mit weiten Schwungkehren, das Gefälle überraschend zahm – gemessen an der Auffahrt zur anderen Seite. Eine dritte Auffahrt, so heißt es in den irdischen Pässeschriften, gäbe es hier etwas südlicher. Diese Straße soll aber den schlechtesten Zustand aller Varianten haben und mit der Steilheit der Westrampe mithalten können und sei daher nicht zur Abfahrt empfohlen.

Mi 15.7. Sùtrio – Piano d'Arta – Arta Terme – Cedarchis – Trelli – Paularo – Forcella di Lius (1010m?/1034m?/1070m?) – Paluzza – Timau – Plöckenpass/Passo di Monte Croce Carnico (1360 m) – Kötschach-Mauthen
W: 20-26 °C, meist sonnig, eher schwül, windig, abends sehr mild
Ü: C Alpencamp 18 €
AE (dito): Ofenkartoffel, Salat, Schweinemdaillons, Gemüse, Pommes, Bier, Cafe 23,80 € (**)
71 km | 11,1 km/h | 6:25 h | 1675 Hm

Die Gastgeberin in Sùtrio ist ein karantanischer Geist, von großer Alien-Freundlichkeit. Mein Fahrgerät wird fest verschlossen, obwohl dem Ort räuberische Banden nicht zuzutrauen sind. Das Zimmer, unter dem Dachstuhl etwas beengt, aber sehr hübsch eingerichtet, erfüllt alle Alien-Wünsche, die ihm einen glücklichen Schlaf gebracht hatten. Am Frühstückstisch sind Radler keine Seltenheit – so auch hier z. B. eine organisierte Radsportgruppe mit Begleitwagen. Ich glaube, sie hatten keine Vorstellung, was sie heute erwarten würde – der Zoncolan stand an. Vielleicht werden sie mit der Ostrampe auch nicht wirklich erahnen, was der Alien am Tag zuvor gestampft hatte.

Sùtrio ist überhaupt ein besonderer Ort für einen Forschungs-Alien. Die Urbevölkerung scheint etwa zwei bis drei Längen größer gewesen zu sein als die heutige, wie einige Kleidungsstücke (Holzschuh) und Möbelantiquitäten (Stuhl, Kommode) nahe legen. Es sind seltsame Geschichten da aufgeschrieben und der Besucher soll eine Mission über mehrere Stationen hinweg erfüllen, läuft dabei aber Gefahr von Nymphen und anderen Fabelgestalten verspottet zu werden. Das Intermezzo nach Art Terme zeigt neue Landschaftselemente, so erinnern die Bergwiesen dort an typische Biotope der Schwäbischen Alb. Arta Terme kann die Klischees eines absterbenden Kurortes nicht ganz verdecken, sucht sich aber mit modernen Events ein neues Gesicht zu geben. So ist die zentrale Piazza komplett in einen Pferdeturnierplatz umgewandelt, nicht mal der Fußgänger hat so Möglichkeiten, den Ort vernünftig zu besichtigen.

Das Canale d’Incaroio hält zwei Routen bereit. Wie auch dem Eindruck des übernächsten Tages geschuldet, empfiehlt sich die Halbhöhenroute über dem Talboden als die schönere – zugleich auch die weniger befahrene Strecke. Dabei ergeben sich sicherlich einige Höhenmeter extra wegen steter Rauf-/Runter-Wandlungen. Die Bergkette zur gegenüberliegenden Talseite liefert ein herrliches Panorama, aber auch die Orte sorgen für besondere Blickwinkel zum nördlichen Talschluss. Höhepunkt ist die Cascata di Salino, direkt an der Straße gelegen, in einer Felsnische nur ein kleines Spalier, die Straße als Brückenkehre vorbeigelegt. Der Strahl, ein langer Pferdeschweif, erst weit unten leicht gespreizt durch vorgerückte Steinstufen, von leicht rötlichem Fels gerahmt, gehört zu den schönsten Wasserfällen, die ich auf der Reise verzeichnen durfte.

Paularo ist durch mehrere am Hang liegende Ortsteile weithin sichtbar. Der beste Blick ergibt sich wohl zur Einfahrt von der Brücke aus. Der Ort ist wuselig, auch wenn man ihm keinen großen Reichtum ansehen kann. Es ist ohnehin unklar, ob das Geschäftige zu Reichtum führt. Die häufigste Abbildung der reichen Könige ist ja die, dass sie nur auf einem Stuhl sitzen. Auch müssten dann die wuseligen Italiener das reichere Volk als etwa die Wikinger-Nachfahren in Skandinavien sein, den man eine ruhige Lebensweise bescheinigt. Die Reichtümer sind aber offenbar bei den Nordvölkern größer. Ich versuche mich an drei Bankomaten des Ortes vergeblich – ein Zeichen karantanischer Bescheidenheit? Oder ein Ort der Armut, den schon mancher verlassen hat?

Auf einem Steinmonument am Ortsausgang sieht man einen Radfahrer mit Koffer und einem Proviantbeutel, der zurückschaut. Da heißt es „… tu vâs lontan a guadagnacj il pan…“, was soviel bedeuten könnte „Du ziehst in die Fremde um dein Brot zu verdienen.“ Im 16. Jahrhundert entwickelte sich vor allem in der Krain und im Friaul die Form des grenzüberschreitenden Wanderhändlers, wobei den „Krämern“ unterschiedliche Akzeptanz für ihre Hausierwaren entgegen schlug. Saumhandel wurde für einige Kleinbauern auch zum Nebenerwerb. Andere wurden zu Ganzjahresnomaden oder zu den heute modern bezeichneten Saisonarbeitern, nicht nur mit niederen Dienstarbeiten, sondern auch mit speziellen Qualifikationen, die sie mitbrachten. Bei den Venezianern galten einige daher als dringlich ersehnte Fachkräfte. Karnier fanden so neue, zuweilen auch nur vorübergehende Heimaten nördlich der Alpen oder im venezianischen Machtgebiet des Adria-Raumes. So heißt es bei Gernot Heiß: „Karnien ist ein extremes Beispiel für Arbeitsmigration der männlichen Bevölkerung. Die steilen Hänge der stark erodierten, verkarsteten Gebirgslandschaft um und nördlich von Tolmezzo vermitteln den Eindruck der Kargheit und Unfruchtbarkeit. Viele Männer aus dieser Gegend waren neun Monate im Jahr von zu Hause fort.“ (in: Andreas Moritsch „Alpen-Adria“, S. 230) Nur zu Erntezeiten kehrten viele wieder zurück, heißt es weiter, und die Frauen und Kinder übernahmen zuweilen Heimarbeit für Produkte, die gleichwohl die männlichen Wanderarbeiter in ihren Zweitheimaten feilboten.

Die Zeiten der Armutsmigration sind also kaum neu. Die ökonomische Lehre spricht auch von der Mobilität der Produktionsfaktoren, zu denen die Arbeitskräfte gehören, gerne in den marxistischen Wissenschaften auch als Produktivkräfte bezeichnet. Demnach ist diese Mobilität unabdingbar, die Wohlstandsmehrung marktwirtschaftlicher (bzw. kapitalistischer) Systeme zu gewährleisten (welfare economics). Interessant ist, dass in den modernen irdischen Gesellschaften sehr schnell das Pendel zwischen der fast sklavischen ökonomistischen Funktionalität des Produktionsfaktors Mensch (human resources) zur anderen Seite des schmarotzenden Armutsflüchtling ausschlägt, der den Wohlstand der marktwirtschaftlichen Errungenschaften bedrohen soll. Nicht selten ist beides aus gleichen Mündern zu hören, nicht selten gründet der Wohlstand dieser Münder auf vergleichbaren, Armut überwindenden Flüchtlingsbewegungen ihrer Vorväter. Man kann kaum glauben, dass die irdischen Intelligenzen ihre Geschichte so schlecht kennen – weit mehr als nur die karantanische, die ihre Lehren weisen könnte. Was nicht alles so ein kleines friaulisches Radmonument der provinziellen Zeitgeschichte sagen kann. Auf der Green Devil, versteht sich, sind Migration und Armut bereits solange nicht mehr existent, dass die dort hiesigen Historialplatinen über dieses Wissengebiet bereits vermodert sind. Mein Commander speichen-08/15-kracher hörte deswegen meine Forschungsergebnisse mit besonderem Interesse, obwohl er resignierende Verständnisprobleme bei einigen Schilderungen nicht verbergen konnte.

Da ich aber fürchtete, dass meine beschränkte Bankomatenlizenz durch die häufigen Bonifikationen mittlerweile erschöpft sein könnten, und ich selbst Opfer einer mir unbekannten Armut werden könnte, suchte ich erneut Kontakt zur Green Devil aufzunehmen.

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Alle Bankomaten in Paularo verweigern Ticketausgabe. Was ist geschehen?“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Beschränkte Bankomatenlizenz voll umfänglich verfügbar. Mängel sind bei irdischen Technikern zu suchen.“

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Irdische Bankfachleute sind hier in Karnien nicht zur Lösung befähigt. Banker zuckt mit Schulter. Werde Bankomat am nächsten Ort versuchen.“


Die Nächstortprüfung in Paluzza endete nicht günstiger, sodass ich auf erst bei den Österreichern zu Talern kam, derweil sie ja für gehobene Fähigkeiten im Bankomatenwesen bekannt sind (vgl. Prolog E.5). Da ich bereits auch Kärnten als Armutsland erkundet hatte, dürfte der Reichtum der Völker nicht an der Funktionsfähigkeit der Bankomaten abzulesen sein. Paluzza machte Siesta, nichts konnte man zu Mittag erwerben. In den Schaufenstern sah ich feine Kleider, überlebensgroße Osterhasen (aus folklorem Tuch, nicht aus Schokolade) und seltsame Berghüte mit Federschmuck, denen auch ein steinernes Denkmal gewidmet ist.

Ein Denkmal unbekannter Provenienz – vielleicht auch ein (unerlaubtes?) Graffiti findet sich auf der Westflanke des Forcella di Lius mit dem Murale a Ligosullo, einer weiteren Hommage an den Giro d’Italia. Die Höhe des Passes finde ich insgesamt zu drei verschiedenen Werten – 1010 m, 1038 m, 1070 m. Wie so häufig, tendiere ich mittels meiner sensorischen Messmethoden zur Mitte als treffende Höhe. Allerdings sei angemerkt, dass der Pass zu beiden Seiten eine Überhöhung aufweist, die zu befahren ist, was zusätzliche Höhenmeter erfordert. Das drückt sich durch die kurze Distanz in nicht gerade steigungsarmen Rampen aus, die es mit denen der Qualität des Vortages aufnehmen können, wenn auch nicht so ausdauernd. Durch viele Talblicke und einige Bergdörfer ist die Westseite abwechslungsreicher gestaltet als die Ostrampe.

Die charakteristische Bergkulisse der Südflanke des Plöckenpasses zeigt sich dem Betrachter bereits weit unten, sodass abwechslungsreiche Perspektivvariationen den Fahrer stets erfreuen. Die Vegetation darf man als mäßig bezeichnen, ist auf der Nordseite stärker ausgeprägt, soweit dort Zwischenebenen dies erlauben. Der besondere Reiz liegt – eigentlich auf beiden Seiten, im Süden noch deutlicher – in der Straßentrasse, die sich in den Berg mit eindrucksvollen Kehren hineinbohrt, mit halboffenen Galerietunneln. Dabei steigt man auf über die unteren Kehren, auf die man dann herunterspucken könnte, oder andere, zu denen man noch ehrfürchtig hinaufschauen muss. Das Kehreneldorado beginnt wenig nach Timau, das noch leicht im flachen Tal erreichbar ist. Timau selbst bietet auch Kriegsmuseumstourismus zum Ersten Weltkrieg. Die Bewohner sind, nicht unähnlich zu Zahre, Ahnen eines altbairischen Dialektes.

Auf der Nordseite des Plöckenpasses, über die nicht gerade schön ausstaffierte Passhöhe so gelangt (u. a. Kitschsouvenir), sei Vorsicht geboten. Der Straßenbelag ist den leeren Landeskassen zufolge in sehr schlechtem Zustand, und die Rippen und Löcher können im schlimmsten Falle den Lenker verreißen. Trotz aller Vorsicht, kann man dem Tod hier nicht entgehen. Gleichermaßen, quasi symmetrisch zur italienischen Seite, ist der Erste Weltkrieg auch im Museum in Kötschach ein Thema, Kriegsanlagen lassen sich frei um die Passhöhe als ein Teil der dolomitischen Friedenswege inspizieren, und etwa zur Mitte der Passstraße mahnen die Kreuze eines Soldatenfriedhofs, den karantanischen Geist nicht nochmals zu verraten.

Der Empfang im Kötschacher Camping (der Doppelort verteilt sich als Mauthen auf dem rechten Gailtalufer und Kötschach auf dem linken) ist durch eine lächelnde Fee sehr Alien-freundlich, aber wieder mal werde ich mit dem Prozedere des Check-ins leicht überfordert. Nicht ganz uneigennützig wurden Gutscheine verteilt, wenn man brav den Lektionen gelauscht hatte. Einer galt einem Glas Apfelmost, am nächsten Morgen zu erhalten beim Camping-Shop, nicht wohl ohne den Hintergedanken, weitere Einkäufe zu tätigen. Für das Camping-Restaurant gab es ein Zwergbier, nicht ohne den Hintergedanken, den Gast ins eigene Restaurant zu locken, während weit bessere Gourmetstuben sich in Kötschach-Mauthen positioniert haben. Erinnerungen an den Zeltplatz in Ankaran kann ich nicht ganz abwehren, auch wenn der trubelige Rahmen noch übersichtlich und von etwas biederen Holzkästenmietern geprägt ist. Dadurch bleibt eine gewisse alpentypische Ruhe gewahrt, die am weiten Meer schon mal außer Kontrolle gerät.

Angeblich, so wird mir erzählt, sei ein Wellnessbereich teil des Geländes, welches auch noch geöffnet häbe. Da sogar die Küche des Camping-Restaurants zu austriatisch untypischer Zeit von 22 Uhr erst schließt, wähnte ich mich zeitig genug, noch eine Sauna-Runde einzulegen – auch wenn der Sommer ja meine Alienhäute mittlerweile reichlich belastet hatte. Zur Überraschung ließen sich die Türen aber nur per Checkkarte öffnen, die man irgendwie separat erwerben muss (Gebühr? Eignungsprüfung?). Die Dame des Empfangs hat aber die Flucht ergriffen und niemand konnte mir weiterhelfen. So schritt ich zur Speisetafel mit dem Bierbonus, wo ich das Personal vor große Probleme stellte, als ich um ein paar Stück beschreibbaren Papiers bettelte. Ausdrücklich verwies ich auch auf gebrauchtes Papier, soweit es weiße Rückseiten gäbe. Offenbar ging es weniger um den exklusiven Wert der Gabe, sondern um die Verfügbarkeit – in Zeiten digitaler mobiler Kassiermaschinen ist Schreibpapier zu einer Rarität geworden.

Do 16.7. Kötschach-Mauthen – Dellach – via R3 (Gailtal-Radweg) – Stranig – Tröpolach – Nassfeldpass/Passo di Pramollo (1530 m) – Pontebba – Studena Bassa – Passo di Cason di Lanza/Lanzenpass (1552 m) – Paularo
W: bis ca. 30 °C, schwül, anfangs heiter, danach mehr bewölkt
Ü: C Paularo 0 € (k. P.)
AE (Ristorante): Salat, Spaghetti Bolognese, Eis, Rotwein, Cafe 19,60 € (-)
89 km | 10,9 km/h | 8:12 h | 2145 Hm

Nach dem Frühstück im Kötschacher Ortskern nehme ich zunächst die Straßeroute durchs Gailtal, weil ich mir bessere Ausblicke erhoffe. Mit dem Wechsel zur Gail überzeugt die Radroute aber doch sehr. Die Bergpanoramen bleiben erhalten, zusätzlich darf man sich an der Gail erfreuen, die als übersetzt „die Schäumende“ häufig größere Flächen flutet, die den Dörfern in anderen Jahrhundert manchmal zur Last wurde, weil viele Erträge hinweggespült wurden. Heute bietet die teils gezügelte Gail reichlich Kiesbettbadeplätze, die auch mal von Campern, meistens aber von Fischern genutzt werden. Der R3 ist teils exklusiv Radweg, im zweiten Teil führt er über ruhige Straßen. Dem Radler wird einiges geboten. So sind die Gastbetriebe vorbildlich ausgeschildert, dass man nicht an den Bettungs-, Sättigungs- und Durstlöschbaracken vorbeifährt. Selbst Mitgebrachtes kann man an vielen Rastplätzen verkosten. Wer keine Luft mehr hat – im Reifen, versteht sich, die Strecke ist für Lungenatemlosigkeit zu einfach –, darf man eine der unbemannten Radservicestationen benutzen, die über wichtigste Werkstöcke verfügen.

Meine Route verschlankte ich hier wesentlich, nachdem das Ende meiner Reise mal wieder zu früh auf mich zulief, während ich noch viele Reiche nicht erschlossen hatte. Die Route zur Straniger Alm hinauf mit Anschluss zur Lanzenpass-Straße zur anderen Seite des Karnitischen Kamms ist zwar mit Daten ausgewiesen (auch der Übergang nach Italien), aber ausdrücklich mit dem Hinweis „schwer“. Dieser Hinweis richtet sich weniger an Reiseradler als mehr an Mountainbiker. Angesichts meines Fahrmaterials erwies sich bereits die Bodenprobe im untersten Bereich als extrem schwierig und kraftraubend, sodass ich die angegebene 890 Hm für mich als nicht machbar einordnen musste. Es wäre eine langatmige Qual geworden, soweit ich sie überhaupt hätte überstehen können. Ohne weitere interstellaren Zusatzantriebe ist dieses Projekt nicht für Aliens machbar – so muss ich meine Prognose abgeben.

Ich traf eine Erdenfrau, recht sportlich auf der Straße, aber mit Mountainbike, die ich gleich zum Thema interviewte. Offenbar hatte aber auch sie diese Wege noch nicht befahren. Ihre Anwesenheit motivierte mich aber, nochmal den Versuch an einer zweiten Auffahrtstelle zu wagen, die keine Hinweise für Radler unten vermerkte. Diese Piste war noch grobschottriger, und obwohl zunächst etwas weniger steil, eher noch unfahrbarer – soweit solche Abstufungen von unfahrbar erlaubt sind. Mir fiel so ein Last von den Schultern, denn durch die nun zu verändernde Route musste ich zwangsläufig einige weitere heikle Projekte des Karnitischen Kamms kippen. Das konnte meinen Genussporen nur förderlich sein.

Die Straße zum Nassfeldpass beginnt im völlig unscheinbaren Tröpolach. Zum ersten Anstieg befindet sich ein große Kaskade, die aber künstlich betoniert wurde und nun als Klettertrainingsrevier für Abenteuergruppen dient – in diesem Fall für den Nachwuchs. Wie die Autobeschriftung zeigt, steckt hinter diesem Abenteuertourismus für Zwerge ein Hotel auf den Berghöhen. Die Spaßparkkultur spiegelt sich dann auch auf der Passhöhe wider, wo sich zahlreiche Skitourismusverbauungen platziert haben, einschließlich eines großen Intersport-Ladens. Erfreulich ist aber, dass man auf den letzten Höhenmetern erkennt, wie sich die Versuche der Bergverschandelung der Majestät der Berge beugen müssen, weil sie sich unter den voll entfalteten Gipfelketten mit herrlichen, steil aufschießenden Almwiesen zu Spielburgen zwerghaft verkleinern.

Die Passstraße ist zwar in besserem Zustand als der Plöckenpass zur Kärntner Seite, deutliche Verwitterungsspuren mit rissigem Asphalt finden sich aber auch da und dort. Der Bergbach ist schon so verbetoniert und verstahlt, dass dies wieder zur pittoresken Kaskadensehenswürdigkeit wird, wie an der Nikolo-Brücke. Hier sind, ähnlich wie an der Kölnbreinsperre gesehen, stählerne Messsysteme in den Fels getrieben, um den Berg zu überwachen. Dem alpinen „Überwachungsstaat“ entgeht nicht mal die Fließgeschwindigkeit, die mit Messinstrumenten von oben wie von unten erfasst werden. Wohl fürchtet man Schmelzwasser- oder Bergsturzlawinen, die – so könnte es sein – der Mensch durch die Verbauungen oben als Wintersportgebiet „Nassfeld“ selbst mitbefördert. Der Erdenmensch, er weiß sich vor sich selbst zu schützen – manchmal.

Die kleine Hochfläche beim Pass mit See nutzen auch noch die Italiener für ein paar Gasthöfe. Die Anbindung nach Süden ist allerdings sehr verwegen. Nicht nur ist der Pass dort noch steiler als zur Nordseite (es war nicht leicht), sondern sind auch die Kehren verwinkelter, die Geröllfelsen sturzgefährdet, die eingehauen Tunnels weder breit noch hoch, während es zur andere Seite gesicherte Lawinengalerien gibt. So ist der Verkehr hier sehr gering, nur ein paar Motorbiker nutzen das Kurvenlabyrinth, um riskante Bergstraßenpunkte zu sammeln. Der infrastrukturelle Anschluss des Nassfeld-Gebietes scheint, so der Eindruck, sowohl für den Wandersommer als auch für den Skiwinter ausschließlich über die österreichische Seite gewährleistet. Dem Alien, so ist klar, gefällt diese wild zusammengewürfelte Unordnung einer verfallenden Militärstraße weit besser, auch wenn sich kaum Blumen oder Pflanzen hervorwagen. Zu den unerschrockenen Schuttpflanzen gehören einige Büschel Himbeeren, die unerwartete Köstlichkeiten am Stiel servierten.

Pontebba lässt sich vom Nassfeldpass aus am besten aus der Vogelperspektive betrachten. Es ist der einzige Ort, den ich auf dieser Reise mit dreifacher Aufmerksamkeit bedenke. Der sicheren Wiederkehr gewiss, meide ich den Stadtkurs, sondern zweige gleich ins Tal der Pontebbana ab mit dem Passo del Cason di Lanza als Gipfelpunkt. Wieder spielt der Himmel in der zweiten Tageshälfte Trauerspiele und so bleibt in diesem Tal manches Leuchten aus, welches ihm eigentlich anbestimmt ist. Nicht breit, aber doch ausreichend Platz für saftig grüne Almwiesen, eine verstreute Würfelung von Häusern, ein blau aufschimmernder Flusslauf und ein ocker unterlegtes Wasserfallspiel sind Merkmale des unteren Bereichs, wobei sich auch ein paar Badestellen finden lassen – besonders attraktiv sind die bei den Wasserfällen, wozu man die Straße aber ein paar Meter weit über eine Weide verlassen muss.

Der obere Teil ist wortwörtlich als gehoben zu bezeichnen – will sagen, es melden sich die Zoncolanischen Steigungsstufen zurück. Es ist in diesem Falle günstig für die Menschenkinder, dass sie Tal und Bergwelt des Passes nur spärlich besuchen, wie es die einstellig ermittelte Anzahl der fahrenden Autos vermittelt, denn des Aliens feucht-körperliche Ausdünstungen erreichen im festen Aggregatzustand die Stärke der Bad Reichenhaller Salzstollen. Zum Glück gibt es die dermitischen Verdampfungsprozesse, die aber die Wolkendecke des Abends nur noch mehr verdunkelten. Die oberen Bereich muten geheimnisvoll an, mit Hochmooranleihen aus saftigem Goldgrüngras, auf dem dunkelgrüne Fichten solistisch und in kleinen Hainen zapfige Walzerkreise tanzen.

An der Passhöhe erheben sich aus Norden Felswände, vor denen der Bergbauernhof mit Gasthaus liegt. Trotzdem verweigern sich weitere Ausblicke. Der Lanzenpass ist ein besonderer Radskulpturenpass, der dem Rad des Rades gewidmet ist. Das unscheinbare, leicht vermoderte Giro-Denkmal auf der Passhöhe besteht im Kern aus einem Laufrad und einer rosafarbenen Schnur – dem rosa Trikot für den siegreichen Heroen der Italienrundfahrt zugedacht und ähnlich deren verblassenden Ruhm im Wettbewerb der Pillen und Spritzen in seinem farblichen Glanz deutlich ausgebleicht. Noch glanzvoll hingegen brilliert die Drei-Räder-Skulptur auf der oberen Ostrampe, im Buchenwald gelegen, die dem karantanischen Geist huldigt – zumindest einem Teil, nämlich der italienischen-österreichischen Freundschaft im Verbund des europäischen Geistes (Bild vgl. auch E.1).

Es ist nicht nur der trüben Witterung geschuldet, dass die aufregende Abfahrt zur Westseite etwas glanzlos in den Bildern blieb. Die Auffahrt hatte mal wieder alle Reserven der Alienmuskeln aufgezehrt und zog sich entsprechend lang hin. Nun erreicht die Dämmerung die ohnehin recht schattigen Halbschluchten. Die Straße, zwar für den Giro 2013 stellenweise hergerichtet, ist ein welliger Flickenteppichen, mit Weidegittern zusätzlich erschwert, ein Licht-Schatten-Wechselspiel, nun nochmal erschwerend abgedunkelt. Eine launige Fahrt ist es schon, aber kein Kinderspiel. Auch stellen sich einige Gegenanstiege dem Abwärtsfluss quer, nicht steil, aber langatmig. Auffällig, diese in Gegenrichtung abwärtigen Passagen, sind besser asphaltiert. Dies erklärt sich aus dem auch in Gegenrichtung gefahrenen Giro, weil in der Aufwärtsbewegung auch die filigranen Rennräder mit den schlechteren Bodenverhältnisse noch zurechtkommen. Abwärts – so ist klar – wäre die Straße eine Basis für eine stürzendes Fiasko einer Radsportveranstaltung. Eigentlich verbietet sich Sport hier generell. Ganz anders als der Zoncolan ist es ein landschaftlich überragender Pass, der für leidensfähige Genießer modelliert wurde. Die Trasse windet sich immer wieder eng an Felsen vorbei, zur anderen Seite schützen verbogene und verrostete Leitplanken vor Abstürzen in herb abfallende Waldhänge, wo man sich unterhalb einen Bergfluss mit einer Schlucht mit überhängenden Felsen vorstellen muss. Die Schlucht lässt sich begehen, erfordert aber mindestens weitere 1,5 Stunden Exkursion, erinnert in den Abbildungen oben an der Straße ein wenig an die Cares-Schlucht im fernen Asturien.

Der Camping liegt in Paularo etwas abseitig und unterhalb des Ortskerns, kaum ausgewiesen, und ohne erkennbare Rezeption. Vermutlich wäre eine Minigolfplatz oberhalb zuständig gewesen, was sich mir aber nicht vor Ort erschließen wollte. Bei den Essstuben besteht in Paularo noch Nachholbedarf. Aber, wie ja schon vortags bemerkt, ist Paularo ein beschiedenes Bergdorf, in der der Gourmet-Italiener keine Heimat gefunden hat und sogar die Bankomaten von der Armut infiziert sind. Es liegt mir aber daran, diesem Ort einen Besuch anzuempfehlen, denn die Gastfreundschaft scheint auf ausgeprägtem karantanischen Geist geprägt.

Musik: Das friaulische Trio Altrioh widmet sich den italienischen Folk-Wurzeln und auch speziell dem furlanischen Liedgut und experimentiert dabei mit verschiedenen elektronischen Modernisierungen. Hier treffen sie auf Aniada a Noar aus der Steiermark, die gleichwohl den folkloren Wurzeln huldigen. Eine spaßige Begegnung, die alte karantanische Traditionen und Regionen verbindet: Aniada a Noar/Altrioh „Bocca di Rosa (Fabrizio de André)“ (6:21 min.)

Bildergalerie Kap. VII (195 Bilder):



Fortsetzung folgt
Liebe Grüße! Ciao! Salut! Saludos! Greetings!
Matthias
Pedalgeist - Panorama für Radreisen, Landeskunde, Wegepoesie, offene Ohren & Begegnungen

Geändert von veloträumer (23.02.23 16:16)
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#1177083 - 15.12.15 18:28 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: veloträumer]
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KAPITEL VIII
Die Alpe-Adria-Radautobahn connected by sideway channels:
Friulanisches Endspiel Tarvisiano – Udine


Das letzte Kapitel ist zu einem kleinen Gemischtwarenladen geworden, soweit ich auch nicht alle Wertungspunkte der Tour erreichen konnte. Tolmezzo ist noch ein Hauptort Karniens, das Àupa-Tal ist aber schon dem Tarvisiano zuzuschlagen. Das Tarvisiano war auch schon Teil des 3. Kapitels, dort aber als Rückseite des Triglav-Nationalparks, der nur deswegen nach Norden begrenzt ist, weil dort die Landesgrenze verläuft. Andere Teile des Schlusstages würden auch ins 6. Kapitel passen, insbesondere die Weingebiets-Beradlung der nördlichen Colli Orientali nochmal und Udine müsste eigentlich in einer erweiterten Tour etwas zu einem neu gedachten Kapitel zur friulanischen Ebene beitragen. Auch stand zur Diskussion, den Regional-Beamer in Tarvisio zu starten, was aber einige, recht komplizierte Verwicklungen ergeben hätte und zum Ausschluss von Udine geführt hätte, was wiederum Teil des Forschungsauftrag sein sollte.

Fr 17.7. Paularo – Tolmezzo – Moggio Udinese – Val Àupa – Sella di Cereschiátis (1066 m) – Studena Alta – Pontebba – via CAAR – Ugovizza – via CAAR – Sella di Camporosso (816 m) – Valbruna – Val Saisera – Malga Saisera – Valbruna – Ugovizza – via CAAR – ~Pontebba
W: bis ca. 30 °C, schwül, diesig, meist sonnig, windig
Ü: C wild 0 €
AE (Ranzo, Valbruna): Tagliatelle m. Garnelen, Hirschgulasch m. Polenta, Zucchini, Pannacotta, Rotwein 29,50 € (***)
111 km | 13,5 km/h | 8:08 h | 1425 Hm

Das Incaroio-Tal, auch Chiarsò-Tal genannt, verlasse ich diesmal über die flottere Talstraße, die – wie schon erwähnt – weniger reizvolle Momente liefert als die Dörferstraße oberhalb. Tolmezzo ist ein willkommener Verpflegungsort mit einer opulent bestückten Früchtehalle und besonderen Gebäckspezialitäten. Amaro darf noch auf die größere Felskulisse gegen Norden verweisen, danach bleibt die Sicht meistens im Schatten der Nordberge stecken. Rennradler werden zur Brücke nach Carnia (Ort) abzweigen müssen. Das gilt auch für die offizielle CAAR-Route, die hier nicht als Radweg ausgebaut ist und auf der SS 13 bis Resiutta abgeradelt werden muss, oder alternativ für diese Route hier mit Brücke retour nach Moggio Udinese. Dabei ist die Staatsstraße durch die ebenfalls taleigene Autobahn entlastet. Die Benutzung der Staatsstraße ist die Empfehlung der CAAR-Verwalter und wird so in Pontebba auf einer Litfasssäule angezeigt. Alternativ ist aber auch eine Schotterstraße machbar, wobei die Qualität mittelprächtig ist, aber breitere Straßenreifen ausreichend sind. Diese Schotterstraße (geringer lokaler Autoverkehr) befindet sich auf bereits beradelter Seite – es braucht also keine Brückenquerung über die Fella. Der Abzweig liegt unmittelbar dort, wo es den Brückenabzweig nach Carnia gibt.

Auf Schotter gibt es kleine Passagen mit wildwuchernden Büschen, die ein schattiges Dach bilden, aber meist brennt die Sonne hinein und wird vom weißen Kalkstein grell zurückgeworfen. Die Fella liegt manchmal ganz frei zur Rechten als glitzerndes blaues Band und bildet manchmal Badeplätze – hier alles ähnlich zu Tagliamento, in den die Fella nur wenig unterhalb mündet. Einige Male, mit sehr kurzen, aber auch mal giftigen Steigungen, wechselt man die Seiten zwischen Hanglage und Flussroute, bzw. tauscht die Position mit der Autobahn. Ein reizvolles Tal mit blau- bis smaragdfarbenen Lagunenbadeplätzen und Gumpen zieht sich entlang dem Glagno, den man an seiner Mündung über eine Brücke überquert, die oberen Teile sind per Stichstraße erreichbar, vermutlich allerdings nur unter zusätzlichen steilen Fußabstiegen von der Straße zum Fluss.

Moggio Udinese ist mehr ein ruhiger Wohnort als ein Einkaufszentrum, auch der CAAR-Tourismus wird hier nur bedingt genutzt, weil eben nicht an der Hauptroute. Das Àupa-Tal, wieder zu beiden Seiten des Passes so bezeichnet, ist ein ziemlich steiniges, geröllhaftes Flusstal, in dem fast alle Kaskaden verbaggert und betoniert wurden, um der Wildnis ein Ende zu bereiten. Die Felsenwelt lässt sich aber ihren strahlenden Glanz nicht nehmen, der die unteren Teile beherrscht. Man kommt kaum an den Fluss, nicht weil zu hohe Ufer, sondern wegen der ungünstig geschaufelten Blocksteine einerseits und der permanenten Leitplanken, deren Sicherheitsdiktat für ein solch einsames Tal unangemessen scheint. Die oberen Passagen tauchen in Wald ab, wie auch die Passhöhe nur ein kleines Aussichtsspalier noch Osten zulässt. Die Ostrampe unterscheidet sich deutlich mit weiten Almwiesen und herrlichen Bergkulissen, auch gibt es eine typische, wenn auch spärliche Verteilung von Almen oder kleineren Bergsiedlungen.

Pontebba, zum Zweiten – jetzt mit Ortsdurchfahrt. Unübersehbar ist Pontebba zu einer Radlerschnittstelle geworden, unterschiedlichster Radlertypen – viele auch mit Gepäck, kreuzen die Ortsachse. Die meisten, gewiss, bewegen sich auf dem Alpen-Adria-Radweg. Zusätzlich bildet Pontebba natürlich auch das Drehkreuz heute und vortags gefahrener drei Pässe und bietet sich mit weiteren Varianten als vielfältiger Basisort für ambitionierte Tagestouren an. Das Radlerleben tut Pontebba wirtschaftlich gut, aber die Transitachsenlage ist vielfältiger, was sich unschwer an zahlreichen Schienensträngen des Bahnhofs und dem Brückengewirr der Straßen erkennen lässt. Die Experimentalforschung zum CAAR fällt hier weitgehend mit positivem Urteil aus, bis auf eine etwas verwirrende Wegführung aus Pontebba raus oder dort hinein. Es bietet sich ggf. an, die östlichen Meter vor Pontebba über Straße zu fahren. Sonst aber bietet der CAAR ruhiges Radeln, natürlich nicht Stille – dazu ist das Tal zuviel Verkehrsachse. Abschließend ist nicht einmal alles zu bewerten, denn einige Teile waren noch nicht fertig gestellt. Mancher Schilderwald könnte bescheidener ausfallen – hier sind aber internationale Schilder-Regime wohl auf breiter Front in Europa zu mächtig. Auch gibt es mal eine Extraleibungsübung mit Rad-in-die-Hand-nehmen mit Treppenlauf – so allerdings erst am nächsten Tag südlich Pontebba vorgefunden. Ein bisschen schwach ist die Ausschilderung der Gastbetriebe und einige Orte laufen Gefahr, durch das Vorbeigeleiten von radtouristischen Erträgen ungerecht abgeschnitten zu werden – etwa Malborghetto, das zur anderen Talseite liegt und kaum ausgeschildert ist (Brücke ist aber da).

Das durch die Straßen etwas unschön zerschnittene Tal quert man auf dem CAAR mal zur Nordseite, mal zu Südseite. Picknickplätze sind vorhanden, wobei ich einen davon als Notschlafplatz missbrauchte. Auch Brunnen liegen an der Strecke, aber seltener als erwartet – da wäre mehr drin gewesen. An den Kulturinformationen könnte noch gearbeitet werden, insbesondere an der schon eingangs kritisch reflektierten Ignoranz gegenüber den Besonderheiten des historischen Alpen-Adria-Raumes und seiner karantanischen Wurzeln, was dem Namensetikett mehr Substanz verleihen würde. Die wissenschaftliche Exposé des CAAR wäre nicht komplett, wenn der Hinweis auf die Zählstationen fehlen würde. Eine solche befindet sich kurz nach dem Sella die Camporosso, ein kaum wahrnehmbarer Sattel dieser fast ebenen Gleitstrecke. Der Digitalzähler wurde in einem riesigen Holztor verbaut und lässt sich schlecht manipulieren, wie ich durch Hin- und Herschieben des Rades versucht hatte. Der Zähler beharrte darauf, mir nur eine Wertung zuteil werden lassen, hatte ich doch darauf gehofft, als Alien mindestens das doppelte Zählgewicht verdient zu haben.

Mit dem Blick auf Camporosso wendete ich mich zur Umkehr und dem Val Saisera via Valbruna zu. Ähnlich wie am Vortag überrennt mich aber die Dämmerung und lässt das Erlebnis im eindrucksvollen Felskessel ziemlich abgedimmt zurück. Die Straße ist zwar nicht extrem steil, muss aber in ein paar steileren Schüben auch erstmal bewältigt werden. Unten ausgewiesen, gibt es Straßenverlauf fünf Parkplätze, was auf die große Beliebtheit als Wanderrevier deutet. Der unterste bietet elementaren Campingfunktionen für Wohnmobilisten, am obersten sammeln sich abends die Sonnenuntergangs- und Sonnenaufgangsgenießer, was zu einem geisterhaften Sprachgewirr an einem vermeintlich einsamen Ort führt, obwohl man in der Dämmerung kaum jemand sieht – nur die weiß abstrahlenden Autos. Bereits zur Mitte hin hörte ich große Stimmenvielfalt von einem wilden Zeltlager, zur anderen Seite tobten mit Stirnlampen Motocrossfahrer durch Steingeröllfelder. Im Zwist über ein eventuell berauschendes Erweckungserlebnis am Morgen oder einem köstlichen Abendmahl entschied ich mich für das Ess- und Trinkbare, für das ich nochmal bei Dunkelheit ins Tal runter musste.

Sa 18.7. Pontebba – Dogna – Sella di Sompdogna (1392 m) – Dogna – Chiusaforte – Resiutta – Val Resia – Sella Carnizza (1092 m)
W: bis ca. 32 °C, teils windig, sehr sonnig
Ü: C wild (Baita Botton d'Oro) 0 €
AE (dito): Gnocchi m. Käse, Salat, Hirschgulasch m. Polenta, Rotwein, Cafe 23 € (-)
80 km | 11,2 km/h | 7:07 h | 1850 Hm

Als ich in Pontebba frühstückte, näherte sich mir ein Alienfreundin aus Villach, ganz von meinen Grüntönen überwältigt. Ich musste ihr Modell stehen und es ist nicht ausgeschlossen, dass sich mein Alien-Porträt in Carinthia verbreitet hat. Gegen diesen karantanischen Geist kann ich natürlich nichts einwenden und stelle mich so gerne der Alien-Werbeaktionen zur Verfügung. Es lässt sich kaum vermeiden, dass man weitere Radler trifft oder kreuzt, wie den Italiener, der sich talabwärts mit magerem Gepäck nach Grado bewegte. Ich hätte ihn weiter begleiten können, wenn ich nicht meiner Aufgabe zu fotodokumentarischen Arbeiten betraut gewesen wäre. Auch wäre es nicht mehr weit gewesen zur Trennung der Wege.

Das Val Dogna ist vom Canal del Ferro (Eisental) fast abgeriegelt. Erst nach einem Tunnel wird klar, dass hier noch ein weit reichendes Tal liegt, dessen Faszination gleich in den untersten Etagen seinen Anspruch auf Extraklasse anmeldet. Die Gebirgskulisse ist überwältigend, die Trasse der ehemaligen Militärstraße verwegen bis brisant, kehrenreich in Fels gehauen, wenn auch nicht mehr überall original geführt und auch deswegen wohl in der Asphaltqualität deutlich besser als etwa der Lanzenpass. Es gibt einige museale Reste aus Kriegszeiten wie etwa die mächtigen Betonpfeiler einer ehemaligen militärischen Bergbahn. In einigen Felsnischen der Kurven finden sich Wasserfälle, davon eine mit badegerechten Gumpen auf mehreren Etagen. Nicht nur hier ein Fest für nackte Aliens. Die Versorgung ist über einige Gasthäuser möglich, auch mit Nachtlagern, wobei sich die zwei beliebten Wandertreffpunkte auf die oberen Bereiche konzentrieren, eine davon das Rifugio Grego leicht oberhalb der abschließenden Passhöhe. Der weitere Weg ist per Wanderstiefel oder Mountainbike abwärts ins Val Saisera möglich (also dem Ort des Vorabends). Die Recherchen sagten, von Reiseradquerungen abzusehen, wobei weder unten noch hier oben sich eindeutige Hinweise finden, wie gut die Strecke radelbar wäre oder nicht. Aufgrund der Bewaldung ist es aber eher eine logistische Luxusfrage, die Bergszenarien sind mit beiden Stichrouten erschöpfend mit den befähigsten Malstiften gezeichnet.

Es war ein Tag der heißen Luft, wobei das sehr wörtlich gemeint ist. Das Canal del Ferro bleibt zwar noch schmal eingerahmt wie einem Kanaltal zugestanden, weitet aber schon mal die Kiesbänke des Flusses oberhalb von Chiusaforte. Für die Autobahn hat man mehrfach stereophile Löcher in den Berg gestochen, was wieder eigene Reize schafft. In Chiusaforte herrscht großer Müßiggang, ein dem sanften Charme einer provinziellen Armut – leicht fällt es dem Unbeteiligten die ärmliche Entschleunigung höher zu bewerten als die kommerziell erfolgreiche Geschäftigkeit. Wieder sehe ich Teile des neuen CAAR, verpasse aber die Auffahrten – da könnten noch mehr Verbindungen zwischen Straße und Radweg hergestellt werden. Resiutta hat sich jedenfalls bereits mit Gastbetrieben auf die radelnde Meute der moderaten Alpenquerer eingestellt.

Das Val Resia beginnt in der ersten Kehre mit beliebten Badestellen, grün leuchtende Vertiefungen bieten jugendlichen Felsspringern die geeignete Tauchwanne. Lieblich leuchtet das Tal dann in Silbertönen, die den Fluss als Buschwerk fast komplett verdecken. Das Tal lockt noch weiter zu fahren, der Ort Resia hingegen liegt über dem Tal, nicht einsehbar. Auch am Abzweig zum Sella Carnizza sind nochmal Badestellen mit Blocksteinromantik besucht. Der Fels rückt nun näher und der Alienmuskel wird nochmal gefordert. Eine letzte Zwischenebene wird von wenigen Familien bewohnt – dort findet sich ortsausgangs der Wanderwegabstecher zum Wasserfall Barman mit einem großen Pool. Die Wanderung dorthin musste ich der fortgeschrittenen Tageszeit allerdings opfern.

Es war intuitiv die richtige Wahl, den Carnizza-Pass noch in den Tag zu packen und nicht zu döselig den Tag in Resia zu beenden. Ich hatte es nicht wirklich erwartet, aber der Sella Carnizza zeigte nun auf den letzten, bewaldeten Kilometern die Zähne eines Mörderhais. Das Straßenschild begnügt sich mit 12 % – doch die Zoncolanischen Kategorien sind hier nochmal voll wirksam. Wir wissen ja mittlerweile, dass die Vermesser auf dem Erdenball nicht immer die besten sind. Es gab zwar keinen Brunnen an dem Aufstieg , das war – zumindest für evtl. folgende Erdenmenschen – nicht nötig, produzierte ich doch reißende Flutbäche von gesalzenem Alienwasser, welches das Tal noch tagelang geflutet haben dürfte.

Auch diesmal war die Dämmerung eingefallen, als ich die Passhöhe erreichte, die recht weitläufig die einzige Versorgungsmöglichkeit durch zwei Almwirtschaften bietet – allerdings ohne Übernachtungsgelegenheit. Ich suchte wohl wieder instinktiv einen Alienfreund, auf dessen Hüttenterrasse eine kleine Festgemeinde tafelte und mir zunächst bei den Mahlzeiten nur geringe Achtsamkeit einbrachte. Ohne die Kochkünste loben zu können, bot mir der Almwirt aber seine Weiden als Zeltstatt an – und zwar direkt neben einem Lamborghini. Ich hatte mal von Erdenbürgern vernommen, dass es sich dabei um besondere Fahrwerke handeln soll. Also ein Ehrenplatz.

So 19.7. Sella Carnizza – Uccea – Passo di Tanamea (851 m) [24] – Vedronza – Zomeais – Tarcento – Sedilis – Nimis – Zompitta – Ribis – Udine [22:45 h || per DB-Beamer || Green Devil Mo 20.7. 10:10 h]
W: bis ca. 36 °C, sehr schwül, sonnig bis sonnig, teils sehr diesig
AE (R Odeon): Spaghetti m. Muscheln/Garnelen, Rinderfilet m. Steinpilzen, Ciocoletta Vesuvio, Cafe 41,70 € (****)
72 km | 15,0 km/h | 4:35 h | 520 Hm

Der Almweiler am Carnizza-Pass ist nur teilweise nachts belebt, die meisten verlassen die Häuser zur Nacht, so auch der Wirt der Baita Botton d'Oro. Der Name der Hütte bezeichnet die Trollblume, die auch als Goldköpfchen bekannt ist. Es muss eine Fügung mit karantanischem Blumenzeichen zum freundlichen Abschied gewesen sein, dass ich an solchem Platze ausgerechnet am Tag der Abreise nächtigte – noch dazu der Morgen sich gleichermaßen golden sonnig zeigte. Die Abfahrt ist halblicht mit wechselnden Baum- und Wieseneindrücken, eine Schlucht liegt zu fern unten, um sie begutachten zu können. Uccea wirkt verlassener als ich vermutete und es ist unwahrscheinlich, dort Kaffee oder Mahlzeiten gereicht zu bekommen. Ein schneller Weg zu Infrastruktur würde wegführen westlich nach Bovec in Slowenien, das Tal dort hin wirkt recht dicht belaubt ohne große Ausblicke.

Zum Tanamea-Pass fährt es sich angenehm bei mäßiger Steigung durch lichten Wald, ein wenig Bergbachblick nach unten. Zuoberst wiederum eher verlassene Gebäude – vielleicht gibt es zu besseren Zeiten eine Einkehrmöglichkeiten. Immerhin sind einige Wanderer unterwegs, wie auch bei einer weiteren Anlage auf der Westseite, wo man sich eher einen Gasthof vorstellen kann, wenn auch hier geschlossene Türen nicht richtig erahnen lassen, worum es sich nebst Forstverwaltung dabei noch handelt. Das Tal entblößt sich nun als Felsenmeer mit Bergkulissen und zuweilen gleißend hellen Geröllböden, auf denen sich einzeln gesetzte Kiefern verteilen und ein mediterranes Flair unter Himmelazur verströmen.

Erst beim Abzweig Musi, schon recht weit unten, ist ein erster erkennbar geöffneter Gasthof zu finden. Unmittelbar dort befindet sich eine Kluse, die ein kleine Schlucht einleitet, dann sich wieder als breiteres Bergwiesenland mit Buschwerk weitet, mit einigen gut gesuchten Badestellen. Der erste klein Ort, mit Tankstelle und zwei Bistros, ist Pradielis, wo ich nebst italienischen Rennradlern ein kleines Frühstück finde. Nochmal Käse und Joghurt der Zore-Alm gibt es sogar im Sonntagsverkauf direkt an der Straße ausgangs Vendronza, wo sich weitere Badestelle in ein Nebental rein finden. Schon nur wenig weiter schließt sich der Kreis zum 6. Kapitel mit der Verzweigung nach Villanova. Die Badestellen des Fiume Torre in der Nähe der Brücke in Zomeais sind mit Rad auch schiebend nicht zu erreichen, sodass ich eine etwas mückenreiche Nischenalternative in einem Nebental vorziehe.

Die Schwüle des Tages lässt weitere Ambitionen für die Alienmuskeln erschlaffen. Kaum mehr als ein guter Kilometer, schleppe ich mich in Tarcento zu einem Café mit selbstgemachten Eis. Die Kühlung hält allerdings nur wenig vor, das Eis schmilzt bereits während des gierigen Schleckens. Da die Ebenenstrecke keinerlei Schatten verspricht, entscheide ich mich doch noch zu einer Hügelfahrt, die gleich unter dichtem Buschwerk, allerdings auch mit heftiger Steigung beginnt. Eine kleine Passage ist sogar nur schiebend zu überwinden – es sind die letzten Hechelzungen der Reise, die ich zu vergeben habe und sie sind jenseits der fahrbaren 5er-Grenze. Erheitert wird die kleine Rampenfahrt durch bemalte Häuser, auf einem dieser ein zwergiger Kletterer mit Seilzeug versucht den übermächtigen Busen einer Frau zu erklimmen. Ich fühle mich dem Kletterer gleichgestellt, obwohl ich die verheißungsvolle Wonnebrust des Weinberges nicht finden kann.

Das streng begrenzte Ramandolo-Anbaugebiet (es werden aber auch noch andere Weine produziert) beschreibt nochmal eine kleine Hügelwelt, die aber dem Collio des Goriska Brda landschaftlich nicht ebenbürtig sein kann – schön ist es aber auch. Im Gegensatz zu Slowenien, ist es schwer, Weinproben mal so nebenbei zu finden. Es gibt fixe Besuchszeiten, nicht mal der Weinverkauf wird von den Winzern flexibel gehandhabt. So ist es sonntags nahezu unmöglich, direkt bei einem der Winzer reinzuschauen. Die einzige Weineinkehr bietet ein Agriturismo-Betrieb, der aber mehr eine klassische Gaststätte ist – eine Weinprobe mit Erläuterungen gibt es auch hier nicht. Stattdessen kann man sich die Hausweine mit einer Vesper aus gutem Schinken reichen lassen – alles zu regulären Gastronomiepreisen, versteht sich – von dem persönlichen Charme ein Probe hat das aber wenig. Ich erwerbe schließlich einen Ramandolo als kleine, güldene Forschungsprobe für die Green Devil.

Nun ist es unvermeidlich, durch ebene wie offene Sonnenblumen- und Maisfeldlandschaften zu fahren, aus denen überall die typischen Campanile der herausragen. Die Landschaft hat in der milden Abendsonne ihren speziellen Reiz – eine ländliche Gelassenheit, ein untrüglicher Goldglanz. Es gibt eine weites Kanalsystem zur Bewässerung, das bis in die Stadt Udine reinreicht – dort als erfrischende Klimaanlage gedacht, was sich zusammen mit den Schattenbäumen auch gut verwirklicht. Die lebenswerten Außenbezirke stehen im Zeichen studentischer, multikultureller Bewohner, alles ist äußerst gepflegt. Den Eindruck bestätigt auch die Altstadt, wo nur noch selten Kanäle offen liegen. Die gesamte Altstadt ist für Radler ein mittlere Hölle, da es nur Pflastersteine gibt. Meistens kann man zwischen zwei Arten Pflaster wählen – die Demokratie der Hölle. Obwohl man in Italien schon mal sonntags geöffnete Läden finden könnte, beschränkt sich das in Udine auf einige Allzweckläden im Bahnhofgebiet, das fest in der Hand internationaler Drittlandbewohner ist – vor allem Afrikaner und Inder und ein paar andere Asiaten. Hier verirrt sich allerdings kein Ureinwohner Karantaniens – als wäre es eine komplette Fremdzone. Einzige Fressbuden sind Fastfood-Baracken aus Amerika und China.

Erstaunlich dünn ist die Anzahl der Restaurants um die große Piazza und dem südlichen Altstadtkern. Von den hübschen Trattorien, die ich bei der Einfahrt genüsslich sah, sie aber ausschlug, um mir zunächst den Weg zum DB-Beamer zu optimieren, fand ich alsbald nichts mehr wieder. Die Udineser sitzen an Plätzen und schauen und trinken Kaffee, Grappa oder Aperol-Spritz – eventuell stochern sie auch in einem Eis herum, wobei es vielfach um den Wettbewerb um den langsamen Genuss geht, den es gilt mit möglichst vielen Worten zu begleiten. Gemessen an den Möglichkeiten, die Trieste bietet, ist hier fast provinzielle Leere und Stille. Die Gebäude bilden eine durchaus formidable Kulisse, jedoch ohne großes Theater – eine recht unitalienische Großstadt. Es ist eben Karantanien, in dem leise und gut gelebt wird, fast ein bisschen schweizerisch – auch immer etwas geheimnisvoll. Das Furlanische soll ja dem Rätoromanischen ähnlich sein. So finde ich doch noch eine versteckte Laubenecke, hinter der sich ein Tempel mit kostbar mundenden Gerichten befindet. Es soll halt nicht jeder sehen, welchen Genüssen man sich hingibt.

„studi-RAL-verde an speichen-08/15-kracher: Forschungsauftrag ‚Das ehemalige Königreich Karantanien in der republikanischen, nationalstaatlichen Neuzeit in seinen bergigen und marinen Rad-Perspektiven einer kapriziösen Naturwunderwelt als europäisch wegweisendes Kontinuum transkultureller, friedlicher Koexistenz vielsprachiger Volksgruppen der historischen wie modernen Alpen-Adria-Region unter spezieller Berücksichtung von visuellen, poetischen und gastronomischen Genussmerkmalen’ beendet. Letzte vulkanische Dessertpartikel in Speiseröhre. Bitte um Wiederaufnahme auf die Green Devil mit DB-Beamer, Lokalsegmentkennung Udine Stazione!“

„speichen-08/15-kracher an studi-RAL-verde: Irdische Bankomatenlizenz abgemeldet. DB-Beamer geschaltet. Keine Wartezeit vorhanden, sofort Beamer-Station aufsuchen! Beamer arbeitet im unsichtbaren Nachtphasenmodus. Erwarte ausführlichen Forschungsbericht über Karantanien! Good luck and welcome back on Green Devil!“



Studiae extensii abgeschlossen.
„Leiht mir neue Wörter,… drei, vier Wörter und sonst nichts…“ (vgl. Eingangszitat) – nun, das Angebot geliehener Wörter war doch etwas größer als erwartet. Melde mich daher nochmal mit einer komprimierten Schlussbetrachtung. Auch eine weitere Abteilung der Green Devil soll noch eine Nacharbeit angemeldet haben.

Musik: Der Triester Jazztrompeter Enrico Rava hat sich als einer der großen Stilikonen im Gefolge von Chet Baker und Miles Davis platzieren können und schafft berührende Stimmungen mit dem Horn. Hier im Quartett ebenso sensibel begleitet von Stefano Bollani, p, Giovanni Tommaso, b, und Roberto Gatto, dr – der Hauch des Sommers auf der Haut: Enrico Rava „Profuma Di Donna” (5:04 min.)

Bildergalerie Kap. VIII (112 Bilder):



Fortsetzung folgt
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Matthias
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Geändert von veloträumer (23.02.23 16:17)
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#1177084 - 15.12.15 18:30 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: veloträumer]
veloträumer
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SV.0 Sonderveröffentlichung digi.mappus.carantaniäs aus dem Büro für interstellare GeoNaviStäsie auf der Green Devil

Da die Erdenbewohner gerne mit Spielzeug arbeiten, die Wissen und Informationen simplifizieren und degenerieren, seien für die irdischen Kinderhorte auch noch die digitalen Trackspuren der Forschungsreise übermittelt. Die verfügbaren digitalen Transfer-Systeme arbeiten nicht fehlerlos, eine Verantwortung können die Mitarbeiter des Büros daher leider nicht übernehmen. Es wurden nicht alle Schlenker eingegeben, Wanderrouten nicht berücksichtigt und auch sonst muss man Abweichungen von der Realspur in Betracht ziehen. Die Rechendaten des Systems bezeichnet man auf der Green Devil als Datenmüll. Aus verschiedenen Gründen musste die Gesamtspur in vier Teile untergliedert werden:

Karantanien, 1. Carinthia: Bruck – Fusine (GPSies) [Prolog, Kapitel I, II]

Karantanien, 2. Carniola: Fusine – Storje (GPSies) [Kapitel III, IV, V]

Karantanien, 3. Venezia Giulia: Triester Karst – Gemona (GPSies) [Kapitel VI]

Karantanien, 4. Alpi Carniche – Tarvisiano – Udine (GPSies) [Kapitel VII, VIII]

Fortsetzung folgt
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#1177085 - 15.12.15 18:32 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: veloträumer]
veloträumer
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P.S.08/15 NACHBRENNER (lost planetary footprints)


ICH HABE MEIN NETZ IN DEN WIND GEHÄNGT


Sonne und Salz
zernagten die Planken

Der Moder fraß
und es grünten die Algen


AUF DEM SCHRIFTBAND UNENDLICHKEIT
eingegraben mit goldenen Lettern
mit lichten und dunklen Signalen –

die eine Antwort

das eine Sein


Alois Hergouth (in: Platzer /Wieser „Alpen Adria“, S. 201 f.)






Essensis Carantaniäs

Was ist Dichtung, was ist Wahrheit,
– der Mensch, ist er gescheit?
Die Wissenschaft zerlegt das Große klein,
das hilft dem Denken ungemein.
Die Poesie macht das Kleine groß,
das ist der Träumerwelten liebstes Los.
Die Geschichte schreibt die Spuren tief,
das ist der kruden Kriege Mahnerbrief.
Die Zukunft baut auf Ruinen hoch und forsch,
wenn nicht zerbröckeln Friedensbünde morsch.
Die kurzen Erdenzeiten werden gülden sein,
solang wir labend schmecken Brot und Wein.
Geschicht(en)los – so verglühen nur die fernen Galaxien,
das schreibt dem Menschen bloß ganz KLEIN – der Alien.

studi-RAL-verde,
aus den uranischen Tangential-Versen



* * * * *


„Wenn wir wertvolle Dinge aus dem Boden graben, laden wir das Unglück ein.
Wenn der Tag der Reinigung nah ist, werden Spinnweben hin und her über den Himmel gezogen.
Ein Behälter voller Asche wird vom Himmel fallen, der das Land verbrennt und die Ozeane verkocht.“


Old Hopi wisdom or prophecy, published in the film „Koyaanisqatsi” by Godfrey Reggio, music by Philip Glass
“Koyaanisqatsi” - Finale (5:27 min.)
Everybody has followed this exploring paper of old and modern Carantania region should stay five minutes with the film and music to rest in silence and harmony. I think we have to make a lot of thoughts about the future of the universe, and maybe just on earth.

Thanks to all Carantanian people, who supported my research alien studi-RAL-verde on his voyage on earth
Commander speichen-08/15-kracher



E N D E schmunzel
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#1177101 - 15.12.15 19:43 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: veloträumer]
Keine Ahnung
Moderator
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Matthias,

danke für den Bericht, der eine beachtliche Arbeit bedeutet hat, und die schönen Bilder. Ich werde mir das noch einmal mit etwas mehr Ruhe zu Gemüte führen. Ich möchte auch danken für die Unterstützung orientierungsloser Reiseradler zwinker . Ich bin wirklich froh, nun auch einen Track zu haben, der mir den Weg etwas anschaulicher werden lässt. Immerhin finde ich bestätigt, dass nicht jeder Teil Deiner Tour Neuland für mich ist zwinker .
Gruß, Arnulf

"Ein Leben ohne Radfahren ist möglich, aber sinnlos" (frei nach Loriot)
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#1177189 - 16.12.15 09:21 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: veloträumer]
Keine Ahnung
Moderator
abwesend abwesend
Beiträge: 12.863
Gestern Abend habe ich mir Deine Tracks einmal genauer angesehen. Da hast Du aber tatsächlich nicht an Höhenmetern gespart. Deine Affinität zum Berg habe ich ja schon früher an den Empfehlungen zu meinen eigenen Tourenplanungen bemerken können zwinker . Ich habe diese Vorschläge ja meist dankbar eingebaut.
Gruß, Arnulf

"Ein Leben ohne Radfahren ist möglich, aber sinnlos" (frei nach Loriot)

Geändert von Keine Ahnung (16.12.15 09:21)
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#1177212 - 16.12.15 10:05 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: veloträumer]
Juergen
Moderator
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Beiträge: 14.208
In Antwort auf: veloträumer
P.S.08/15 [b]

Old Hopi wisdom or prophecy, published in the film „Koyaanisqatsi” by Godfrey Reggio, music by Philip Glass
“Koyaanisqatsi” - Finale (5:27 min.)
1982 sah ich diesen Film, nachdem ich in meinem ersten Griechenlandurlaub gelernt habe, dass die Griechen den langsamsten Gang in Europa haben. teuflisch

Lieber Matthias,
ich habe Deinen Bericht bisher nur in Teilen gelesen, deine Tracks bewundert, den richtigen RAL-Ton verzweifelt gesucht und mich erstmal gefreut, dass Du ohne Schaden wieder gelandet bist. unschuldig
Wahrscheinlich werde ich die Qualität deines Berichtes erst erfassen können, wenn ich mich damit plage, die Alpen-Adria-Region zu erradeln. Das ging mir mit deinem Staatsexamen und der 27-Seenrunde ähnlich.

Dankeschön und herzliche Grüße
Jürgen
° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° °
Reisen +
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#1177234 - 16.12.15 11:20 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: veloträumer]
Hansflo
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Beiträge: 3.849
Hallo Matthias,

darf ich deinen Bericht, der punktuell ja auch sehr auf kulturelle und sprachliche Verhältnisse eingeht, um ein paar sprachliche Anmerkungen ergänzen:

Die Sprachinsel Sauris/Zahre wird im Bericht von dir mehrfach angesprochen, die Sprachinsel Sappada/Ploden am Fuße des Hochweißstein/Monte Peralba überraschenderweise aber nicht. Das dort gesprochene Idiom ist dasselbe Osttirolerisch.

An einer Stelle merkst du an, dass Ladinisch in Südtirol wesentlich weniger präsent ist als Furlan im Friaul. Nun, das stimmt mit Sicherheit, denn Ladinisch wird nur in wenigen Talschaften (in fünf Dolomitentälern) im Sella-Bereich gesprochen. Wovon übrigens nur zwei zu Südtirol gehören. Eines liegt im Trentino, zwei in Venetien (Provinz Belluno). Mehrere ladinischsprachige Gemeinden Venetiens (im Raum Cortina d‘ Ampezzo) streben übrigens eine Verschiebung der Provinz- (und Regionsgrenzen) an, um nach Südtirol eingegliedert zu werden. Grund sind die ausgeprägten Schutzbestimmungen für die sprachlichen Minderheiten in Südtirol (ähnlich im Trentino).

Das Kanaltal / Val Canale war bis ins zwanzigste Jahrhundert (übrigens wie viele Regionen des k.u.k. Reiches) mehrsprachig. Italienisch, Slowenisch und Deutsch waren hier am Schnittpunkt der drei großen europäischen Sprachgruppen (germanisch, romanisch, slawisch) selbstverständlich und friedlich nebeneinander vertreten. Da hätte sich das 20. (und 21.) Jahrhundert einiges abschauen können.

Hans
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#1177251 - 16.12.15 12:08 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: veloträumer]
Margit
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In Antwort auf: veloträumer
SV.0 Sonderveröffentlichung digi.mappus.carantaniäs aus dem Büro für interstellare GeoNaviStäsie auf der Green Devil

Die verfügbaren digitalen Transfer-Systeme arbeiten nicht fehlerlos, eine Verantwortung können die Mitarbeiter des Büros daher leider nicht übernehmen.
bravo vielen, vielen Dank! Fehlerlosigkeit erwartet wahrscheinlich Niemand, endlich kann man sehen wo du dich herum getrieben hast bier
Viele Grüße
Margit
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#1177252 - 16.12.15 12:09 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: Hansflo]
veloträumer
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Beiträge: 17.178
In Antwort auf: Hansflo
Die Sprachinsel Sauris/Zahre wird im Bericht von dir mehrfach angesprochen, die Sprachinsel Sappada/Ploden am Fuße des Hochweißstein/Monte Peralba überraschenderweise aber nicht. Das dort gesprochene Idiom ist dasselbe Osttirolerisch.

Dies ist sicherlich auch ein Folge der fiktionalen Geschichte, für die die Wissensbasis sehr selektiv ausgewählt ist (nicht lexiklasich komplett). Bier, Schinken und das "Saurische" haben den Fokus auf diese Gemeinde gelenkt, weil es besser in meine Geschichte passt. Auch ist Sàuris deutlicher abgegrenzt als die anderen beiden Sprachinseln Sappada und Timau (letzteres hatte ich erwähnt, aber auch nur nebenbei). In Sappada mischt sich alles deutlich mit dem Dolomitischen, der Sonderstatus ist weniger präsent - auch baulich (in Timau noch weniger). Der Region am Bladensattel hatte ich auch noch etliche Exkursionen in die Stichtäler zugedacht, die aber alle ausfallen mussten. Insofern war die Fahrt über den Bladensattel etwas unglücklich gehetzt, soweit ich noch die abschließenden Pläne zumindest teils erfüllen wollte. Damit gehörte es nicht mehr zu den Kernprojekten der Tour. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich nochmal eine große Dolomitentour mache mit den vielen Lücken dort, sodass ich die Gegend nachmals von Westen (Drei Zinnen z.B.) "angreifen" werde - mit hoffentlich mehr Zeitreserven. Genau diese Überlegung war es auch, eher im Westteil zu kürzen. Ich bin dir natürlich dankbar für die weiteren Erläuterungen der doch recht vielen kulturellen Facetten, die die Alpenräume auf wenigen Kilometern immer wieder beinhalten.
Liebe Grüße! Ciao! Salut! Saludos! Greetings!
Matthias
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#1177259 - 16.12.15 12:39 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: Keine Ahnung]
veloträumer
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In Antwort auf: Keine Ahnung
Gestern Abend habe ich mir Deine Tracks einmal genauer angesehen. Da hast Du aber tatsächlich nicht an Höhenmetern gespart.

Denke daran, dass meine baromterischen Angaben sicherlich genauer sind (also niedriger). Gewiss ändert das nicht viel an der Hm-starken Tour, wie ich ja auch eingangs erwähnt habe. Der Knackpunkt dabei ist, dass viele Hm mit äußerst steilen Rampen erkauft sind, während im Triester Karst ja einige flachere Teile eingehen. Allerdings habe ich durchaus differenziert, ob jede Rampenschlacht nötig ist, so wie ich z. B. den Monte Zoncolan landschaftlich für verzichtbar halte. Wie schon auf den spezialisierten Pyrenäen-Touren sei auch darauf hingewiesen, dass die letzten Nischen, die man erkundet, meist mit schlechteren Straßen einhergehen, also z.B. auch Abfahrten langwieriger sind als auf dem Papier (oder Digi-Track). Für die Schotterbereiche dürfte dir da und dort natürlich die Federung oder anderes Reifenmaterial zugute kommen, kaum aber für Schlagloch-gefährliche Abfahrten wie etwa am Lanzen- oder Plöckenpass.

Offenbar verliert GPSies auch irgendwo Kilometer, was m.E. nicht nur an einigen fehlenden Schlenkern zu Campings oder Restaurants liegen kann. Am Lanzenpass wollte GPSies auf der Ostseite überhaupt nicht durch, nicht mal im Wanderschuh-Modus. Das ist natürlich Kappes. Habe dort ein paar Freistriche einfügen müssen. Auch hier seien meine Tachodaten als genauer zu betrachten. Nicht ganz unwichtig bei den Daten im Bericht: Die Besichtigungs- oder Wanderzeiten habe ich am unteren Rand angegeben. Für die meisten dieser Exkursionen brauchte ich länger, das hängt dann nicht zuletzt vom Fotografieren oder von Gesprächen ab, aber auch das Prozedere drumrum (Schuhe umziehen, Wartezeiten usw.). Auch hier sind die Bewertungsunterschiede gravierend: Meine Wanderung vom Lepena-Tal zum Krnsko jezero empfand ich als ziemlich gehetzt, trotzdem ist das für den Druchschnittsslowenen offenbar nur der Langsammodus, derweil sie mindestens eine Stunde schneller sein mögen. Natürlich helfen zum Rennwandern professionelle Wanderschuhe und auch Stöcke, wenn man die mitnehmen möchte.
Liebe Grüße! Ciao! Salut! Saludos! Greetings!
Matthias
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Off-topic #1177262 - 16.12.15 12:58 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: Hansflo]
Wendekreis
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Ich bin ich im Sommer bei guter Witterung wie heuer mehr in Tirol als zuhause. Dort wird mancherorts von den Alten noch ein Dialekt gesprochen, in dem ich noch manche der unverfälschten Wendungen aus der Sprache meiner Mutter höre.

Bis auf Vorarlberg ist Österreich bairisches Sprachgebiet. Einige Vorarlberger wären lieber bei der Schweiz.
https://de.wikipedia.org/wiki/Bairische_Dialekte
Gruß Sepp
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#1177263 - 16.12.15 12:59 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: veloträumer]
Keine Ahnung
Moderator
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Auf GPSies habe ich noch nie geplant. Dort stelle ich lediglich meine Tracks ein, um sie einzelnen Leuten oder der Öffentlichkeit verfügbar zu machen. Wenn ich auf Basecamp mit OpenFietsMap plane, stelle ich fest, dass die Kilometerangaben recht gut mit den dann tatsächlich gefahrenen Streckenlängen übereinstimmen. Abweichungen gibt es durch die von Dir genannten Abstecher z. B. zu Campingplätzen usw. Unterschiede treten eher bei den kumulativen Höhenmetern auf, die bei mir auch über GPSies ermittelt werden. Wirklich markant ist die Differenz nicht, aber tendenziell "übertreibt" GPSies ein wenig.

Dass viele schöne Orte in der Natur durch schlechtere Wege erkauft werden müssen, kann ich nur bestätigen. Ich nehme das aber gerne in Kauf, wobei hier bei mir die "Schmerzgrenze" sowieso relativ hoch ansetzt. Davon wissen die Leute ein Lied zu singen, die mich auf meinen "Radausflügen" begleiten. Meine Frau ist schon eher überrascht, wenn sie nicht zwischendurch einmal quer durch den Wald oder entlang eines Wirtschaftswegs holpern muss zwinker .
Gruß, Arnulf

"Ein Leben ohne Radfahren ist möglich, aber sinnlos" (frei nach Loriot)
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#1177305 - 16.12.15 16:19 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: veloträumer]
max saikels
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In Antwort auf: veloträumer

Old Hopi wisdom or prophecy, published in the film „Koyaanisqatsi” by Godfrey Reggio, music by Philip Glass
“Koyaanisqatsi” - Finale (5:27 min.)


Schönes Schlusswort! Ich muss mal wieder die DVD suchen und mir reinziehen. Werbung damals in Berlin: "Die einzige Droge, die für 5 Mark zu haben ist."
Grüße, Stephan
Touren 2023
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Off-topic #1177462 - 17.12.15 11:18 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: Wendekreis]
Hansflo
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Servus Sepp,

ich habe mehrere Jahre in Tirol gelebt und war zum Schluss schon richtig gut im Verorten der geografischen Herkunft aller Menschen, die ich kennen gelernt habe, nach der Sprache. Das ist tatsächlich ein reiches und hochinteressantes Feld, viele Regionalismen gehen aber in Zeiten der Globalisierung stetig verloren. Habe mir dann sogar meine Frau in Tirol gesucht und ins Salzburger Land mitgenommen - allerdings nicht nur wegen ihres bezaubernden Dialekts, den sie bis an ihr Lebensende nicht ablegen wird (können).

Hans
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#1177737 - 18.12.15 08:55 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: veloträumer]
kettenraucher
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Bei der Schilderung des bedauerlichen Benehmens der MTB-Gruppe aus München leide ich selbst beim Lesen mit Dir. Ich musste mal auf der Durchreise in Garmisch oder in Partenkirchen eine Weile unter einem Vordach bei Gewitterregen abwettern und das gesamte Verunglimpfungsprogramm einer übermäßig arroganten Münchner Wandergruppe über mich ergehen lassen. Aber glücklicherweise ist offensichtlich im weiteren Verlauf der Tour die Anzahl der Freunde des grünen Aliens gestiegen. Nun frage ich mich: Steht das gleichgewichtsverlierende Foto Nr. 81 aus dem Album des Kapitels VI in kausalem Zusammenhang mit den hochprozentigen Feierlichkeiten in der slowenischen Provinz? lach
Allen gute Fahrt und schöne Reise.
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#1177766 - 18.12.15 12:13 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: kettenraucher]
veloträumer
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In Antwort auf: kettenraucher
Nun frage ich mich: Steht das gleichgewichtsverlierende Foto Nr. 81 aus dem Album des Kapitels VI in kausalem Zusammenhang mit den hochprozentigen Feierlichkeiten in der slowenischen Provinz? lach

Die angesprochenen Feierlichkeiten fanden erst am übernächsten Tag statt. Ich hatte allerdings hier in der Nacht zuvor neben dem Kühlschrank mit den kostenlosen Weinflaschen geschlafen. (Der Umtrunk dort fand ja nicht mit Karantaniern statt, sondern mit niederländischen Seefahrern - also fast Wikingern.) Daher sind meine Erinnerungen nicht mehr ganz stabil, ob es da Zusammenhänge geben könnte. grins wein Vermutlich hat aber nur jemand die Rückenlehne angesägt, um mir als Alien eine Falle zu stellen. Ich hatte das Selbstporträt dort beabsichigt und es kam dabei zu dem unverhofften Vorfall, da ich die Bank zuvor nicht wissenschaftlich geprüft hatte. Ich weiß jetzt jedenfalls, was man unter maroden Banken versteht. lach Bei Selbstauslöser benutze ich mittlerweile fast immer große Blendenwerte, weil es sonst oft unscharf wird, so aber keine dynamischen Effekte entstehen, die dem Bild gut getan hätten. Sonst wär es vielleicht gar Kalender-tauglich geworden. Ich habe es im Text als "Oechsle-Scherz" bezeichnet, weil es in einem Weinberg passierte (die Bank dort am Waldrand), intuitiv vielleicht aber auch wegen der Weingenüsse des Vortags (wir müssen ja die Weinprobe bei Strekelj als Apéro noch dazuzählen). verwirrt unschuldig
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Matthias
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#1177940 - 19.12.15 15:07 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: veloträumer]
Hasenbraten
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In Antwort auf: veloträumer
SV.0 Sonderveröffentlichung digi.mappus.carantaniäs aus dem Büro für interstellare GeoNaviStäsie auf der Green Devil
Das macht es jetzt einfach, den Spuren des Aliens zu folgen... zwinker
Ohne Track war es mir ein Rätsel, wie der Außerirdische von Škofja Loka nach Tolmin gekommen ist. Auf den gängigen Karten (z.B. openfiets) sind winzige Dörfer wie Gabrovo oder Potok ja nicht eingezeichnet.
Deine Bilder dieser Gegend zeigen eine ursprüngliche Landschaft mit wunderschöner Natur. Vielleicht baue ich diese Strecke in meine nächste Slowenienreise mit ein.

Viele Grüße
Gregor

PS: Insgesamt ein spannender Reisebericht mit vielen tollen Fotos! bravo
PPS: Auf dem CP Ankaran habe ich auch mal übernachtet. Auch ich hab mich dort gefühlt wie ein Alien. lach

Geändert von Hasenbraten (19.12.15 15:15)
Änderungsgrund: PPS
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#1178022 - 19.12.15 23:22 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: veloträumer]
veloträumer
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For everybody, who don't want to read he whole story and English, will find a short version under: Old & New Carantania. Of course, this is mainly for English spoken friends in Carantania and elsewhere.
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#1178119 - 20.12.15 17:57 Re: Ein grüner Alien im Königreich Karantanien [Re: Hasenbraten]
Mooney
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In Antwort auf: Hasenbraten
Auf den gängigen Karten (z.B. openfiets) sind winzige Dörfer wie Gabrovo oder Potok ja nicht eingezeichnet.

Na ja, ist vielleicht nicht so gängig, aber ich habe Google Maps zum Verfolgen der Route benutzt, wo immerhin die von dir genannten Dörfer erscheinen. Vor allem kleinere Pässe fehlen auch dort gelegentlich.

Wolfgang
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